Bahn-Privatisierung: Zugverkehr auf dem Land in Gefahr
Für den Ausbau wenig frequentierter Strecken und Bahnhöfe soll es keine Bundeszuschüsse mehr geben. So steht es in einem Papier, über das Bund und Länder streiten.
Die schlimmsten Befürchtungen der Kritiker der Bahnprivatisierung scheinen sich zu bestätigen: Nach dem Teilverkauf der Deutschen Bahn könnte ein Großteil von Bahnhöfen und Strecken in dünn besiedelten Gebieten langfristig gefährdet sein. Das geht aus einem Entwurf der sogenannten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LUFV) zwischen Bund und Bahn hervor, der der taz vorliegt. Die LUFV soll die Beziehungen zwischen Bund und Bahn nach der Privatisierung regeln. Jährlich will der Bund etwa 2,5 Milliarden Euro in den Erhalt der Infrastruktur investieren.
In der Anlage 7.4 der Vereinbarung heißt es: "Verbesserungs- und Ausbaumaßnahmen für den Schienenpersonennahverkehr, deren Umsetzung volkswirtschaftlich nicht zu vertreten ist, sind zu unterlassen." Dies sei insbesondere der Fall, wenn Bahnhöfe von weniger als 100 Menschen pro Tag frequentiert würden. Zudem sollten Bahnhöfe mit aufwändigen Bahnsteigen und nivelliertem Zugang von mindestens 1.000 Menschen als Ein-, Aus- oder Umstiegsstation genutzt werden. Bedroht sind auch Strecken einschließlich der dazugehörigen Bahnhöfe und Stationen, die nicht auf mindestens 1.000 Reisenden-Kilometer kommen.
Im sachsen-anhaltischen Verkehrsministerium stoßen diese Pläne auf scharfe Kritik. "Wenn man das zuließe, würde man ganze Regionen wie etwa die Altmark im Norden unseres Bundeslandes vom Schienenverkehr abkoppeln", sagte Ministeriumssprecher Harald Kreibich am Dienstag der taz. Damit ist klar, dass die Befürchtungen der Länder wegen der Bahnprivatisierung berechtigt und keine Horrorszenarien seien. Wenn man Immobilien wie Bahnhöfe nicht bewirtschafte, könne man sie nach ein paar Jahren schließen.
Die Bahn wies diese Befürchtungen am Dienstag zurück. "Wir haben kein Stilllegungsprogramm, und auch für die Zukunft gibt es keine derartigen Pläne", so Bahninfrastrukturvorstand Stefan Garber. Es sei ein durchsichtiges Manöver, dieses nun zu unterstellen. Auch ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums zeigte sich empört. "Es ist und war nie die Absicht der Bundesregierung, die Mittel für wenig genutzte Zugstrecken und Bahnhöfe zu reduzieren." Die zitierte Regelung gelte "lediglich für Neu- und Ausbaumaßnahmen von Strecken" wie den Bau zusätzlicher Gleise und basiere auf einem 2006 mit allen Bundesländern abgestimmten Verfahren, von dem der sachsen-anhaltische Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre (CDU) jetzt nichts mehr wissen wolle.
Daehres Sprecher wies diesen Vorwurf zurück. "Das ist absoluter Quatsch." Eine solche Abstimmung habe es 2006 nicht gegeben. Die Länder hätten nun schwarz auf weiß, dass die Beschwichtigungen des Bundes nichts taugten und ihre Vorsicht berechtigt sei.
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), neben Hartmut Mehdorn einer der wenigen Verfechter der Bahnprivatisierung, kam am Dienstag mit seinen Länderkollegen in Merseburg bei Halle (Saale) zu einer weiteren Konferenz zusammen, bei der noch bis Mittwoch der unter anderem der Bahnverkauf auf der Tagesordnung stand. Konkrete Beschlüsse wurden nicht erwartet. Die Länder leisten massiv Widerstand gegen die Privatisierungspläne, weil sie finanzielle Nachteile, Streckenstilllegungen und Bahnhofsschließungen befürchten. Am Freitag wollen sie im Bundesrat ihr Votum zur Bahnprivatisierung abgeben. Ende Oktober befasst sich ein SPD-Parteitag mit den Plänen. Die Privatisierungsgegner unter den Sozialdemokraten gehen davon aus, dann eine Mehrheit der Delegierten gegen den Bahnverkauf in der geplanten Form mobilisieren zu können. An einen entsprechenden Parteitagsbeschluss müssten sich, so ihre Erwartung, auch die SPD-Minister halten.
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