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Wandel in der KlimapolitikDie Wucht der Wissenschaft

Beim Potsdamer Klima-Symposium zeigt sich: Die Klimaforschung treibt die Politik vor sich her. Der Begriff "Kohlenstoff-Gerechtigkeit" macht die Runde.

2007 könnte als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Wissenschaft über die Politik triumphierte. Bild: ap

POTSDAM taz Wenn Wissenschaftler über Politik reden, dann klingt alles ganz einfach und logisch. Da ist zunächst der Ist-Zustand: Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre steigt an, die Erde erwärmt sich in diesem Jahrhundert um bis zu 6,4 Grad, die Folgen für die Menschheit sind gefährlich. Dann der Soll-Zustand: Um die übelsten Folgen abzuwenden, müssen die CO2-Emissionen bis 2050 um die Hälfte reduziert sein. Der Weg dorthin, so die Schlussfolgerung, führt über die kohlenstofffreie Weltgesellschaft.

Was 50 führende Wissenschaftler, unter ihnen 15 Nobelpreisträger, am Mittwoch in Potsdam forderten, war nichts weniger als eine Klimarevolution - ganz nüchtern, in zwingender, wissenschaftlicher Sprache. Der Klimaberater der Bundesregierung und Chef des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, hatte am Dienstag und Mittwoch zu einem interdisziplinären Symposium geladen. Im barocken Theatersaal des Neuen Palais versammelten sich einige der kreativsten Köpfe der Welt auf roten Samtsitzen. "Sie als Nobelpreisträger haben schon alles erreicht", sagte Schellnhuber. "Sie sind frei, offen zu sagen, was in der Welt falsch läuft."

Auch die Politiker, die zu Besuch nach Potsdam kamen, schienen von dieser Freiheit beseelt zu sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel beschwor eine neue "Kohlenstoff-Gerechtigkeit" und wiederholte ihren Vorschlag, dass jeder Mensch auf der Welt nur noch 2 Tonnen CO2-Ausstoß verursachen dürfe. Umweltminister Sigmar Gabriel kam zu der Erkenntnis, dass man Emissionsrechte nicht länger verschenken dürfe. "Mein Vorschlag ist, dass wir 100 Prozent der Vergabe der Emissionsberechtigungen verkaufen", sagte er vor den Wissenschaftlern. Solch ein Schritt würde den CO2-Ausstoß deutlich teurer machen.

Noch vor einem Jahr hätte Politikern, die solche Erkenntnisse verbreiten, wohl ein ähnliches Desaster geblüht wie 1998 den Grünen, als sie den Benzinpreis auf fünf Mark anheben wollten. Was früher als Provokation galt, ist zur logischen Konsequenz wissenschaftlicher Erkenntnisse geworden.

2007 könnte als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Wissenschaft über die Politik triumphierte. Die Vorarbeit leistete - schon Ende vergangenen Jahres - der britische Ökonom Nicholas Stern: Er rechnete der Welt vor, dass die Schäden einer ungezügelten Erderwärmung mindestens fünfmal größer wären als die Kosten für die Bekämpfung des Klimawandels. Im Februar, April und Mai folgten drei Berichte des Weltklimarats (IPCC). Klimawissenschaftler aus aller Welt hatten gemeinsam Ursachen und Folgen der Erderwärmung analysiert und beschrieben. Ihre Erkenntnisse waren so eindeutig und alarmierend, dass selbst die skeptischsten Regierungen sie nicht mehr verharmlosen konnten. Die Dramatik des Klimawandels abstreiten können heute nicht einmal mehr die USA oder China.

Dass sich auch die Politik der Wucht der Wissenschaft nicht mehr entziehen kann, liegt zu einem guten Teil auch an Angela Merkel. Die promovierte Physikerin versteht die Sprache der versammelten Nobelpreisträger und nimmt sich Zeit, in die Potsdamer Diskussionen einzusteigen. Selbst Umweltschützer, die sonst immer wissen, wie es noch besser ginge, sind begeistert: "Merkel setzt die Standards für die Welt", lobt der Generaldirektor des WWF, Jim Leape. Er redet derart überschwänglich, dass die Moderatorin auf dem Podium hinterher feststellt: "Ich bin beeindruckt, wie beeindruckt Sie von Frau Merkel sind."

Den Weg zur Weltklimakonferenz im Dezember in Bali hat Merkel sorgfältig geplant. Anfang des Jahres schaffte sie es, die EU auf ehrgeizige CO2-Reduzierungen zu verpflichten. Das war Schritt eins: zeigen, wie es besser geht. Beim G-8-Gipfel in Heiligendamm folgte Schritt zwei: Sie gewann die USA für Klimaschutz unter dem Dach der UNO. Jetzt ist sie in die dritte Phase eingetreten: die Schwellenländer vom Klimaschutz überzeugen. Das versucht sie mit ihrem jüngsten Vorschlag, den sie in Potsdam noch einmal wiederholte. "Eine gerechte Welt muss jedem Menschen das gleiche Recht auf Kohlendioxidemissionen zubilligen." Heute verursacht ein Deutscher durchschnittlich 11 Tonnen CO2-Ausstoß, ein US-Amerikaner 20 Tonnen, ein Chinese 3,5 Tonnen. 2050 dürften es durchschnittlich nur noch 2 Tonnen pro Person sein, rechnet Merkel vor. "Das ist eine dramatische Anstrengung."

Der Weg dorthin führt für Merkel über einen globalen Emissionshandel. "Warum sollen wir nicht CO2-Zertifikate von Indien kaufen? Das könnte eine der intelligentesten Formen der Entwicklungshilfe sein." Die Wissenschaftler nicken und klatschen. Der Aufschrei in der Bevölkerung ob der anstehenden Zumutungen bleibt aus. Im Gegenteil: Die Boulevardpresse lobt den "Genie-Gipfel". Auch das wäre vor dem Jahr der Erkenntnis 2007 undenkbar gewesen.

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4 Kommentare

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  • JM
    Jürgen Mumme

    Neu sind nicht die Folgerungen und Forderungen in der Wissenschaft. Neu ist lediglich, wie in den Medien darüber berichtet wird. Solange über die positiv besetzten Ziele debattiert wird, ist der Konsens schnell gefunden. Wenn es aber an konkrete Änderung in Gesetzgebung oder gar eigenem Verhalten geht, wird es schon schwieriger. Ich bin mir sicher, dass auch bei zum Wochenendtrip in einem Billigflieger sitzende Menschen sofort mehr Einsatz für den Klimaschutz bejahen würden. Ich will die Entwicklung nicht schlecht reden, aber wichtig ist, dass auf die Bekenntnisse die Handlungen folgen.

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Eines steht heute schon fest:

    1. Ohne eine evolutionsprozess-theoretische Grundlage werden alle Politikansätze zur Umkehr der globalen Fehlentwicklungen (= Arm-REich-Schere, Klimawandel, Ressourcenverschwendung, Weltbevölkerung, usf.) an der Macht des Wachstumszwang-Regimes auflaufen.

    2. Die Machtfrage ist nur mit der evolutionsprozess-eigenen Umsteuerungslösung zu beantworten.

     

    3. Was Angela Merkel noch fehlt ist eine Steuerungssystemtheorie des Evolutionsprozesses, der den evolutionsprozess-eigenen Umsteuerungsansatz und die Ausstattung des Übergangsprojekts in die nachfolgende Weltordnung diskutierbar macht.

     

    Es wäre die Aufgabe der deutschen Naturwissenschaftler unter den Nobelpreisträgern, diese Theoriegrundlage anzumahnen und unserer Bundeskanzlerin damit unter die Arme zu greifen.

     

    Diese Gedanken haben mich gestern veranlaßt, an Prof. von Klitzing den folgenden Brief zu schreiben:

     

    "Sehr geehrter Herr Prof. von Klitzing,

    nachfolgend sende ich Ihnen meine im FAZ.Net gepostete Entgegnung zu Ihrem Statement im FAZ.Net.

     

    Ich meine, dass Sie hier als Naturwissenschaftler uns eine großen Schritt in der Diskussion der globalen Fehlentwicklung

    voranbringen können. Es geht um die Forderung nach einer evolutionsphysikalischen, theoretischen Grundlage für diese

    globalen Fehlentwicklungen, u.a. der Klimaschutzpolitik.

    .....

    Ich bitte Sie, sich eine Stunde mit meiner Anregung zu beschäftigen.

     

    Mit freundlichen Grüßen,

    Rüdiger Kalupner

     

     

    __________________________

     

    Meine Lesermeinung im FAZ.Net, die meine Kritik an der Position der Nobelpreisträger zum Klimaschutz formuliert, datiert 10.10.2007:

     

    "Wiederholung - eine Steuerungssystem-Theorie des Evolutionsprozesses ist nötig

     

    Ich kann nur auf einige meiner Beiträge an dieser Stelle verweisen.

     

    Dort kann man nachlesen, dass ich eine Theoriegrundlage für den evolutionslogischen Exodus aus der Crashlogik des

    weltindustriellen Fortschrittsprozesses anbiete - die sich auch schon in der Politikpraxis des globalen Machtprozesses

    bewährt hat. U.a. setzte Wladimir Putin diese Theoriegrundlage in das gesellschaftliche Steuerungssystem (=

    wirtschaftlich-gesellschaftliche Verfassung) für Rußland um. Die Entscheidung wurde im Mai 2000 getroffen. Alles ist

    recherchierbar.

     

    Keiner der befragten Nobelpreisträger fragt nach einer Evolutionsprozess-physikalischen Theoriegrundlage für eine

    globale Klimaschutzpolitik. Das ist eine blamable Leistung für Spitzenwissenschaftler, die doch alle wissen, dass in

    hochkomplexen, dynamischen Systemen ohne eine hinreichende Theoriegrundlage keine Vorhersage über das Verhalten

    eines solchen sensiblen Prozessystems möglich ist, d.h. ohne Theorie keine Erkenntnis und kein Konsens über die

    erfolgversprechenden, kleinste Änderungen erreichbar ist.

     

    Wir brauchen die Öffnung der Medienmauer gegenüber der Forderung nach einer Steuerungssystemtheorie des

    Evolutionsprozsses. Wann rafft sich einer der Nobelpreisträger dazu auf."

     

    Rüdiger Kalupner

    Unternehmensberater in Sachen Epochenwechsel

  • KB
    Klaus Böttcher

    Die gesamten Verschmutzungszertifikate für Deutschland sollten auf 82 Millionen Bürger zu gleichen Teilen vergeben werden. Wenn ein Bürger mehr davon benötigt, dann kann er diese von einem anderen Bürger kaufen. Damit wäre der gesamte Ausstoß für Deutschland limitiert und Gerechtigkeit hergestellt.

  • OW
    Otto Wildgruber

    Die Wucht der Wissenschaft ist wohl eher ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Oder gehört neuerdings der Friedensnobelpreis schon zu den Klimawisseschaften? Auch Teilchenphysik, Ozonchemie, Systematik der Elementarteilchen, Quantenoptik und Ökonomie sind wohl neuerdings Klima"wissenschaften". Dass ausgerechnet die taz auf Merkelsche Theaterinszenierungen reinfällt, lässt tief blicken.

    Mit freundlichen Grüßen

    Otto Wildgruber