Das Kügelchen

ORTSTERMIN Hat unser Sonnensystem neun Planeten? Oder acht? Ein Besuch auf der „transmediale“ in Berlin

Wenn es doch nur um die Eselsbrücke ginge! So etwas ist schnell retuschiert: Statt „Mein Vater Erklärt Mir Jeden Sonntag Unsere Neun Planeten“ könnte der Vater auch den Nachthimmel erklären oder die Notstandgesetze, und –schwups – fiele keinem mehr auf, dass das letzte Wort einst für Pluto stand, der 2006 von der International Astronomical Union (IAU) den Planetenstatus aberkannt bekam und als gedemütigter „Zwergplanet“ seither nicht mehr bei Eselsbrücken mitspielen darf.

Die Amerikaner sind da schon viel weiter: Statt „My Very Excellent Mother Just Served Us Nine Pizzas“ macht die Mutter es sich neuerdings leicht und reißt eine Tüte Nachos auf. „Mean Very Evil Man Just Shortened Up Nature“, habe man ihm weiland wütend als neue Merkhilfe vorgeschlagen, erklärt der in Berkeley lehrende Astronom und offizielle Pluto-Killer Mike Brown im Interview, der am Dienstag zur Eröffnung des einwöchigen transmediale-Festivals im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu Gast war. Festivalmotto ist das Akronym „BWPWAP“, es steht für „Back when Pluto was a planet“ und soll laut Kurator Kristoffer Gansing eine Verbindung zwischen altmodischen und modernen Technologien bilden: „Es ist eher ein anachronistischer ‚tag‘ für Dinge, die sich genau wie Pluto in einer Existenzkrise befinden“, erklärt Gansing. Im Kontext der traditionell schwer zu fassenden, damit umso amüsanteren interdisziplinären Veranstaltung steht er für Veränderung, für „Neudefinitionen, Neukontextualisierung“, sagt der junge Schwede.

Um menschlichen Willen zur Neudefinition, zur Kategorisierung ging es auch 2006, wie Mike Brown beim Eröffnungsvortrag erzählt: Er hatte damals einen Himmelskörper entdeckt, größer als das Pluto-Kügelchen, der darob zu den echten Planeten hätte zählen müssen. Oder man zimmert eine neue Schublade für alles, was kleiner als Merkur ist. Man habe, referiert Brown im vollen Saal, Pluto nach seiner Entdeckung 1930 den Planetenstatus eh nur aus Gaudi zugestanden: Irgendwo da draußen habe man ein „transneptunisches Objekt“ vermutet, das Neptun und Uranus durch beachtliche Masse beim Kreisen stört. Pluto kam da gerade recht: Wilde Theorien wurden geboren, wieso der angebliche Planet durch die Teleskoplinse nur ein Pünktchen war – weil er etwa von einem unsichtbaren Gasozean umgeben sei.

Zum Abschluss der Veranstaltung, bei der auch der Pro-Pluto-Astronom Gerhard Schwehm sein Argumentationsglück versucht und eine Wissenschaftssoziologin einen reizenden Cartoon zeigt, auf dem die Sonne ihre Arm-in-Arm in die Kamera lächelnde Planetenfamilie fotografiert, während am Rand ein kleiner, verlorener Zwergplanet weint, lässt Gansing die Abstimmung der IAU wiederholen. Das Publikum soll mit „Vote“-Karten über den Status von Pluto entscheiden.

Das Ergebnis kommt per zum Festival aufgebaute Rohrpost, die das Haus mit langen gelben Röhren fest im Griff hält: 269 nostalgische ZuschauerInnen wollen Pluto als Planeten zurück, aber 357 finden, Zwergplanet sei doch eine schaue Kategorie für den Kleinling. Die von den Kindern dieser Welt selbst gebastelten Modelle des Sonnensystems rotten schließlich auch längst im Altpapier.

JENNI ZYLKA, BERLIN