Obdachlosenkunst: "Die wollen zeigen, was sie können"

Kreativangebote stärken das Selbstwertgefühl von Obdachlosen und Armen, sagt Christiane Pförtner von der Heilig-Kreuz-Gemeinde.

taz: Frau Pförtner, Sie bieten Obdachlosen die Teilnahme an Kunstprojekten an. Haben die keine anderen Sorgen?

Christiane Pförtner: Ja, denen geht es zuallererst um einen Schlafplatz für die nächste Nacht und um was zu essen. Wir leisten als Kirchengemeinde ja auch elementare Hilfe, haben hier im Zentrum Duschen und eine Kleiderkammer und schmieren auch mal Stullen. Aber obdachlose Menschen haben eben auch andere Bedürfnisse.

Aber was bringt ihnen Kunst?

Sehr viel. Obdachlose und arme Menschen werden gestärkt, wenn sie nicht nur als Hilfeempfänger wahrgenommen werden. Wenn sie Bilder malen, die dann ausgestellt werden, oder wenn sie öffentlich musizieren, dann ist das für sie eine ganz besondere Erfahrung und Wertschätzung. Eine Besucherin hat mir mal gesagt, nach einem Kurs bei uns habe sie wieder Kraft für die ganze Woche. Sie kam extra aus Spandau angefahren und war dann wieder bereit für den alltäglichen Kampf, beispielsweise mit dem Jobcenter.

Welche Angebote bieten Sie den Leuten konkret?

Es ist quasi wie an einer Volkshochschule, nur kostenlos und ohne Terminzwang. Insofern haben wir uns auf die sozialen Probleme der Besucher eingestellt. Regelmäßig im Angebot haben wir zum Beispiel den Gospelchor "Different Voices of Berlin", der zusammen mit unserer prominentesten Ehrenamtlichen, Jocelyn B. Smith, probt. Da singen auch Obdach- und Arbeitslose mit.

Seit wann gibt es denn das Zentrum an der Gitschiner Straße 15?

Wir sind eigentlich eine Art Pilotprojekt. Seit 1990 betreibt unsere Kirchengemeinde eine Wärmestube. Aus den Gesprächen mit den Hilfebedürftigen ist dann vor sieben Jahren das Zentrum entstanden. Die Leute wollen sich betätigen, zeigen, was sie können, irgendwo dazugehören und auch was lernen. Das Haus stand damals leer und gehörte dem Bezirk. Seitdem haben wir hier in der Fabriketage im zweiten Stock unseren Kreativbereich. Es wird dort gemalt, getischlert, getöpfert und gebastelt. Sogar Computer hat uns neulich jemand geschenkt. Einen Musikraum inklusive Blüthnerflügel haben wir auch hier. Den hat uns ein Klavierhändler aus Friedrichshain gespendet.

Wie viel Teilnehmer kommen täglich?

Täglich haben wir rund 80 Leute im Haus, die dann auch unser alkoholfreies Café als Treffpunkt nutzen. Wenn Jocelyn kommt, sind es oft mehr Gäste.

Die Wirtschaft boomt. Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück. Einige bleiben trotzdem außen vor. Was merken Sie davon bei Ihrer Arbeit?

Wir merken, dass Menschen immer mehr ausgrenzt werden, weil sie arbeitslos oder obdachlos sind. Unser Untertitel im Zentrumsnamen ist "gegen Armut und Ausgrenzung". Wir wollen hier Menschen mit und ohne Geld zusammenbringen. Also auch solche, die keine Probleme haben, sind eingeladen. Mit den Jahren haben wir so eine Art Moderatorentätigkeit übernommen und bringen Leute zusammen, die sich auf der Straße sonst nie was zu sagen hätten. Zeitweise mussten wir sogar darauf achten, dass die Armen nicht unterrepräsentiert waren.

Wie finanzieren Sie das Projekt?

Wir retten uns als spendenfinanziertes Projekt von Jahr zu Jahr. Wir müssen die Miete tragen und haben jetzt die Möglichkeit, das Projekt zu erhalten, indem wir das Haus erwerben. Dazu suchen wir weitere Unterstützer. Unser verstorbener Pfarrer Joachim Ritzkowsky hat damals gesagt, wir brauchen das Haus, und irgendwie kriegen wir das auch finanziert. Bis jetzt hatten wir immer Glück und haben viele Sachspenden bekommen. In unserem Café stehen zum Beispiel Designerstühle.

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