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Münchner ArchitekturDer BMW-Mega-Cooper

Mit der "BMW-Welt" hat sich der bayerische Autohersteller eine gigantische Erlebniswelt geschaffen. Doch es geht längst um mehr, als den Auto-Verkauf.

"Schluchtig, feurig, brutal, rund, zärtlich, farbig, obzsön, geil, träumend, vernähend, verfernend, nass, trocken, herzschlaggebend?" Die "BMW-Welt". Bild: dpa

Sichtlich entspannt lehnt sich Wolf D. Prix zurück und zieht an seiner Zigarre: Stolz sei er. Überstolz. 1968 hatte er zusammen mit Helmut Swiczinsky das Architekturbüro "Coop Himmelb(l)au" in Wien gegründet, das erst einmal futuristische Manifeste formulierte. "Architektur muss schluchtig, feurig, brutal, rund, zärtlich, farbig, obszön, geil, träumend, vernähend, verfernend, nass, trocken und herzschlaggebend sein".

Fast vierzig Jahre und einige Abstürze später bauen die Wiener ihre softwaregestützten Himmelsgebilde weltweit, dort wo Emotionen erzeugt und Zeichen gesetzt werden sollen für eine Zukunft, die gestern erdacht wurde. In München ist Prix jetzt zwischen der 1972 von seinem Lehrer Karl Schwanzer errichteten BMW-Verwaltung und dem legendären Olympiagelände ein herzschlaggebendes Gravitationszentrum geglückt, das sich BMW-Welt nennt.

Angeregt von der Isohypsen-Karte eines Wirbelsturms haben die Himmelbauer einen gläsernen Doppelkegel in den Münchner Hauptverkehrsstrom gestellt, der eine lange, schwere wallende Dachschleppe nach sich zieht. Dabei hat die neue Galionsfigur entfernt Ähnlichkeiten mit der Nike von Samothrake. Diese gewaltige antike Plastik behauptete auch, dynamischer zu sein, als ihr Marmorgewicht wahrscheinlich machte. Die Prix-Neuinterpretation lässt die 68 versprochenen Flammenflügel zwar missen, aber die mattsilbrige Monumentalskulptur ist dabei, den nördlichen Stadtrand Münchens zu magnetisieren. Indes singt der überstolze Architekt ein Loblied auf den privaten Bauherrn, der ihm die Möglichkeit gab, einen öffentlichen Raum in der Dimension des venezianischen Markusplatzes zu gestalten. Im nächsten Atemzug vergleicht Prix gar sein Alles-wird-möglich-Bauwerk mit der Akropolis von Athen: Heiligtum, Marktplatz und Bildungsstätte in einem.

Nun ist der neue Hybrid "Am Olympiapark 1" vor allem eine nahezu zweckfreie Plastik, die wie keine zweite Bewegung symbolisiert und initiiert. Mit viertausend Tonnen Stahl, 14.400 Quadratmetern Glas und 10.000 Quadratmetern dreidimensional verformter Edelstahlpaneele wird ein betörender Bildstrudel erzeugt. Der neugierige Blick unternimmt lange Fahrten entlang der buchtenden Galerie, zoomt hinauf zum bauchenden Dach, fokussiert kubistische Wandsegmente, um sich im nächsten Moment über Treppenkaskaden zum Show-Plateau zu bewegen, schwenkt dann zum Panorama der legendären Olympiabauten jenseits der Glas-Außenwände, um sich in der Gegenblende in die Spiegelbilder von Schwanzers vierzylindrigen BMW-Verwaltungsgebäude und der Museumsschüssel zu verlieben, die der Stahl-Glaswirbel vor dem Haus reflektiert.

Schwerfällige Architektur

Während die eingestellten Raumkörper unter dem wechselnden Licht des Tages eine spielerische Eleganz entwickeln, wirkt die neue Architekturikone nach außen eher schwerfällig. Ihre gläsernen, aus statischen Gründen mittig geknickten Flanken scheinen vor allem einen Zweck zu erfüllen: das Werksgelände und die jüngst denkmalgeschützten Symbolbauten des Automobilherstellers facettenreich zu spiegeln.

Welten scheinen zwischen der Corporate Architecture diesseits und jenseits der Ausfallstraße zu liegen. Dort bauliche Synonyme für die Motorenwerke und hier suggestive Metaphern von Mobilität, Freiheit und urbanem Flair. Dort Technik pur, hier Emotionen und Visionen. Zwar werden im Doppelkegel zur Eröffnung Autos ausgestellt, die weiß lackiert ihre Umwelt-Unschuld beteuern, und in den Kojen unter der Hauptbühne werden leistungsstarke Limousinen und Formel-1-Torpedos präsentiert, aber die Leuchtbildschirme sprechen vor allem von Schönheit und (Lebens-)Kunst. Die 6 bis 12 Zylinder rücken in den Hintergrund, seitdem Werbestrategen erkannt haben, dass Frauen beim Autokauf entscheiden. Architektur kann da stimulierend wirken. Denn je ähnlicher die Nobelkarossen sich im Windkanal werden, desto mehr signalisiert die in Auftrag gegebene Baukunst Singulariät. Das Ambiente erhält den Zuschlag. Die Entscheidung fällt zwischen Henn, Ben van Berkel, Zaha Hadid oder Coop Himmelb(l)au. Mit dem Raumgleiter am Rande des Olympiaparks nehmen die Bayerischen Motorenwerke ab sofort die Pole-Position ein.

Im Zentrum des mächtigen Raumrauschens steht die Bühne für die öffentlich zelebrierte Autoübergabe. Der betreute Kunde wird mit einigem Herzklopfen über die Freitreppe von der himmelhohen Lounge zum Plateau hinabsteigen (es empfiehlt sich das Schreiten zu üben, denn wer den Blick sicherheitshalber auf die Stufen senkt, verpasst die "Premiere"). Auf der Bühne warten 20 Fahrzeuge. Aber nur ein Vehikel rotiert unter dem Theaterspot, bis der "Abholer" es erreicht hat. Ein letzter Check und der stolze Besitzer (der für dieses Event nicht mehr zahlt als für eine gewöhnliche Überführung zu seinem Händler) darf unter aller Augen den Motor starten und die ovaloide Rampe zum Ausgang hinabrollen, in die große Freiheit des alltäglichen Ringstaus. Bis zum Ausfalltor sorgt selbstverständlich eine kräftige Absauganlage dafür, dass die Luft im Großraum rein bleibt.

Das Auslieferungszentrum ist eine "Erlebniswelt". So heißt heute, was früher Kristallpalast, Messehalle, Passage und Mall genannt wurde - gigantische Raumhüllen mit wechselnden Inhalten. Die BMW-Welt bietet außer Informations- und Verkaufsständen vor allem eine Menge Veranstaltungsräume. Einen variablen Theater-, Konzert-, Kongresssaal für rund 800 Leute, Konferenzräume sowie last not least den Doppel-Kegel-Pavillon. Ein Pressezentrum ist obligat. Gastronomie und Club sind in einem Tower untergebracht, der einerseits Überblick über die gesamte Halle bietet, andererseits einen Ausblick auf die weitgespannten Olympia-Netzdächer. Begleitet vom steten Rauschen des Verkehrs auf dem Petuelring kann der Besucher künftig auf dem Sonnendeck Platz nehmen und einen Tag in der BMW-Welt Revue passieren lassen. Die kräftige Prise Feinstaub auf der Wiener Melange wird ihn vielleicht daran erinnern, dass der Traum von Mobilität seine Unschuld verloren hat.

Beschämende Schau

Mag sein, dass die Autos in weißer Weste mit Abgaswerten unter EU-Norm glänzen, aber die Gesamtenergiebilanz ist genauso beschämend wie die der Schau-Architektur, die sich mit Solardach und natürlicher Belüftung umweltbewusst und sparsam gibt. Die vier unterirdischen Geschosse haben 60.000 Kubikmeter Beton verschlungen; der 73.000-Quadratmeter-Gigant musste gegen den Auftrieb der Grundwassersäule besonders gesichert werden.

Mit den konturgebenden Stahlstäben könnte man ein Viertel der Erde mittig durchbohren. Maßgeschnittenes Glas und individuell geformte Edelstahlelemente verpassen dem Bauwerk die teuerste Karosserie der Welt. Die Gesamtkosten kann bis heute niemand genau beziffern. "Über 100 Millionen Euro", heißt es lakonisch. Aber Kunst wird in anderen Maßstäben bewertet. Möge diesem singulären Gebilde anders als dem Dresdner Ufa-Kinozentrum eine möglichst lange Lebensdauer beschieden sein.

Die München-Touristiker sind hochbeglückt. BMW rechnet mit 850.000 Besuchern im Jahr, die durch die neue Halle strömen. Die Passage vom der U-Bahn-Station Olympiazentrum bis zum Doppelkegel und weiter über die geschwungene Straßenbrücke hin zum BMW-Museum wird öffentlich bleiben. Dabei generiert die Architektur ein Publikumsinteresse, auf das die Firma mit der Erweiterung ihrer eintrittspflichtigen Angebote reagiert. Das Museum wird bis zum nächsten Jahr um das Fünffache erweitert und die Erschließung des Werksgeländes für Besuchergruppen optimiert. Einen ganzen Tag lang will man Neugierige an den Ort binden, der nach wie vor Produktionsort ist.

Zweifelsohne entwickelt der Stahl-Glaswirbel zentripedale Kräfte. Diese Kräfte scheinen auch dem angrenzenden Olympiapark neue Impulse zu geben. So gewichtig die Coop-Himmelb(l)au-Raumskulptur ist, im Auslauf der beschwingten Parklandschaft fügt sie sich ein, duckt sich weg. Das leichte Zeltdach-Denkmalensemble mit Welterbepotenzial wird an keiner Stelle von der wallenden Galionsfigur bedrängt. Aber im Sog der Attraktion gibt es bedrohlich Nachfolgeprojekte: Am alten Busbahnhof Olympiazentrum soll ein 70 Meter hohes Luxushotel für die fernreisenden Abholer entstehen. Projektentwickler ist die ECE. Der Wettbewerb ist bereits ausgeschrieben, nachdem der Stadtrat zugestimmt hat.

Von einer Win-win-Situation war die Rede: Die Stadt wird einen ungepflegten, überdimensionierten Busterminal los und der Unternehmer kann sich an den BMW-Erfolg anhängen. Dass der Olympiapark einen flachen Auslauf braucht, daran scheint niemand mehr gedacht zu haben. Auch nicht daran, dass die gewaltige Dachschleppe der neuen Automobil-Göttin Abstand heischt.

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