Debatte Schweiz: Schwarze Schafe im Alpenland

In der Schweiz steht Christoph Blochers chauvinistische SVP vor dem erneuten Wahlsieg. Das fein austarierte Regierungssystem des Landes hält den Populisten aber im Zaum.

"Die Linken und die Grünen holen immer mehr gewaltbereite Ausländer in unser Land", heißt es in einem Flugblatt der "Schweizerischen Volkspartei" (SVP) von Christoph Blocher. "Sie decken den häufigen Asyl- und Sozialmissbrauch von Ausländern." Ein SVP-Plakat zeigt drei weiße Schafe, die ein schwarzes Schaf über die Schweizer Grenze schubsen. Und im Frühjahr startete die SVP eine Volksinitiative für ein Verbot, Minarette zu bauen - von denen gibt es in der Schweiz bisher ganze zwei. Die SVP-Propaganda ist chauvinistisch, hetzerisch und im Kern rassistisch: Das bescheinigte der SVP unlängst auch die UN-Menschenrechtskommission. Anfang des Monats verhinderten 500 gewaltbereite Autonome eine Wahlkampfveranstaltung der SVP in Bern. Doch bei den anstehenden Parlamentswahlen wird die SVP - schon jetzt stärkste Partei mit rund 27 Prozent der Stimmen und 63 Mandaten - wohl noch Stimmen dazugewinnen. Driftet die Schweiz also ab?

Christoph Blochers SVP wird gerne mit Jean-Marie Le Pens "Front National", dem belgischen "Vlaams Blok", den deutschen "Republikanern" (REP), der dänischen "Danks Folkeparti" (DF), Jörg Haiders früherer FPÖ, Umberto Bossis "Lega Nord" (LN) oder Ginafranco Finis "Alleanza Nazionale" (AN) in einen Topf geworfen und als "neofaschistisch", "rechtsextremistisch" oder "rechtsradikal" etikettiert. Im Falle der Blocher-Partei ist eine solche Zuordnung wenig sinnvoll, stammen seine Wähler doch zum geringsten Teil vom schmalen rechtsextremen Rand.

Die SVP ging aus kantonalen Bauernparteien hervor, die sich 1936/37 auf nationaler Ebene zur "Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei" (BGB) zusammenschlossen. 1971 benannte sich diese Partei in SVP um, seit 1929 ist sie ununterbrochen in der nationalen Regierung (Bundesrat) vertreten. Das ist insofern nichts Ungewöhnliches, als die schweizerische Regierung immer schon auf einer großen Koalition beruhte und beruht. Von ihrer Herkunft her war und ist sie vor allem auf dem Land verankert und vertritt einen ihrem Selbstverständnis nach "bodenständigen Konservatismus".

Das änderte sich erst Mitte der 80er-Jahre, als der Unternehmer und Milliardär Christoph Blocher zunächst als Chef der kantonalen SVP in Zürich, dann als Abgeordneter auf nationaler Ebene an Einfluss gewann. Die kantonalen Parteiorganisationen behielten jedoch im föderalistisch aufgebauten Staatswesen bis heute ein großes Maß an Autonomie, die auch Blocher respektieren muss. So weigerte sich die SVP im Kanton Bern, das Plakat mit den weißen und schwarzen Schafen aufzuhängen. Trotz der medialen Wortführerschaft Blochers ist die SVP organisatorisch nicht auf eine Führerfigur zugeschnitten und wird nicht autoritär oder zentralistisch geführt.

Blocher betreibt professionelle Medien- und Personality-Arbeit in eigener Sache sowie für "seine" Schweiz. Besonders allergisch reagiert er auf Intellektuelle, die die Schweiz kritisieren. Den Schriftsteller Adolf Muschg und den Zürcher Historiker Jakob Tanner erklärte Blocher vor zehn Jahren öffentlich zu Staatsfeinden. Derlei kommt im Bierzelt immer an, deshalb betrachtet Blocher den Populismusvorwurf als Lob.

Das ideologische Markenzeichen Blochers ist sein Rekurs auf ein imaginäres Schweizertum, das er mit abenteuerlichen historischen Winkelzügen direkt aus dem Mittelalter ableitet und mit neoliberalen Girlanden (freie Märkte für Waren und Kapital sowie Abschottung gegen Einwanderer) dekoriert. Er hält die Schweiz für einen Glücks- und Sonderfall im korrupten und dekadenten Europa. Diesen selbstgerechten Chauvinismus bekommen Ausländer zu spüren. Auf diesem Feld trat Blocher das Erbe der 1961(!) gegründeten "Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat" an, die jedoch eine Splittergruppe blieb. Mit seinen Parolen gegen Ausländer findet Blocher Zustimmung bei Arbeitern, Randständigen und Zukurzgekommenen, aber auch im gut situierten Justemilieu. Blocher bündelt die Kräfte des politisch verunsicherten, wirtschaftlich bedrohten und sozial vernachlässigten Arbeiter- und Kleinbürgertums mit dem ebenso biederen wie bornierten Wohlstands-Chauvinismus derer, die sich selbst als "die guten Schweizer" bezeichnen.

Vieles spricht dafür, das die SVP bei den Wahlen am 21.Oktober noch Stimmen und Sitze hinzugewinnen wird. Aller Erfahrung nach wird das aber nicht zu einer entscheidenden politischen Wende führen. Denn demokratietheoretisch gesehen ist die Schweizer Demokratie ein kurioses Gebilde. Mit der lehrbuchmäßigen Rollenverteilung von Volk, Parlament, Regierung und Opposition ist dem Unikum nicht beizukommen. Die Machtverteilung ist durch ein fein austariertes System der Konkordanz, der "Übereinstimmung" - oder besser gesagt: der Kungelei - geregelt.

Die siebenköpfige Regierung, der Bundesrat, wird zwar vom Parlament gewählt. Die parteipolitische Sitzverteilung ist aber seit 1959 in einem "Zauberformel" genannten, mündlich vereinbarten Gewohnheitsrecht festgeschrieben. Vor vier Jahren erreichte Blocher eine neue Sitzverteilung auf Kosten der Christdemokraten, die die Wahlen verloren hatten. Momentan sitzen je zwei Vertreter der SVP, der Sozialdemokraten (SP), der Liberalen (FDP) und nur noch ein Vertreter der Christdemokraten (CVP) in der Regierung. Nach den Wahlen von 2003 wurde eine CVP-Bundesrätin/Ministerin abgewählt, was zuvor in 135 Jahren nur einmal geschehen war.

Zum Bundesrat gewählt zu werden gleicht einer Verbeamtung, denn die Minister stellen sich alle vier Jahre der Wiederwahl. Das von allen Parteien respektierte Gewohnheitsrecht, niemanden abzuwählen, der weiterregieren will, sorgt für Amtszeiten von bis zu dreißig Jahren und eine pensionensparende Zahl von Ministern - ganze 100 in 150 Jahren.

Die Kräftebalance beruht nicht auf dem Modell von Parlamentsmehrheit, Regierung und Opposition. Die von beiden Kammern des Parlaments gewählten Bundesräte geben ihre Parteibücher vielmehr beim Eintritt in die Regierung an der Garderobe ab. Die Regierung arbeitet nach dem Kollegialprinzip, das jeden Bundesrat verpflichtet, die Mehrheitsmeinung in der Regierung nach außen mitzuvertreten. Die Mehrheiten für ihre Gesetze muss sich die Regierung von Fall zu Fall im Parlament zusammensuchen. Mit Fraktionsdisziplin kann sie dabei nicht rechnen.

Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass FDP, SP und CVP Front machen gegen die SVP und Blocher abwählen. Das wäre erstens "systemwidrig". Und zweitens wären die Folgen unkalkulierbar, weil die bürgerlichen Parteien im Gegenzug die beiden sozialdemokratischen Minister kippen könnten. Auch Blochers permanente Drohung mit der "Totalopposition" ist eine stumpfe Waffe. denn ausgerechnet der Berufs-Schweizer Blocher würde damit das "altbewährte" Konkordanz-Modell zerstören - also die sprichwörtliche heilige Kuh schlachten. Das wird auch er nicht wagen.

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