Kommentar Schleyer-Gedenken: Über den Toten nichts Gutes?

Die Daimler AG erinnert in Zeitungsannoncen an den 30. Todestag ihres ermordeten Angestellten Hans-Martin Schleyer. Respekt!

Nicht allein dem durch die RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten galt die bundesweit publizierte Zeitungsanzeige, sondern einem Mann von "hohem Ansehen". Manche aus dem linken Siebzigerjahremilieu mokieren sich über diese Geste: Warum verdient ein Exnazi so viel gute Erinnerung?

Tatsächlich war Schleyer ein auch bei den bundesdeutschen Gewerkschaften extrem respektierter Funktionär - ein fairer Verhandler. Obendrein war er ein Funktionär, der seine nationalsozialistische Mentalität im demokratischen Deutschland hinter sich gelassen hatte. Und selbst wenn nicht: Hätte das ein Grund für seine Hinrichtung sein können, die in ihrer Ausführung wie von der SS abgeschaut wirkte?

Aber, so oder so, von all diesen wiederum nur defensiven Erwägungen abgesehen: Schleyers Nazivergangenheit kam der RAF propagandistisch zwar gelegen, sie war aber nicht der Grund seines Kidnappings. Seinen Tod in einer Annonce zu betrauern ist zu achten - wie in der Veröffentlichung ja auch der Tod der ermordeten Fahrer Schleyers beklagt wird. Die Linke hat in der öffentlichen Preisung "ihrer" Toten im Übrigen ja Erfahrung: Che Guevara oder Benno Ohnesorg dienen bis heute als Objekte der identitätsstiftenden Trauer. Linke darüber hinaus umkränzen die Ihren im Tode mit dem Opferstatus - den aber haben im Falle des Deutschen Herbstes keine anderen als Schleyer und seine Personenschützer verdient. Wer sich, wie der Exterrorist Rolf Wagner, nun hinstellt und sagt, Schleyer sei keine üble Wahl gewesen, verrät eine moralische Leere, die Angst macht. Es fehlt nach wie vor eine Auseinandersetzung des linken Terrorismus und seiner Fürsprecher mit dem Gebot: "Morde nicht!"

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Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

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