China: Zwei-Mann-Diktatur

Von Mao bis Deng Xiaoping, stets stand nur einer an der KP-Spitze. Doch nun bereitet Peking den Generationswechsel vor - wie die Zusammensetzung der neuen Führung zeigt.

Xi Jingping soll neuer Generalsekretär der KP werden. Bild: dpa

KP-Generalsekretär Hu Jintao hatte gerade die letzten Worte des Parteitages gesprochen: "Genossen, alle Aufgaben sind erfüllt." Hu stand auf und drehte sich nach rechts. Er reichte seinem Vorgänger Jiang Zemin die Hand. Danach verließen er und die gesamte KP-Führung den großen Kongresssaal am Tiananmen in Peking. Erst in fünf Jahren wird sich die Partei an gleicher Stelle wiedertreffen. Bis dann, das sollte der Händedruck wohl sagen, regieren Hu und Jiang weiter das Land.

DER RECHTE: Xi Jinping ist der Führungskandidat der "rechten" Fraktion um Ex-KP-Chef Jiang Zemin. Er soll auf dem nächsten Parteitag im Jahr 2012 Generalsekretär Hu Jintao in seinem Amt beerben.

Xi - füllige Figur, Doppelkinn, amüsierter, leicht provozierender Blick - fällt durch seine zur Schau getragene Arroganz auf. Wenn er während des Parteitags öffentlich das Wort ergriff, dann nicht etwa, um auf die gerade gestellte Frage eines Delegierten zu antworten. Er überging sie. Stattdessen trumpfte er mit starken Sprüchen auf: "Das reiche, glitzernde Schanghai wird seine Ärmsten nicht vergessen und mehr für die Umwelt tun", versprach Xi, der bislang Parteichef in Schanghai ist.

Der 54-jährige Sohn des Altrevolutionärs Xi Zhongxun hat eine typische Günstlingskarriere hinter sich. Er musste während der Kulturrevolution nur kurze Zeit aufs Land, während andere seiner Generation damals Jahre auf dem Bauernhof schuften mussten. Er durfte schon Mitte der 70er ohne Zulassungprüfung an die Eliteuni Tsinghua in Peking. Er verbrachte später 14 Jahre als Parteikader in der Boomprovinz Fujian, wo er erfolgreich taiwanische Investoren anwarb. Er heiratete die bekannte Liedersängerin der Volksbefreiungsarmee Peng Liyuan. Wegen ihr und weil in Fujian die meisten auf Taiwan gericheten Raketen stationiert sind, konnte Xi hervorragende Kontakte zur Armee aufbauen. Sie sichern ihm heute seine Führungsposition im Nachfolgerennen um die Parteiführung vor Li Keqiang.

Xi galt schon immer als bevorzugtes Kaderkind. Das fiel so auf, dass er 1992 als Kandidat für das Zentralkomitee durchfiel und 1997 mit der niedrigsten Stimmenzahl ins ZK gewählt wurde. Doch allmählich setzte er sich durch - mit der Art des immer lächelnden Parteifürsten. Zuletzt rief man ihn nach Schanghai, als der Vorgänger wegen Korruption gefeuert wurde. Korruption haftete auch Xis Amtszeit in Fujian an. Doch er selbst blieb stets unbelastet. So empfahl er sich der Greisenfraktion um Jiang Zemin.

DER LINKE: Li Keqiang ist der Führungskandidat der "linken" Fraktion um KP-Generalsekretär Hu Jintao. Er soll beim Nationalen Volkskongress im Jahr 2013 das Amt des Regierungschefs vom jetzigen Premierminister Wen Jiabao übernehmen.

Li - große Brille, breites Kinn, scheuer Blick - fällt dadurch auf, dass er nicht auffallen will. Während der Parteitagsdiskussionen in der letzten Woche richtete er den Blick auf seine Akten vor sich und schaute kaum auf.

Trotzdem ist der 52-Jährige der Hoffnungsträger für politische Reformen in China. Sogar Exildissidenten wie Wang Juntao, der wegen seiner Rolle bei den Studentenprotesten 1989 für Jahre ins Gefängnis kam und heute in den USA lebt, bezeichnen Li bis heute als "intelligent, nachdenklich und offen". Sie kannten sich früher gut. Li studierte Anfang der 80er-Jahre Jura und Wirtschaftswissenschaften an der Peking-Universität. Nach dem Abschluss blieb er als KP-Jugendverbandssekretär an seiner Uni - genau in den Jahren, in denen sie die Keimzelle des demokratischen Studentenprotests war, der 1989 in die offene Revolte führte. Li plädierte damals für demokratische Wahlen auf lokaler Ebene. Seine liberalen Ansichten verhinderten, dass er als Delegierter am Kongress des KP-Jugendverbandes teilnehmen konnte. Doch der damalige Chef dieses Verbands, ein gewisser Hu Jintao, nahm ihn trotzdem mit auf seinem Weg nach oben.

Hu machte Li 1993 zum Chef des Jugendverbands, schickte ihn 1998 als Parteichef in Chinas bevölkerungsreichste Bauernprovinz Henan und 2004 weiter als Parteichef in die dahinsiechende Industrieprovinz Liaoning. Li arbeitete in Henan den größten Aidsskandals Chinas auf - andere heiße Eisen wie Umweltskandale rührte er nicht an. In Liaoning entwickelte Li ein in China viel beachtetes Sozialwohnungsbauprojekt und hielt die korruptionsbelastete Provinz in den letzten Jahren skandalfrei. Jetzt kehrt er nach Peking an die Seite Hus zurück.

Der einsame Händedruck war überraschend. Vier Jahre lang, seit seinem Rücktritt als Militärchef, hatte sich Jiang in der Öffentlichkeit praktisch nicht mehr sehen lassen. Jetzt stand er plötzlich wieder neben Hu im Zentrum der Macht. Und so, wie die beiden gemeinsam vorne standen, sollen jetzt zwei andere gemeinsam nachrücken: Xi Jinping und Li Keqiang - der Erste ein Schützling Jiangs, der Zweite ein Verbündeter Hus - werden nach dem Plan ihrer Mentoren an diesem Montag in den Ständigen Ausschuss des Politbüros gewählt. Sie sind dann die einzigen "Jungen" im engsten Führungskreis der KP und auserkoren, die Partei ab 2012 zu führen.

Die Partei aber gibt sich damit eine neue Führungsstruktur. Zum ersten Mal sind von außen deutlich zwei Fraktionen wahrnehmbar. Der 81-jährige Jiang führt die sogenannte Schanghaifraktion. Er ist offenbar alles andere als ein Politpensionär. Kürzlich sang er bei einer Probe in der neuen Oper von Peking. Vor allem aber hat er genug Einfluss, seinem Günstling Xi die wichtigste Nachfolgekandidatur um den Parteivorsitz anzudienen. Hus Mann Li soll dagegen nur der zweite Mann im Staat werden, nämlich Regierungschef.

Die Kräfteverhältnisse der Fraktionen sind für die chinesische Politik entscheidend. Zwar sagen öffentlich alle Kommunisten das Gleiche. Aber die Denkschulen innerhalb der KP unterscheiden sich heute auf ähnliche Weise wie die politischer Parteien in einem demokratischen System. Die Schanghaifraktion steht politisch eher rechts. Ihre historische Leistung ist die Liberalisierung der Wirtschaft in den 90er-Jahren und die Überwindung der Asienkrise. Sie ist zwar nicht im klassischen Sinne liberal und verfolgt eine aktive Industriepolitik, aber sie ist unternehmerfreundlich und hält wenig von Sozial- und Umweltpolitik. Sie ließ 2002 beschließen, dass auch Unternehmer in hohe Parteifunktionen aufsteigen können. Die Fraktion um Generalsekretär Hu ist dagegen eher links. Ihr gelang es gestern, Hus Konzept der "wissenschaftlichen Entwicklung" per Parteitagsbeschluss ins Parteiprogramm aufzunehmen. Erstmals halten die Ideen von Nachhaltigkeit, Umweltschutz und einer modernen Sozialpolitik dort Einzug. Hu hat die Steuern für Unternehmen erhöhen und die der Armen senken lassen. Er will umverteilen.

Erstaunlich ist, dass keine der Fraktionen derzeit die absolute Alleinherrschaft zu beanspruchen scheint. In den knapp 50 Regierungsjahren unter Mao Tse-tung und Deng Xiaoping war die KP immer eine Einmanndiktatur. Das änderte sich auch unter Jiang Zemin nicht. Erst heute steht neben Hu mit Jiang ein Zweiter. Schwierig zu sagen, ob damit die Herrschaft der KP wackliger oder stabiler wird. Aber vieles spricht für eine größere Stabilität.

Die Konkurrenz untereinander beflügelt den Kampf gegen die Korruption, die Achillesferse der KP. Erst im letzten Jahr entfernten Hu-Leute den Parteichef von Schanghai und deckten damit den größten Korruptionsskandal der letzten zehn Jahre auf. Sie wollten damit sicher auch Jiang schaden. Doch er war stark genug, als Nachfolger in Schanghai seinen Mann durchzusetzen.

Grundsätzlich gibt es für China keine Alternative zwischen Wirtschaftswachstum und einer stärkeren Umwelt- und Sozialpolitik: China braucht beides, beides muss ständig gegeneinander abgewogen werden. Zwei Fraktionen in der Politik können da helfen. Langfristig könnte die KP damit dem liberaldemokratischen Entwicklungsmodell Japans näher kommen. Japans Liberaldemokraten, obwohl im Gegensatz zur KP stets demokratisch gewählt, schöpften ihre politische Gestaltungkraft auch jahrzehntelang aus dem parteiinternen Fraktionsstreit und nicht etwa aus der öffentlichen demokratischen Debatte.

Ein weiteres Merkmal der regierenden Parteifraktionen, gestern in Japan, heute in China, ist ihre regionale Bindung. Jiangs Truppe steht für die reichen Küstenprovinzen Südchinas, die Hu-Fraktion für die armen Nord- und Hinterlandprovinzen. Das erleichtert die Balance an der Spitze, weil keine Fraktion ihre politische Heimat verliert, wenn sie in Peking nicht den Parteichef stellt. In Japan wechselten sich die Fraktionen früher regelmäßig an der Spitze ab. Eine ähnliche Abmachung könnte es jetzt in China geben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.