Kolumne Laufen: Der zauberhafte Massagequirl

Was für eine Marathonzeit ich wohl gelaufen wäre, wenn ich ein Wundergerät eingesetzt hätte?

Es war ein absoluter Spontankauf, reine Emotion. Eiligen Schrittes ging ich durch die Messehallen von Frankfurt, um mir meine Startnummer für meinen zweiten Versuch über die Marathonstrecke zu holen.

Plötzlich stand eine junge Dame vor mir und hielt mir einen komisch aussehenden Quirlstab vor die Nase. Mit diesem Gerät streicht man dann leicht über den Kopf, so dass die abgeschnittenen leicht verdickten Enden des Schneebesens über die Kopfhaut reiben. Früher wurde es eingesetzt, so steht es auf der Verpackung, um totale Entspannung oder sexuelle Gefühle anzuregen.

Im vergangenen Jahr saß ich bis spät in die Nacht mit Freunden beim Griechen. Es war ein Sommermärchenabend und deshalb bis spät in die Nacht sehr warm. Die ganze Stadt war voller Menschen, die Gläser an unserem Tisch meist leer. Irgendwann erschien der Wirt mit einem traurigen Gesicht und brachte uns das letzte Glas. "Sperrstunde", sagte er, "hier auf der Straße gibt es nichts mehr." "Aber es ist doch fast noch hell", schrie einer verzweifelt. Der Wirt zog daraufhin einen solchen Schneebesen aus der Tasche und rieb dem Gast zum Trost sanft über den Kopf. Nach nur wenigen Sekunden war die Verzweiflung einer absoluten Entspanntheit gewichen, die ich nur bei meiner Katze erlebe, wenn ich sie am Nacken kraule. Der Wirt zog nun von Tisch zu Tisch und massierte uns allen die Kopfhaut. Besser wäre es gewesen, er hätte uns noch einiges von seinem besten Wein gebracht, denn das Gejohle hätte nicht lauter sein können. Es war eine Mischung aus Entspanntheit und, na sie wissen schon. Der Kurzbeschreibung auf der Packung ist nichts hinzuzufügen. Dieser Sommerabend war beim Anblick des abgesägten Schneebesens in allen Einzelheiten wieder präsent und ich kaufte mir das Ding ohne nachzudenken. Vielleicht, so mein Unterbewusstsein, hilft das Gerät auch im Vorfeld eines Marathonlaufes.

Ansonsten kaufte ich mir nichts, wenngleich das Angebot auf einer Marathonmesse unglaublich ist. Getränkefläschchen, die wie Revolver an einem Hüftgurt aufgehängt sind. Nasenpflaster, die die Eingänge unseres Riechorgans erweitern oder Kompressionsstützstrümpfe, die für bessere Durchblutung im Wadenbereich sorgen sollen. Nach meinem Kauf des Massagestabes konnte ich jedem anderen Angebot locker widerstehen.

Am Abend saß ich mit drei weiteren Laufkollegen im Hotel. Gemeinsam wollten wir am nächsten Morgen beim Marathonlauf das Tempo gestalten, einen guten Rhythmus finden und uns gegenseitig unterstützen, wenn es ab Kilometer 30 schwer wird. Jeder von uns nestelte an seinem Trikot herum, um die Startnummern zu befestigen. Jeder band geradezu kunstvoll den codierten Messchip an den Schuh, damit die Zwischen- und Endzeiten vom Computer erfasst werden können. Immer wieder gingen wir gemeinsam die Strecke durch und diskutieren darüber, ab welcher Außentemperatur wir mit welcher Bekleidung an den Start gehen werden.

Am vergangenen Samstagabend brachten diese Tätigkeiten und Gedanken an den bevorstehenden Marathon rund 17.000 Menschen in Frankfurt einander näher. Alle nestelten an dünnen Stofffetzen herum, um eine Nummer anzubringen. Alle schauten in den nächtlichen Himmel, um die Wettervorhersage im Sternenbild zu erkennen. Bei all dem Rumgefummel hatte ich meinen Kopfhautmassagestab ganz vergessen und schlief unruhig und schlecht.

Beim Marathon hatten sich unser Gruppe viele Freizeitläufer angeschlossen. Das Tempo zu Beginn war verhalten. Dann, nach der Halbmarathonmarke, beschleunigten wir. Am Ende war es wie ein Rausch. Immer weiter nach vorne gelangten wir, überholten Läufer um Läufer, um am Ende in einer tollen Zeit überglücklich ins Ziel zu kommen.

Wieder zu Hause packte ich am Abend den abgeschnitten Schneebesen aus. Nicht auszudenken, welche Zeit ich gelaufen wäre, hätte ich das Ding mit der wundersamen Wirkung zur Anwendung gebracht.

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