Wie der Iran afghanische Politik beeinflusst: Bücher und Licht

Braucht es Waffen, um ein Volk für sich zu gewinnen? In Herat, nah an der Grenze zum Iran gelegen, hat Teheran längst andere Möglichkeiten gefunden.

Gute Gaben aus Teheran: Dank iranischer Aufbauhilfe leuchten in Herat heute die Laterne. Bild: ap

HERAT taz Alhaj Rahmatullah Safi trägt Tarnuniform und gut geputzte Militärstiefel. Und er ist sauer. "Das Innenministerium hat mir untersagt, noch einmal mit Journalisten zu reden", sagt er und greift nach der nächsten Zigarette. Der drahtige Safi ist Chef der Grenzpolizei für die drei westafghanischen Provinzen Herat, Farah und Baghdis, und seine Informationen passen nicht so recht ins politische Konzept der Regierung in Kabul.

"Ich", sagt Safi, "habe noch nie Waffen aus dem Iran gesehen." Pure Ironie, denn noch vor nicht allzu langer Zeit hat er gegenüber der afghanischen Presse freimütig über Festnahmen iranischer Mittelsmänner und im Iran gefertigte Minen gesprochen, die seine Männer sichergestellt hätten. Mehr noch, die drei Taliban-Kommandanten Yahya Eshaqzai, Bas Mohammad und Abdul Hamid Eshaqzai seien eigens in das Nachbarland gefahren, um dort Waffen in Empfang zu nehmen. "Es gibt vieles, das ich nicht sagen darf", sagt Safi und blickt aus seinem Fenster auf die öden Baracken der Polizeistation Eslamkhala, zwischen denen der Sturm Sand vor sich hertreibt.

Seit der afghanische Präsident Hamid Karsai kürzlich seinen iranischen Counterpart Mahmud Ahmadinedschad in Kabul empfing, wird Freundschaft zwischen den beiden Nachbarn groß geschrieben. Der mehrfach von der US-Regierung geäußerte Vorwurf, das Regime in Teheran unterstütze die Taliban durch Waffenlieferungen, passt daher ebenso wenig ins Konzept wie die Sorgen eines lokalen Polizeichefs.

"Die USA haben auch behauptet, es gebe Massenvernichtungswaffen im Irak. Und es sind bis heute keine gefunden worden", sagt Najafi Manesh. Der iranische Generalkonsul in Herat benutzt gern dieses Argument. Gerade hat seine Regierung eine anspruchsvoll gestaltete Broschüre samt CD herausgegeben, in der aufgelistet wird, wie viel Entwicklungshilfe der Iran seit dem Ende der Taliban-Herrschaft für Afghanistan geleistet hat. "Wir haben bisher 560 Millionen Dollar ausgegeben und Anfang dieses Jahres noch weitere 100 Millionen zugesagt", stellt Manesh fest.

Davon seien die Straße von Herat nach Eslamkhala an die iranische Grenze gebaut worden und zwei Elektrizitätswerke, die Herat das seltene Privileg verschaffen, rund um die Uhr Strom zu haben. "Wir haben Interesse an einem stabilen Afghanistan", sagt der Mann, der mit seinen blauen Augen und dem offenen Hemd eher wie ein bretonischer Bonvivant als ein Vertreter des Mullah-Regimes aussieht.

Zuckerbrot und Peitsche

Das stimmt sogar. Doch in diesem Teil der Welt können auch gegensätzliche Dinge wahr sein. Denn Teheran kann es auf Dauer nicht recht sein, dass 30.000 US-Soldaten an seiner östlichen Grenze stationiert sind. Iran scheint sich deshalb für eine Strategie entschieden zu haben, die man statt "Zuckerbrot und Peitsche" vielleicht "Rosenwasser und Nadelstiche" nennen könnte. Sie basiert einerseits auf der jahrhundertealten kulturellen Beziehung des Landes zur Region Herat - die einmal führend im alten Persien war -, andererseits auf schmerzhaften kleinen Interventionen.

"Unsere kulturelle Verbindung zum Iran ist eine natürliche", sagt Sayed Yahya Hazin, "wir sprechen dieselbe Sprache, es gibt hier nur eine Kultur." Der Chef der Literaturfakultät sitzt in seinem Büro in der Universität von Herat; an der Wand ein großes Bild des persischsprachigen Dichters Maulana Dschalaluddin Rumi, der vor 800 Jahren in Afghanistan geboren wurde. "Damals", sagt Hazin, "haben wir ihnen unsere Kultur gebracht, heute bringen sie sie zurück." Seine Universität unterhält Austauschprogramme mit der Shahed-Universität in Teheran und der Ferdausi-Universität in Mesched für Studenten und Professoren. Auch die Bücherei von Hazins Fakultät wurde vom Iran bezahlt. Schmunzelnd blättert er durch ein iranisches Buch. "Auf den ersten Seiten machen sie immer Werbung für Ajatollah Chomeini und die Revolution. Aber das", sagt er, " ist wie mit den Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln - da kümmert sich niemand drum." Nur einmal war man in Kabul verschnupft: Als die Shahed-Universität ein eigenes Büro in Herat eröffnen wollte, hat das Bildungsministerium sein Veto eingelegt. Über die politische Infiltration macht Hazin sich keine Sorgen. "Die Afghanen sind sehr eigen mit ihrer Religion. Zum einen sind wir Sunniten und die Iraner Schiiten, zum anderen waren wir schon Muslime, als die noch Feueranbeter waren."

Das sieht Mullah Agha Roshani anders. Der Geistliche ist Direktor der Religionsschule an Herats größter schiitischer Moschee. Er trägt einen weißen Turban und einen braunen Überwurf über dem Kaftan, ganz so wie die Mullahs in Iran. Mit seinem sorgfältig getrimmten grauen Bart und der silbernen Brille erinnert er an den früheren iranischen Präsidenten Mohammed Chatami. "Unsere Rechte als afghanische Schiiten werden missachtet", klagt er. "Wir haben kaum Minister in der Regierung in Kabul, obwohl uns das auf der Petersberg-Konferenz in Bonn zugesagt wurde."

Laut Roshani gibt es noch 35 Prozent Schiiten in Herat. Früher seien es 60 Prozent gewesen, doch viele seien wegen des Kriegs und der Talibanherrschaft ausgewandert. Haji Rafiq Shahir, Chef des "Rats der Professionellen", einer demokratisch-zivilgesellschaftlichen Organisation in Herat, argwöhnt deshalb, dass der Iran gemeinsam mit den schiitischen Organisationen versucht, die früheren Mehrheitsverhältnisse wieder herzustellen. Roshani hingegen leugnet jede politische Verbindung nach Teheran. Seine Moschee, sagt er, pflege lediglich religiöse Beziehungen zum Iran. Doch was bedeutet "religiöse Beziehungen" zu einem Regime, das zwischen Politik und Religion gar nicht trennt? "Die Nachrichtenagentur AP hat neulich behauptet, wir würden jede Menge Geld aus dem Iran kriegen", sagt Mohammad Reza. Er ist Lehrer an Roshanis Religionsschule. "Aber das ist nicht wahr. Wir finanzieren uns aus Spenden der Gläubigen."

Auch das ist wohl nicht falsch. Die schiitische Geschäftswelt in Herat gilt traditionell als reich. In den Basaren vor der Moschee haben sich vor allem Goldhändler angesiedelt, seit dem Fall der Taliban floriert die Wirtschaft in der 250.000-Einwohner-Stadt durch die Nähe zum Iran. "Achtzig Prozent des afghanischen Außenhandels werden über die Grenze zum Iran abgewickelt", erklärt Konsul Manesh. Zugleich hat der Iran letztes Jahr Güter im Wert von 400 Millionen Dollar in das Nachbarland exportiert. Zolleinnahmen von rund einer Million Dollar pro Tag haben Herat zur reichsten Stadt Afghanistans gemacht.

Rosenwasser und Nadelstiche

So weit das Rosenwasser, das traditionell in Speisen und Getränke getan wird und alles mit seinem milden Geschmack durchzieht. Die Nadelstiche hingegen bekam kürzlich der afghanische Außenminister Rangin Dadfar-Spanta zu spüren. Das Parlament in Kabul hatte ein Misstrauensvotum gegen ihn lanciert, weil die iranische Regierung sich überraschend entschloss, afghanische Flüchtlinge auszuweisen. Der Vorwurf: Spanta tue nicht genug, um seine Landsleute zu schützen. Natürlich ist der Iran nicht für das Votum des afghanischen Parlaments verantwortlich - aber die Affäre hat gezeigt, dass es Auswirkungen in Kabul hat, wenn in Teheran Strippen gezogen werden.

"In den vergangenen fünf Monaten sind 120.000 Flüchtlinge aus dem Iran ausgewiesen worden", erklärt Shamsuddin Hamed, der Chef der Flüchtlingsbehörde in Herat. "Das machen die nur, um Druck auf die afghanische Regierung auszuüben und unsere Probleme zu vergrößern."

Die Auffassung, dass der Iran Interesse an stabilen Wirtschafts- und Kulturbeziehungen, aber instabilen politischen Verhältnissen hat, ist in Afghanistan weit verbreitet. "Einerseits ist dem Iran die Regierung von Präsident Karsai lieber als die sunnitisch-fundamentalistischen Taliban", sagt Haji Rafiq Shahir vom Rat der Professionellen. "Andererseits ist Teheran um seine Sicherheit besorgt, wenn es von US-freundlichen Ländern eingekreist ist. Sie nutzen daher jede Chance, die Amerikaner beschäftigt zu halten."

Dass Teheran dafür mit Leuten kooperieren soll, die in den Augen der meisten Iraner unkultivierte Wilde sind, tut der iranische Konsul als "Kriegspropaganda der USA" ab. Der Chef der afghanischen Grenzpolizei hingegen fleht: "Die internationale Gemeinschaft muss uns helfen. Wir müssen unsere Grenze dicht machen. Wenn das so weitergeht, wird Afghanistan ein zweiter Irak."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.