Debatte Merkel in Indien: Deutsche Wertarbeit in Delhi

Der Fokus deutscher Asienpolitik hat sich unter Merkel von China nach Indien verlagert. Ihre Betonung der Menschenrechte ist nötig - der Schulterschluss mit den USA weniger.

So viel Lob hat Angela Merkel schon lange nicht mehr zu hören bekommen wie jetzt bei ihrem Besuch in der indischen Hauptstadt Delhi. Ihr Gastgeber, der indische Premier Manmohan Singh, bezeichnete die deutsche Kanzlerin bei ihrem ersten Indienbesuch gleich als "große Staatsmännin" und "Weltpolitikerin von internationaler Reputation".

Der Überschwang mag sich dadurch erklären, dass Singh wegen des vorerst geplatzten Nukleardeals mit den USA innenpolitisch angeschlagen ist. Deutlicher könnte der Kontrast zu den jüngsten Äußerungen aus Peking aber nicht ausfallen. Denn dort wird Merkel seit ihrem Treffen mit dem tibetischen Dalai Lama im September "Einmischung in innere Angelegenheiten" vorgeworfen: Damit habe sie "ernsthaft die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt und die chinesisch-deutschen Beziehungen untergraben", heißt es beleidigt aus China.

Die Abkühlung im Verhältnis zu China ist von Merkel politisch gewollt, ebenso wie die Emphase gegenüber Indien. Die Kanzlerin wird nicht müde zu betonen, wie sehr Deutschland und Indien gemeinsame demokratische Werte teilen, weshalb es fortan viel mehr Beachtung verdiene. Solche Worte hören die Inder natürlich sehr gerne, zumal sie sich selbst dauernd mit ihrem Rivalen China vergleichen und dabei nach eigener Einschätzung viel zu oft den Kürzeren ziehen.

Dass Deutschland dem gewachsenen politischen und wirtschaftlichen Gewicht Indiens Rechnung trägt, erscheint als längst überfällige Einsicht in globale Machtverschiebungen. Darin drückt sich aber auch ein deutlicher Kurswechsel in der deutschen Asienpolitik aus. Geht es nach der Kanzlerin, so soll deren Fokus nicht mehr, wie unter Vorgänger Schröder, allein auf China liegen. Vielmehr sollen andere und demokratischere Staaten, allen voran das bevölkerungsreiche Indien, einen höheren Stellenwert bekommen. Als wie radikal dieser Kurswechsel in der Region empfunden wird, zeigt das gegensätzliche Echo, dass er in Peking und Delhi ausgelöst hat.

Zwar ist die Kanzlerin gegenüber Peking durchaus um Schadensbegrenzung bemüht: Hin und wieder lobt sie die dortige Regierung etwa für ihren Beitrag zur Lösung des Atomkonflikts um Nordkorea. Doch die Außenpolitiker ihrer eigenen Partei werden deutlicher. Ein Strategiepapier der Union, das in der vergangenen Woche vorgestellt wurde, fordert explizit, sich in der Asienpolitik stärker auf westliche Werte zu berufen. In diesem Sinne müsse man den Schulterschluss mit den demokratischen Staaten der Region sowie den sicherheitspolitischen Interessen der USA suchen. Der Aufstieg Chinas dürfe nicht zu einer Destabilisierung des Kontinents führen, heißt es. Denn die Volksrepublik sei für eine Reihe von Entwicklungsländern ein Modell, das die Attraktivität des westlich-liberalen Modells mindere. Darum müsse man den Wettbewerb mit China aufnehmen, das dem Westen "in zunehmendem Maße die Systemfrage" stelle. Im Klartext: Es geht um Macht und Einfluss.

Die Union zeigt sich davon überzeugt, dass verlässliche Partnerschaften mit Staaten in Asien "auf Dauer nur auf der Basis gemeinsamer Werte und Überzeugungen gedeihen" können. Fraglich sei, ob das chinesische Modell langfristig Stabilität verspreche. Denn "nach unserer Überzeugung ist eine nachhaltige Stabilität nur in einem auf Partizipation ausgerichteten System, das Menschenrechte schützt, möglich".

Das klingt gut. Doch so erfreulich die Betonung der Menschenrechte ist, die unter Gerhard Schröder in den wenig ergiebigen Rechtsstaatsdialog mit China abgeschoben wurden: Es sieht nach einem reinen Lippenbekenntnis aus. Denn jenseits einer vagen Betonung "gemeinsamer Werte" macht die Union in ihrem Strategiepapier keinerlei Angaben, wie sie die Menschenrechte in der Region denn nun genau stärken will. Stattdessen bereitet sie nur die Stimmung für weitere deutsche Militäreinsätze vor, die verklausuliert zur "Übernahme sicherheitspolitischer Verantwortung" in der Region schöngeredet werden.

Die Betonung "gemeinsamer Werte" dient Merkel auch als Begründung, um den Indern bei ihrem Besuch in Delhi wärmstens den Eurofighter von EADS zum Kauf ans Herz zu legen. Einst lief die Union Sturm gegen die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber China, die Schröder anstrebte. Ein Waffendeal mit der Atommacht Indien, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben hat, macht ihr nun offenbar keine Probleme. Zur Erinnerung: Indien ließ 2002 eine Million Soldaten an der Grenze zu Pakistan aufmarschieren und liefert sich weiterhin ein strategisches Wettrüsten mit dem Erzrivalen Pakistan. Wenn das die neue werteorientierte Asienpolitik sein soll, dann ist diese Politik entweder sehr kurzsichtig - oder sie vertritt die falschen Werte. Zwar ist Indien ein demokratischer säkularer Staat mit multireligiöser Bevölkerung. Doch welche Werte die Union mit der fundamentalistischen Hindu-Partei BJP teilt, die bis 2004 die führende Kraft in der Regierung war und heute die größte Oppositionsfraktion bildet, bleibt ihr Geheimnis.

Natürlich ist es richtig, Indien ernster zu nehmen und sich in Asien immer wieder nach neuen Partnern umzusehen. Auch war eine Korrektur der unkritischen China-Euphorie, die schon unter Helmut Kohl im Kanzleramt Einzug hielt, längst überfällig. Zu Recht stößt die kritische Haltung Merkels gegenüber Peking in der deutschen Öffentlichkeit deshalb nur auf wenig Kritik.

Es darf aber nicht übersehen werden, dass Außenpolitik in der Praxis meist von handfesten Interessen geleitet wird. Da unterscheidet sich die deutsche oder US-amerikanische nicht sonderlich von der indischen Asien-Politik. Delhis Haltung gegenüber Birma etwa wird schon seit vielen Jahren mehr von der Rivalität mit China als von der Orientierung an demokratischen Werten geleitet, die Merkel so gerne betont. Deshalb beliefert Delhi die Militärjunta in Birma mit Waffen: So hofft es, den chinesischen Einfluss in Birma und damit im Indischen Ozean zu begrenzen.

Auch die USA spielen in Asien eine wichtige sicherheitspolitische Rolle. Oft mag sie im Interesse Europas sein - immer ist sie es nicht. Dafür liegen die strategischen Interessen Europas und jene der USA, denen vor allem an ihrer regionalen Hegemonie und ihrem Vorsprung gegenüber China gelegen ist, manchmal zu weit auseinander.

Konkret heißt das: Deutschland und Europa haben ein größeres Interesse an einem funktionierenden Multilateralismus und an funktionsfähigen kollektiven Sicherheitsstrukturen in Asien als die USA. Washington setzt gegenüber Indien und Japan darauf, diese Länder gegen China auszuspielen. Doch diese Politik des "teile und herrsche" kann nicht im deutschen Interesse sein. Der sicherheitspolitische Schulterschluss mit den USA, den die Union in ihrem Strategiepapier fordert, ist deshalb ein Fehler. Besser wäre, auch gegenüber Washington selbstbewusst die eigenen Interessen zu vertreten.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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