Kommentar Journalistenmord in Kirgisien: Narrenfreiheit für Usbekistan

Kirgisiens Behörden rücken den toten Journalisten Saipow in die Nähe zum Terrorismus, damit der Mord durch den usbekischen Geheimdienst in ihrem Land weniger schlimm erscheint. Die EU sieht dem Treiben tatenlos zu.

Hat der Geheimdienst Usbekistans den Journalisten Alischer Saipow am 24. Oktober ermorden lassen? Das kirgisische Innenministerium zieht die Täterschaft offiziell in Betracht. Wie hoch muss der Druck sein, der einen Regierungssprecher in Bischkek zwingt, den usbekischen Nachbarstaat des Mordens an einem kirgisischen Staatsbürger auf kirgisischem Territorium zu verdächtigen? Zumal die Sicherheitsbehören beider zentralasiatischen Staaten in der sogenannten Terroristenabwehr eng miteinander kooperieren.

Die kirgisischen Behörden versuchen zwar gezielt, das Andenken des ermordeten Journalisten zu ruinieren, und rücken Saipow in die Nähe von Terroristen. Auf dessen nach dem Tod konfisziertem Computer befand sich extremistische Literatur. Zudem stand Saipow in Kontakt mit Vertretern verschiedener extremistischer Gruppierungen, auch mit der als terroristisch eingestuften Islamischen Bewegung von Usbekistan. Das stimmt sicherlich, denn Saipow hat darüber als Journalist geschrieben. Wegen dieser Kontakte galt er unter internationalen Kollegen als Kenner der Islamistenszene im Ferghanatal. In den Augen der kirgisischen Behörden erscheint die Ermordung eines Terroristen durch den usbekischen Geheimdienst auf kirgisischem Territorium weniger schlimm als die eines Journalisten. Mit der Schmutzkampagne gegen den getöteten Journalisten lässt Kirgisien den Verdacht gegen Usbekistan jedoch nur noch schwerer wiegen.

Spätestens jetzt müssten die EU und Deutschland von Usbekistan Aufklärung verlangen. Die Chancen dafür stehen schlecht. Die EU hat mit der erneuten Abschwächung ihrer Sanktionen gegen Usbekistan am 15. Oktober gezeigt, dass die demokratische Welt innerhalb von zwei Jahren das Massaker von Andischan vergisst, wenn es den geopolitischen Interessen nützt. Warum sollte der Tod eines 26 Jahre jungen Mannes im fernen Kirgisien einen größeren Hall erzeugen? Die deutschen Politiker, die vom einfachen Abgeordneten bis zur Regierungsebene den usbekischen Despoten in Taschkent umtanzen, tragen jedoch politische Verantwortung für die Taten des zentralasiatischen Regimes.

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„Das liegt doch irgendwo in Russland“ oder „Samarkand?  Seidenstrasse?“ sind zwei häufige Antworten, wenn ich in Deutschland von meiner Arbeit in Zentralasien erzähle. Die Region zwischen dem Kaspischen Meer und chinesischer Grenze tut sich auch 20 Jahre nach der Unabhängigkeit schwer, einen Platz in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit zu erobern.Mich aber faszinieren Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan seit vielen Jahren, obwohl in den Redaktionen das ungeschriebene Gesetz gilt,dass Veröffentlichungschancen sinken, je mehr Stans in einem Satz vorkommen. Ich berichte aus dem Hinterland des Natokrieges in Afghanistan über Aufstände, Revolutionen,Wasserkriege und wie deutsche Politiker mit dem usbekischen DespotenIslam Karimow kungeln, um sich die Bundeswehrbasis in dessen düsteren Reich an der afghanischen Grenze zu sichern.Ich nehme die Ereignisse selbst in Augenschein und berichte in Zentralasien oft als einer der ersten, manchmal sogar als einziger, vom Ort des Geschehens. Sei es bei den zwei Machtumstürzen (2005 und 2010), und dem ethnischen Konflikt in Kirgistan (2010), dem Massaker in der usbekischen Provinzstadt Andischan (2005), den Ölarbeiterstreiks in der westkasachischen Steppenstadt Schanaozen und dessen blutigem Ende (2011), und den Gefechten in der tadschikischen Pamirprovinz Badachschan (2012). Ich, Jahrgang 1969, arbeite seit 1994 aus Zentralasien für Schweizer und deutsche Medien. Seit 2006 bin ich zudem dort als taz-Korrespondent tätig. Ich halte Vorträge zu Zentralasien und beteilige mich an Podiumsdiskussionen. Deutschland:+491795057442 Kirgistan:+996777565575

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