Expo der Sozialen Netzwerker: Web 2.0 erreicht Berlin
Die Crème des Web 2.0 trifft sich zur Expo - und schmiedet ihre Visionen vom sozialen Netz erstmals in Berlin. Szenen-Guru Tim O'Reilly mahnt, die neuen Dienste nicht den Großen zu überlassen.
Ein bisschen etwas Sektenhaftes hatte es schon: Überwiegend junge Männer in dunklen, schlecht sitzenden Anzügen lauschen einem Redner mittleren Alters, in schlichtem Pulli und Cargo-Hose, der enthusiastisch vom Ernten kollektiver Intelligenz spricht.
Dabei war es der Internet-Visionär und Buchverleger Tim O'Reilly, der mit seiner Rede auf dem Berliner Messegelände die Web 2.0 Expo Berlin eröffnete. Die Konferenz, die ihren Ursprung in San Francisco hat und nun zum ersten Mal auch in Berlin und Tokio stattfindet, gilt unter Anhängern und Beobachtern des Web-2.0-Phänomens als die zentrale Veranstaltung, zu der sich die Gurus der Internet-Branche versammeln.
O'Reilly, der 2005 den Begriff Web 2.0 geprägt hatte, nahm das zum Anlass, seinen Fans noch einmal zu erklären, was es mit dem Phänomen eigentlich auf sich hat. Unter dem Titel "Was die Leute immer noch nicht vom Web 2.0 verstanden haben" präsentierte er seine Thesen vom Web, das es als Plattform ermöglicht, Informationen von Millionen von Nutzern zusammentragen zu lassen sowie die Daten der Nutzer zu deren Vorteil - und natürlich dem des Unternehmens - zu nutzen. So habe es etwa Google besonders gut verstanden, seine Werbung an die Gegebenheiten des Webs anzupassen. Auch Googles Page-Rank-Algorithmus, durch den die Reihenfolge der Ergebnisse bei der Google-Suche zustande kommt, sei eine Form des Erntens kollektiver Intelligenz. Beim Google-Page-Rank werden Links von einer Webseite auf eine andere als eine Empfehlung verstanden. Verweisen viele Links auf eine Seite, gilt sie als entsprechend wichtig und wird höher gelistet.
Das Geschäft mit dem Web 2.0 gilt zurzeit als Boom-Branche. Web-2.0-typische Websites wie die Foto-Community Flickr oder die Video-Plattform Youtube wurden in den letzten Jahren für Millionen- oder gar Milliardenbeträge von den Internet-Megakonzernen Yahoo oder Google geschluckt, erst vor zwei Wochen kaufte der Software-Konzern Microsoft für 240 Millionen Dollar 1,6 Prozent der Anteile an der amerikanischen Social-Network-Plattform Facebook - das drei Jahre alte Unternehmen hätte damit einen Marktwert von 15 Milliarden Dollar. Google reagierte prompt und veröffentlichte gemeinsam mit einer Reihe anderer Social-Network-Plattformen einen gemeinsamen, offenen Standard für eine Schnittstelle namens "Open Social", was das Geschäft von Microsoft gefährden könnte. Auch in Deutschland investieren Medienkonzerne ins Web-2.0-Geschäft. So übernahm der Zeitungskonzern Holtzbrinck (u.a. Zeit, Handelsblatt) Anfang des Jahres das Studenten-Netzwerk StudiVZ - Brancheninsidern nach für einen Kaufpreis zwischen 50 und 100 Millionen Euro.
Doch der Euphorie seiner Zuhörer versetzte der Keynote-Sprecher O'Reilly auch einen Dämpfer. Er warnte, dass das Geschäft mit dem Web 2.0 zunehmend von den Großen der Branche gemacht werde. "Die Großen werden immer größer", kleine Unternehmen müssten ihre Ideen schnell umsetzen und sich darauf konzentrieren, wie sie sich durch das Sammeln von Daten, die die Nutzer generieren, einen Vorteil verschafften. O'Reilly nach könnten das auch Verbindungsdaten ihrer Kunden sein, die etwa Telefonfirmen dafür nutzen könnten, um soziale Netzwerke abzubilden. Die Telefongesellschaft könne so - ganz Web 2.0 - für den Kunden ermitteln, mit wem er eigentlich befreundet sei: "Wenn nicht klar ist, wer mein Freund ist - fragt mein Telefon." Auch Autoversicherer könnten anhand automatisch über Satellitennavigation und Internet erfasster Streckendaten angepasste Prämien berechnen. Dieser Gedanke stößt allerdings gerade im Datenschutz-sensibleren Europa auf Widerspruch. So zeichneten Datenschützer einen Hersteller dieser so genannten "Pay as you drive"-Technologie gerade im Oktober erst mit dem Big-Brother-Award als "Datenkraken" aus.
Den meisten Gästen, die regulär bis zu 1300 Euro für die Teilnahme zahlen, schien es zu gefallen. Web-2.0-typisch fanden sich schon während des Auftakttages etliche Beiträge in Weblogs der Teilnehmer sowie Fotos auf einschlägigen Foto-Plattformen. Der aus Zürich angereiste Entwickler Moritz Zumbühl etwa freut sich darüber, "den technischen Alltag hinter einem zu lassen und an neuen Visionen und Ideen weiterzudenken," fragt sich aber auch: "Wissen die Maschinen bald alles über uns?" Bis Donnerstag haben die Teilnehmer noch Zeit, diese Frage zu beantworten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen