Am Ende zermürbt: Müntefering tritt zurück
Der Vizekanzler tritt diesen Monat zurück. Der Politiker gab an, Grund sei die Krebserkrankung seiner Frau. Ursache war wohl auch das Gerangel ums ALG I. Scholz als neuer Arbeitsminister im Gespräch.
BERLIN taz/dpa Kaum ist die Änderung des Arbeitslosengeldes, um das Müntefering so lange mit Parteichef Beck gefochten hat, in der Koalitionsrunde besiegelt, da sickert die Nachricht von Franz Münteferings Rücktritt durch. Am Vormittag gegen elf Uhr bestätigt dann sein Sprecher: Müntefering tritt von seinen Funktionen als Vizekanzler und Bundesarbeitsminister noch in diesem Monat zurück.
Es passt zu Müntefering, dass er so lange wartet, bis die Entscheidung zum Arbeitslosengeld unter Dach und Fach ist. Damit ein Rücktritt nicht wirkt wie eine Flucht, sondern eben wie ein bewusster und kontrollierter Schritt. Für einen Pflichtmenschen und Parteisoldaten wie Münterering ist so ein Rückzug außer der Reihe ohnehin schon schwer genug.
Allerdings gibt es da noch die andere Sache: Münteferings Sprecher Stefan Giffeler erklärte, der Rücktritt erfolge "aus rein familiären Gründen". Seine Frau Ankepetra Müntefering ist seit Jahren an Krebs erkrankt. Erst in der vergangenen Woche musste sich Münteferings Frau einer Operation unterziehen. Aus diesem Grund blieb Müntefering auch dem vorletzten Treffen der Koalitionsrunde im Kanzleramt fern.
Mehr wird man vielleicht am Nachmittag wissen, wenn der Vizekanzler die SPD-Bundestagsfraktion schließlich die Presse über seinen Rückzug informieren will. Dem Vernehmen nach hatte Müntefering Kurt Beck und Fraktionschef Peter Struck bereits am Montagabend am Rande des Koalitionsausschusses über seine Rücktrittabsicht informiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde von ihm am Dienstagmorgen unterrichtet.
Nach dem Rücktritt von Franz Müntefering soll nach Berichten aus SPD-Kreisen in Berlin, Olaf Scholz Bundesarbeitsminister werden - und Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Funktion des Vizekanzler übernehmen. Scholz ist derzeit Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagfraktion.
Einige Sozialdemokraten hatten am Mittag den Parteichef selbst als Nachfolger ins Gespräch gebracht. Jedenfalls war es eben der Parteichef Beck, der Müntefering in den vergangenen Monaten demontierte, indem er die Agenda 2010 noch einmal aufmachte. Dabei war es im turbulenten Jahr 2003 die historische Leistung Münteferings gewesen, auch die Parteibasis bei dem Politikwechsel zu den Hartz-Beschlüssen mitzunehmen.
Seit im Mai 1999 das Amt des Generalsekretärs der Bundes-SPD für Müntefering geschaffen wurde, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, die Partei zur Gesellschaft hin zu öffnen, um sie zu bewahren. In seiner Vorstellung war die Modernisierung des Landes ohne die Sozialdemokratie nicht denkbar, doch dafür musste sich eben auch die Partei bewegen.
Nach der Wahl 2002 arbeitete Müntefering daran weiter als Fraktionschef, war maßgeblich an den Hartz-Reformen beteiligt. Und als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder feststellen musste, dass er in diesem Konflikt das Vertrauen weiter Teile der SPD in seine Person erschüttert hatte, und die SPD weiter an Wählergunst verlor, überließ er Franz Müntefering den Posten des Parteichefs. Denn die Partei glaubte fest an Franz Müntefering, an seine sozialdemokratische Seele, während Schröder längst als der "Genosse der Bosse" galt.
Wer sonst als Müntefering hätte nach der Wahlniederlage 2005 die SPD in die große Koalition führen können? Schneller als seine Genossen in der Führungsriege begriff er die neuen Realititäten und handelte in seiner Funktion als Fraktionschef fast geräuschlos die Große Koalition aus. Die Ironie besteht nun daran, dass es ausgerechnet die Kritik von links an der Agenda 2010 ist, die Müntefering mehr und mehr zermürbte - und ihn als Vizekanzler in Frage stellte.
Der Rücktritt aus diesem Grund wäre also verständlich. Schon seit einiger Zeit haben Beobachter über seinen Rücktritt spekuliert. Sicher wird es Müntefering in seiner Entscheidung beeinflusst haben, dass seine Frau schwer krank ist. Der alleinige Grund war es wahrscheinlich nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!