Reichstagsbrandstiftungen

Der Maler Sigurd Wendland will mit Plakaten des zündelnden Anarchisten Marinus van der Lubbe provozieren. Aber ob ihm das in der Abfackelhochburg Kreuzberg gelingt?

Viele Leute haben sich mit dem Reichstagsbrand beschäftigt. Erwähnt seien der Westberliner Feuerkünstler Kain Karawahn, der seit der letzten Brandstiftung von Jugendlichen in einigen Schulen den kreativen Umgang mit Feuer lehrt, sowie die Ostberliner Geigenbauerin Julia Dimitroff, die gleichzeitig „dienstälteste Radiopiratin“ der Stadt. Seit 1995 betreibt auch sie Reichtagsbrandforschung, mit der sie sukzessive die Spiegel-These aufweicht, wonach der durchgeknallte und halbblinde holländische Anarchist Marinus van der Lubbe der Alleintäter war. Sie veröffentlichte immer neue Details über den wahrscheinlichen Täter Wilhelm Brauser, „den vorher alle bloß als einen agent provocateur der Nazis hingestellt hatten, auch der Spiegel“.

Nun sind Kunstmaler, obwohl oder gerade weil sie so hoch übers Auge organisiert sind, keine besonders guten Leser. Dennoch ist es schon ein stark ignorantes Stück, wenn jetzt der Maler Sigurd Wendland plötzlich mit einem Ölschinken (210 x 150 cm) daherkommt, auf dem ein grinsender Brandstifter Benzin an den Reichstag kippt – und dann das Ganze „Wenn Marinus wieder kommt“ nennt. Weil Wendland diese Bild- und Titelidee so unwahrscheinlich gut fand, hat er sie auch gleich noch als Großplakat an einige ausgewählte Orte kleben lassen. Zum Beispiel in der einstigen Abfackelhochburg Kreuzberg, wo seine Plakate gleich an mehreren Stellen hängen.

Der 1949 in Münster geborene und an der HdK ausgebildete Wendland gehört zu den Berliner Neorealisten und ist mittlerweile ein bekannter Porträtist. Unter anderem ließen sich Joseph Weizenbaum, Hans-Christian Ströbele und F. W. Bernstein von ihm malen: „Ein Großformat mit Händen und Füßen kostet statt 4.900 nur 3.900 Euro“, heißt es dazu auf der Webpage des Künstlers, der vor seiner Plakataktion auch schon mit einer fahrbaren „Galerie am Straßenrand“ Werbung für seine Bilder gemacht hat. Vielleicht wollte er jetzt mit seinem „Marinus“-Großbild den Volkszorn hervorlocken.

In Berlin hat jedoch niemand etwas gegen einen neuerlichen Reichstagsbrand: Je eher die Politiker sich wieder zurück nach Bonn scheren, desto besser! Sie haben einen derartigen Rattenschwanz von unangenehmen Lobbyisten, Politikberatern und Absahnern hinter sich her gezogen (u. a. ganze Unternehmensberatungsfirmen, die auf weitere Privatisierungen hoffen), dass einem hier langsam, aber sicher jede Lebensfreude vergällt wird. Überhaupt ist „Hauptstadt“ etwas völlig Bescheuertes und „Reichstag“ der Gipfel, insofern hat der Künstler da ein durchaus richtiges Sujet-Gespür gehabt.

Aber statt auch nur ein bisschen zu recherchieren, was es denn mit der ersten Reichstagsbrandstiftung wirklich auf sich hatte, die schon allein wegen der Größe des Objekts gar nicht von einem Menschen allein ausgeführt werden konnte, hat er dabei nur dumpf die seinerzeit noch von Alt-Gestapos lancierte Version des Spiegel wieder aufgewärmt, mit deren Verteidigung der Münchner Staatshistoriker Mommsen sich bereits demeritierte. HELMUT HÖGE