Etwas sehr gewollt

Vor dem Freundschaftsspiel im Krisengebiet Paris probt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Köln schon einmal ein bisschen WM-Hysterie. Die Spieler bekommen ihre neuen Trikots für 65 Euro

AUS KÖLN BERND MÜLLENDER

Es sind aufregende Tage in Köln. Bundestrainer Jürgen Klinsmann zum Beispiel war in einer 4. Grundschulklasse umjubelter Gast. Sein Notenschnitt, gestand er, habe „um drei“ gelegen, sein schulisches Tun sei „wirklich Durchschnitt“ gewesen. Der zehnjährige Ben trumpfte auf: „Ich hab 2,1.“ Klinsmann: „Da kann ich nicht mithalten.“

Bei den Erwachsenen geht es ernster zu. Für sie gibt es täglich Pressekonferenzen rund um die DFB-Elf. Da wird Kapitän Michael Ballack gefragt, wen er sich als Gruppengegner 2006 wünsche und wen er fürchte. Weil die Frage von einer Frau kam, gab Ballack seine perfekt nichts sagende Antwort höflich lächelnd. „Man hat da selten Einfluss drauf.“ Seit Dienstag ist die deutsche Fußball-Nationalelf samt Entourage vorbereitungs- und werbehalber in Köln. Heute Vormittag bricht sie per Charterjet auf in den randalösen Pariser Nordbezirk von Saint-Denis. Dort wartet zum Testspiel Exweltmeister Frankreich (Samstag, 21 Uhr, ZDF).

Kölscher Kerntag war der Mittwoch mit großem Kino im Cinedom: Schon im Foyer Plakate überall, Kuranyi, Schweini und Co in neuen Trikotagen. Grimm und bös wie Terminatoren gucken sie, kernig kämpferisch. Ballack kommt als ostdeutscher Eastwood, martialisch mit Schatteneffekten und leicht schräg von unten fotografiert. Das Ausland wird eine Nähe zur Riefenstahl-Ästhetik finden.

Die Trikotpräsentation im Saal geriet zur Adidas-Werbeschau. Ein wortloser Werbefilm des DAX-Giganten, der 2006 „erstmals mehr als eine Milliarde Umsatz nur mit Fußballprodukten“ machen will: Applaus des Pressepublikums. Vier Nationalspieler betreten die Bühne ihres Ausstatters: Applaus. Der Adidas-Vorstandsvorsitzende („Ich bin einen Tag vor dem Wunder von Bern geboren“) spricht von „globalen Marken“ und von „geschäftlicher und emotionaler Waagschale 2006“: Man klatscht heftig. Distanz ist nicht. Es geht um Deutschland, um den Titel.

Dann kracht es und donnert. Goldener Konfettiregen. Bombastische Fanfarenstöße, Pauken, Bassgewummer. Aus dem Off eine Stimme: „Endlich ist es so weit, wir haben vier Jahre gewartet.“ Die neuen Trikots werden überreicht. Man darf darauf hinweisen, dass das Aussehen der leichten Klüfte seit Wochen wegen diverser Indiskretionen bekannt ist und Plagiate in China vermutlich schon millionenfach nachgenäht werden. Die Originale gibt es ab heute im Handel (65 €). Adidas kündigt seine „weltweit größte Marketingkampagne aller Zeiten“ an.

Zur Präsentation der Leibchen kommen Models auf die Bühne, die sie mit leichter Eleganz betanzen. Exweltmeister werden interviewt, um vom großen Tragestolz Bericht abzulegen. Horst Eckel (1954) empfiehlt „gute Kameradschaft“ zum Titelgewinn, Wolfgang Overath (1974) verblüfft mit besonderer Rechenkunst („Man muss nur Erster werden“), Rudi Völler (1990) steht da als Vorbild an Selbstlosigkeit: „Ich habe mein Endspiel-Trikot danach dem Masseur gegeben.“ Optimist Jürgen Klinsmann fasst so viel historische Erkenntnis psychosoziologisch zusammen: „In der jetzigen Generation haben alle den Traum, was Großes zu leisten. Und dann kommt noch das Mentale dazu.“

Pflichtschuldig nannte Klinsmann die Trikotagen „sehr gelungen“, Kapitän Michael Ballack wurde dialektisch: „Es ist einhellige Meinung der Spieler, dass es den meisten gefallen hat.“ Zu den Jerseys gibt es auch einen Film. Pathetisch, pompös, etwas sehr gewollt, sehr deutsch. Ab heute läuft der Spot im Fernsehen.

Am späten Nachmittag wurde sogar „ein Weltrekord“ aufgestellt. So nannte der Stadionsprecher von Müngersdorf („und woanders als in Köln wäre das möglich!?“) die 18.000 Menschen, die zum öffentlichen Training das Rund füllten. Sie wurden mit ortsspezifischem Liedgut beschallt („Viva Colonia“), sahen trabende Helden, viele aufgestellte Hütchen (sehr akkurat: Cotrainer Jogi Löw) und krachende Torschüsse mit auffallend vielen Unsicherheiten bei Keeper Jens Lehmann.

Fürs kölsche Lebensgefühl ganz wichtig: Lukas Podolski war der Erste, der begleitet von selten ekstatischem Teeniegekreische auf der Osttribüne einnetzte. Dies geschah exakt 212 Tage, 1 Stunde, 6 Minuten und 27 Sekunden vor dem Anpfiff zum WM-Eröffnungsspiel. Die Titel-Mission geht voran. Es wäre ja das erste Mal, dass die Stadt Köln, Oberschlesien (Gleiwitz ist Podolskis Geburtsort) und ganz Ostdeutschland gemeinsam Weltmeister würden. Leider gibt es fürs Frankreichspiel Sicherheitsprobleme in der Abwehr, weil Christoph Metzelder gestern rückenbedingt abreisen musste. Klinsmann orthopädisch-optimistisch: „Christophs Rückenprobleme sind kein Beinbruch.“ Es spielt womöglich Huth.

Selbst mit dem kantigen Abräumer bleiben die anderen großen Sicherheitsfragen. Da hat der DFB auf seiner Website „Empfehlungen für Fans“ geschaltet, wie man unversehrt ins Stade de France kommt. Nach Aussagen der Behörden bestehe dabei „grundsätzlich keine Gefahr“. Dabei gab es schon in Köln Sicherheitsprobleme. Die erbetene Polizeieskorte für den Mannschaftsbus wurde dem DFB von den Behörden abgelehnt. So steckte das Team im Stau, das Training begann mit fast halbstündiger Verspätung. Teammanger Oliver Bierhoff war sauer: „Ein Unding, ein Armutszeugnis.“ Der Weg zum WM-Titel ist beschwerlich. Das Fatale: Nächsten Sommer wird es auch auf dem Rasen noch Gegner geben.