Handball made in Magdeburg: Bangen im Bördeland

Der einst ruhmreiche SC Magdeburg steht kurz vor dem Absturz. Die Zerfallserscheinungen häufen sich - Interimstrainer Stefan Kretzschmar scheint auf verlorenem Posten.

Probleme an allen Fronten: Stefan Kretzschmar muss sich als Krisenmanager beweisen. Bild: dpa

Die Vergangenheit der Magdeburger Handballer hängt neben Zuschauerblock Z. Überdimensionale Trikots ehemaliger Vereinshelden haben in der Bördelandhalle über Jahre an die guten, alten Zeiten erinnert. Inzwischen wirken sie nicht mehr wie eine Gedächtnisstütze, sondern wie surreale Signale aus einer fernen Welt. Der SC Magdeburg, Gewinner der Champions League 2002, dekoriert mit mehr als zwei Dutzend Titeln, steht am Tiefpunkt seiner jüngeren Geschichte. Kritiker behaupten sogar, seine Existenz sei gefährdet.

Am Dienstag verloren die Magdeburger in der Bundesliga in Minden mit 31:33. Notstandsmeldungen werden bereits nüchtern aufgenommen, für Bestürzung ist vermutlich die Kraft geschwunden. Zuletzt haben die polnischen Nationalspieler Grzegorz Tkaczyk und Karol Bielecki um sofortige Auflösung ihrer Verträge gebeten; sie wollen ein halbes Jahr früher als geplant zu den Rhein-Neckar Löwen wechseln. Mit ihnen würde der letzte Schimmer einer goldenen Generation verblassen. Schließlich haben die großen Persönlichkeiten des SCM längst das Weite gesucht: Stefansson, Fritz oder Perunicic schon vor einer Weile, in diesem Sommer folgten ihnen Kuleschow, Abati, Roggisch, Bitter und Stefan Kretzschmar.

Der ist inzwischen ins Management gewechselt und vorübergehend sogar auf die Trainerbank, nachdem der polnische Coach Bogdan Wenta entlassen worden war. Kretzschmar sagt: "Es wäre zurzeit eine Illusion, über einen Titel zu sprechen." Die sportlichen Sorgen sind groß, die Streitigkeiten hinter den Kulissen sind scheinbar nicht zu bändigen. Die Magdeburger diskutierten nicht mehr über Tore und Siege, sondern über Intrigen, frisierte Bilanzen, Steuerhinterziehung, Zweckentfremdung von Fördergeld oder Bestechlichkeit.

Der langjährige Manager Bernd-Uwe Hildebrandt, der Ausgangspunkt des Niedergangs sein soll, musste seine Ämter im Verein und in der Handball-Bundesliga (HBL) niederlegen. Ihm wird vorgeworfen, die Titel der vergangenen Jahre mit hohen Schulden und krimineller Energie erzwungen zu haben. Hildebrandt bestreitet das freilich.

Sein Nachfolger kann sich vor Arbeit kaum retten. "Wir haben eine Krise an allen Fronten", sagt Manager Holger Kaiser. Zweimal schrammte der Verein an der Insolvenz vorbei, Sponsoren schlossen über die Nacht die Etatlücken. Der Branchenprimus THW Kiel, einst auf Augenhöhe mit Magdeburg, hat nunmehr einen fast doppelt so hohen Etat. Der SCM befürchtet einen ähnlichen Sturz wie 2005, als TuSEM Essen und der SG Wallau/Massenheim die Lizenz entzogen worden war - ihre Tradition war damals wertlos. Und als wäre das nicht schon genug, so müssen sich die Sanierungsbeauftragten auch noch mit einem Teil der Basis anlegen. 256 Mitglieder - drei Viertel von ihnen sollen erst vor kurzem dem Verein beigetreten sein - streben den Sturz des Klubpräsidenten Rolf Oesterhoff an. Der sah sich im Internetforum mit Vorwürfen konfrontiert, er habe Anhängern von Bernd-Uwe Hildebrandt Gewalt angedroht. Oesterhoff stellte gegen die Autoren Strafanzeige.

Die juristische Aufarbeitung dieser Kriminalgeschichten könnte sich noch Monate hinziehen. Da ist es für Stefan Kretzschmar fast eine Erleichterung, über die sportliche Misere zu sprechen, schließlich könnte der SCM, zurzeit auf Tabellenplatz elf liegend, nach acht Niederlagen noch in den Abstiegskampf geraten. "Die Mannschaft steht vor einem wichtigen Lernprozess", sagt Kretzschmar, der einen neuen Trainer sucht. "Es bildet sich eine ganz neue Hierarchie heraus." Die Magdeburger beginnen bei null. Sie schöpfen ihre Hoffnung nicht mehr aus teuren Transfers, sie suchen sie an der Basis, mit Hilfe von Talenten aus der Region. Der SC Magdeburg ist auf der Suche nach einer neuen Identität wieder bei seinen Wurzeln angelangt, notgedrungen, und so wird die Ahnengalerie in der Bördelandhalle wohl noch lange ohne einen Neuzugang auskommen müssen.

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