England verliert gegen Kroatien: Weckruf aus Wembley

England verliert 2:3 und ist nicht für die EM 2008 qualifiziert. Trainer McClaren muss gehen. Der Insel-Fußball hat die Chance, zu einem neuen Selbstverständnis zu kommen.

"Wir haben es nicht anders verdient": Geschasster Steve McClaren (unterm Regenschirm).

LONDON taz Der englische Nationaltrainer Steve McClaren klammerte sich verzweifelt an seinen Stuhl - nach Ende seiner Pressekonferenz blieb er einfach sitzen. "Ich übernehme die Verantwortung, werde aber nicht zurücktreten", hatte er den fassungslosen englischen Reportern gesagt, "es ist nicht der Zeitpunkt, meine Zukunft zu diskutieren." Er verweilte trotzig, um zu erklären, warum er sich nicht erklären wollte. Arbeitsrechtliche Interessen - es ging um 3,7 Millionen Euro Entschädigung - waren wichtiger als Logik und Anstand. Das passte trefflich zu dem Gesamtbild, das der englische Fußball im Wembley-Stadion abgab.

Schließlich räumte McClaren doch noch seinen Platz, zum letzten Mal. Am nächsten Morgen bestätigte der englische Verband, dass McClaren und sein Assistent Terry Venables ihrer Ämter enthoben waren. "Wir haben die ganze Nation im Stich gelassen", sagte Brian Barwick, der Geschäftsführer der Football Association, "ich möchte mich bei der Nation entschuldigen."

Es hätte nicht so kommen müssen. Israels Sieg gegen Russland hatte den Engländern die Karten für die EM 2008 hübsch verpackt vor die Haustür gelegt. Doch anstatt das Geschenk gelassen anzunehmen, liefen sie kopflos daran vorbei und ließen sich von den eigenen Ängsten und Unzulänglichkeiten überrollen. Nach einem unfassbaren Torwartfehler von Scott Carson (8.) und einem pfiffig herausgespielten Treffer von Ivica Olic (14.) schien der totale Crash unabdingbar. Der Seitenwechsel brachte mit der Umstellung auf ein 4-4-2 und die Hereinnahme von David Beckham einen Hauch von Stringenz ins Spiel der Hausherren; ein glücklicher Elfmeter (56.) und ein sehenswertes Tor von Peter Crouch (65.) retteten die Mannschaft, bevor sie sich wie ein spät begnadeter Todeskandidat vor lauter Verwirrung zurück auf den elektrischen Stuhl setzte. Dortmunds Stürmer Mladen Petric traf in der 77. Minute zum 3:2 für Kroatien. "Wir haben es nicht anders verdient", gab McClaren zu.

Nicht zum ersten Mal hatte die Truppe eine rätselhafte Todessehnsucht erfasst, man erzwang regelrecht das eigene Unglück. Seit die weltweit verehrten Helden der Premier League mit miserablen Vorstellungen in der Weltmeisterschaft scheiterten, hat Unsicherheit das Selbstbewusstsein aus der Kabine verjagt. Überschätzt waren sie immer, aber sicher besser als Schweden, Polen oder Russland, die allesamt zur Euro fahren. Dramatisch wurde das Problem erst, als mit McClaren ein überforderter Trainer die Leitung übernahm, der den Kickern nie Glaube oder ein funktionierendes System geben konnte. Die nach wie vor eklatanten taktischen und technischen Defizite vieler Nationalspieler werden in den Spitzenvereinen von ausländischen Kollegen und Übungsleitern kompensiert; in den Länderspielen aber offenbart sich, wie nackt selbst Granden wie Steven Gerrard im weißen Trikot dastehen.

Die Raumaufteilung der Engländer erinnerte an eine Londoner Kleinstwohnung, in der zwischen Küche und Schlafzimmer sieben Trennwände und unzählige Stufen eingelassen sind. Man stand so weit von den Gegnern und Mitspielern entfernt, dass außer hilflosem "Kick and Rush" gar nichts ging. "So einen Fußball hat man bei uns zuletzt in der zweiten Liga vor vierzig Jahren gespielt", wunderte sich der kroatische Verteidiger Vedran Corluka. Bilic appellierte für eine realistischere Einschätzung der englischen Fähigkeiten. "Ich habe hier gelesen, dass kein Kroate gut genug wäre, in eurem Team zu spielen", sagte der Ex-Karlsruher, "ich sage euch: Leute, wacht auf! Es bringt nichts, einen Sündenbock zu suchen. Wir waren einfach die bessere Mannschaft. Bitte wacht auf!"

Der Wecker klingelt jetzt. Endlich. England hat die Gelegenheit, zu einem ausgewogeneren Selbstverständnis zu kommen. Ein Anfang wurde gemacht. Als der Stadionsprecher den schwachen Lampard zum "Man of the Match" erklärte, gab es nicht nur Buhrufe. Viele der 90.000 Besucher mussten einfach lachen.

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