Die Politik hat total versagt

betr.: „Knüppel frei für Sarkozy“, taz vom 9. 11. 05

Eins ist klar, die Politik hat total versagt. Es ist in Frankreich aber weniger ein Problem der Integration und deswegen nur in Teilen vergleichbar mit deutschen Verhältnissen. Angefangen hat diese Tragödie damit, dass zwei Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei in einen Transformator geraten und dabei umgekommen sind. Es findet daraufhin eine große friedliche Demonstration gegen die Gewalt in den Banlieues statt, die sich für ein Miteinander und gegen die Gewalt der Polizei ausspricht. Kurz darauf kommentiert der französische Außenminister und gleichzeitige Präsident der „Préfecture“ des Departements, zu dem auch dieses Banlieue gehört, die Tragödie mit stigmatisierenden Worten über Jugendliche in den Banlieues. Am nächsten Tag, am heiligsten Tag der Muslime, der jedes Jahr im Ramadan-Monat gefeiert wird, wird eine Rauchbombe in die Moschee geworfen. Es ist noch unklar, wer es gewesen sein könnte … Diese Geschehnissen haben die Brände wie eine Lawine nach sich gezogen.

Es muss an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Autos nicht am Eifelturm, nicht am Moulin Rouge, nicht bei Nôtre-Dame und nicht beim Louvre brennen. Dort, in den Vierteln der reichen Bevölkerung, scheint die Welt noch immer in Ordnung, wenn man wie gewohnt, über das Elend anderer hinweg sehen kann.

In den Vororten brennen die Autos! Die Zerstörungen finden dort statt, wo es sowieso zu wenig von allem gibt. Dieser Krieg ist ein Krieg zwischen Arm und Reich. Es ist der Krieg zwischen den Klassen, die nicht mehr verleugnet werden können. Die Menschen finden nicht mehr zusammen, weil sie nach dem Kapital jagen. Immer mehr muss es sein. Heute arbeiten die, die Arbeit haben für drei, damit sie auch dreimal so viel Geld wie noch vor 10 Jahren verdienen. Ein scheinbar lebenswertes Leben kostet viel Geld. Das versucht uns das Kapital glauben zu machen. Und dabei steigt nur noch die Arbeitslosigkeit und noch viel mehr, was viel wichtiger ist, steigt die Armut! Es ist das Problem des Kapitals, das auf der einen Seite vorhanden ist und auf der anderen Seite nicht. Das Kapital selektiert heute zwischen den „survivors“, denen, die ein lebenswertes, kultiviertes Leben führen und führen dürfen, und denen, die es nicht können. Die Armut ist mitten in Europa angekommen, was nicht daran liegt, dass mehr arme Menschen nach Europa eingewandert sind. Es ist vielmehr das System, in dem das Kapital funktioniert. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer weiter, wobei die Armen immer mehr und die Reichen immer weniger werden. Nur so funktioniert der Kapitalismus!

Dass dieser Krieg genau hier im Herzen der europäischen Zivilisation beginnt, ist leider nur logisch. Hier in Paris leben Arm und Reich fast nebeneinander: Während die Armen abends aus dem Mülleimer des Supermarktes ihre Essensvorräte besorgen, wo das schlechte, überreife Obst und Gemüse entsorgt wurde, flanieren Reiche an den beliebten Boulevards und Sehenswürdigkeiten von Paris. Die Armen stehen schon da, überwiegend Frauen, und suchen, sobald die erste Fuhre Müll raus gekommen ist, mit ihren Händen den Müll nach Essbarem für sich und wahrscheinlich für ihre Familien ab. Sie beeilen sich, damit die andere ihnen nichts wegschnappt. Die Aufregungen am Grabbeltisch beim Schlussverkauf ist nichts dagegen, denn sie bemerken dabei nicht mal, wie schrecklich der Gestank dort ist …

Dieses passiert unweit vom Sacre Coeur, wo die Reichen ihren Urlaub verbringen, in den Cafés und Restaurants speisen, die so gepfefferte Preise haben, dass die Frauen an den Mülleimern Gutes für sich tun, wenn sie an ein vergleichbares Leben gar nicht erst denken.

In den Banlieues herrscht dagegen totale Tristesse, nicht mal Touristen. Die einzige Abwechslung bieten die Angebote der SozialarbeiterInnen, die ihr Möglichstes tun und bereit sind, noch viel mehr zu tun. Doch es reicht nicht. Der Kapitalismus in der hiesigen Form, hat die Perversion überschritten. Das Kapital ist der Evolutionsfaktor geworden. Es entscheidet über die Menschen, über Leben und Tod und über brennende Autos.

Die Jugendlichen, die dieses tun, sind ein Produkt dieser Perversion, weil sie in der Schere zwischen Arm und Reich leben. Sie kriegen durch den einzigartigen Werbefeldzug des Kapitals sämtliche luxuriösen Errungenschaften mit. Luxus wird tagtäglich in der Werbung und überall als größtes Ziel und als höchster Wert dargestellt. Vor allem in Paris. Die Pädagogik kommt gegen die Erziehung des Fernsehens nicht mehr an, und vergessen werden Werte wie Solidarität, Brüderlichkeit und Freiheit.

PolitikerInnen sind von Berufs wegen dafür zuständig sich genau um diese Probleme zu kümmern! Dafür werden sie gewählt!

SAKINE SUBASI, Paris