Hamas-Sprecher über den Nahostgipfel: "Ich garantiere für nichts"
Die Nahostkonferenz in Annapolis findet ohne die Hamas statt. Achmad Jussuf, Hamas-Sprecher in Gaza, sagt: Solange die Besatzung weitergeht, sind auch Selbstmordattentate möglich.
taz: Herr Jussuf, die arabische Welt schickt Vertreter zum Nahosttreffen in Annapolis am nächsten Dienstag, nur die Hamas bleibt zu Hause. Lassen die Araber sie mal wieder im Stich?
Achmad Jussuf: Keineswegs. Die meisten arabischen Länder schicken keine sehr profilierten Delegationen. Dass ist eine klare Botschaft an Washington und Palästinenserpräsident Machmud Abbas und zeigt, wie skeptisch sie der Konferenz gegenüber sind. Denn bis jetzt weiß niemand, welche Zutaten in diesen Kochtopf gepackt werden. Diese Konferenz ist wie Radfahren mit loser Kette. Die Teilnehmer treten ins Leere. Weder Bush noch Olmert noch Abbas werden länger als bis Anfang 2009 im Amt sein. Und was dann? Dann kommt Netanjahu und wirft das Annapolis-Papier auf den Müll.
Also wird bis 2009 gar nichts passieren?
Glauben Sie mir: Niemand ist gegen eine Friedenskonferenz, wenn sie ein faires Ergebnis haben kann. Wir wissen leider von früheren Konferenzen, dass sie den Palästinensern nie genutzt haben, im Gegenteil: Alle Konferenzen zielten darauf ab, den Palästinensern mehr Zugeständnisse abzuringen. Abbas ist schwach, er soll jetzt zu weiteren Kompromissen gebracht werden. Außerdem führt er sich auf, als sei er der einzige Vertreter des gesamten palästinensischen Volkes, dabei lebt die Hälfte der Palästinenser in der Diaspora. Abbas ignoriert sie.
Würde Hamas Friedensfortschritte verhindern?
Solange die Besatzung andauert, halten wir alle militärischen Optionen offen. Dafür ist unser bewaffneter Arm zuständig, die politische Führung entscheidet über das Wann und Wie.
Also wird Hamas wieder zu Selbstmordattentaten greifen?
Wir haben die Selbstmordanschläge infolge der internationalen Kritik eingestellt. Wir hoffen, dass die Welt das anerkennt, was unglücklicherweise bis heute noch nicht eingetreten ist. Jetzt warten wir erst einmal auf die Ergebnisse von Annapolis. Früher oder später werden Fatah und Hamas wieder zusammenkommen. Wir müssen zunächst die palästinensische Einheit stärken, anschließend können wir über die Art des Kampfes nachdenken, ob politisch oder militärisch.
Das heißt: Solange die Palästinenser zerstritten sind, haben die Israelis nichts zu befürchten?
Das kann ich nicht sagen. Ich garantiere für nichts. Wenn die Welt das palästinensische Leiden weiter ignoriert, müssen wir eine Krise schaffen, um den Westen zum Aufwachen zu bewegen. Die Palästinenser werden niemals aufgeben. Wir brauchen einen politischen Horizont, eine Hoffnung, dass die Besatzung morgen oder nächstes Jahr beendet sein wird.
Der israelische Verteidigungsminister hat Operationen gegen Gaza angekündigt. Grund ist der andauernde Raketenbeschuss. Warum stoppen Sie die Raketen nicht?
Die Raketen sind eine Reaktion. Es vergeht kein Tag, ohne dass es zu palästinensischen Opfern kommt. Die Raketen sind eine Verteidigungsmaßnahme. Sie sind lediglich ein Signal an die Welt, dass hier ein Volk lebt, dass unter Besatzung und unter Sanktionen leidet.
Glauben Sie, dass sie die Blockade von Gaza noch lange aushalten können?
Die meisten Leute werden noch immer von der PA (Autonomiebehörde) bezahlt. Es sind ungefähr 15.000 frühere Angestellte, die in Ramallah von der Gehaltsliste gestrichen wurden, weil sie mit der Hamas assoziiert sind. Wir zahlen deren Gehälter jetzt aus den Steuereinnahmen und Abgaben, die wir hier von der Bevölkerung einnehmen.
Bekommen Sie internationale Unterstützung?
Nein, Gaza ist unter totaler Blockade. Wir bekommen nichts von arabischen Ländern.
Palästinenserpräsident Abbas fordert die Hamas auf, den Gazastreifen aufzugeben, um anschließend erneute Verhandlungen über eine Nationale Einheitsregierung aufzunehmen. Werden Sie Gaza aufgeben?
Wir haben dem Präsidenten und unseren Brüdern in Ramallah die Hand zum Dialog ausgestreckt. Die Forderung der Fatah ist unrealistisch. Was hier in Gaza passierte, ist wie eine medizinische Operation, ein Angriffsschlag zur Verteidigung gegen Leute, die sich gegen uns verschworen haben. Nun, da Gaza von den Verrätern gereinigt wurde, können wir uns zusammensetzen und die Sicherheitskräfte auf der Basis von Professionalität und Patriotismus wieder aufbauen, ohne jede Parteienquote. Ich glaube, dass Abbas unter starkem Druck von den USA und Israel steht, die ihm sagen: Wenn du dich der Hamas näherst, dann schneiden wir dir die Kehle durch. Sie würden ihm den Geldhahn abdrehen.
Es gibt also keine Kontakte zwischen Hamas und Fatah?
Offiziell hat es noch keine Annäherung gegeben. Es gibt Leute, die hinter den Kulissen miteinander reden. Sudan, Ägypten, Jemen und Saudi-Arabien machen Druck auf Abbas, den Dialog mit uns wieder aufzunehmen. Unglücklicherweise ist dabei noch nichts herausgekommen.
Überfordert Hamas die Menschen im Gazastreifen nicht mit der Isolation?
Unser Volk versteht sehr gut, warum es leidet. Zuallererst aufgrund der Besatzung, die die Menschen unterdrückt, um sie zur Kapitulation zu zwingen. Es ist schon fantastisch, dass die Welt schweigt zu der politischen Isolation und dem Reiseverbot. Gaza ist wie ein großer Käfig, wir können weder über den Seeweg, noch den Landweg oder die Luft ausreisen. Und wir bekommen keine Rohstoffe, noch nicht einmal Zement. Viele Unternehmen werden bankrott machen, wenn sie nicht arbeiten können.
Es wäre leicht, die Blockade zu beenden. Sie müssten nur den Raketenbeschuss einstellen und die Existenz Israels anerkennen. Warum tun Sie das nicht?
Sehen Sie, wir haben die Erfahrungen aus 40 Jahren Besatzung. In all den Jahren haben wir es immer wieder versucht. Wir haben die Selbstmordattentate eingestellt - und nichts hat sich geändert. Dasselbe würde passieren, wenn wir mit den Raketenangriffen aufhören würden.
Hat die Hamas Pläne, auch das Westjordanland unter die eigene Kontrolle zu bringen?
Nein, solche Pläne gibt es nicht. Genauso wenig hat es einen Plan gegeben, den Gazastreifen unter Kontrolle zu bringen. Die Eskalationen waren nicht beabsichtigt.
Vor einer Woche starben neun Menschen bei einer Gedenkveranstaltung für Jassir Arafat. Warum schießen Hamas-Polizisten auf friedliche Demonstranten?
Die Hamas hat die Veranstaltung unterstützt. Es ging um Arafat, unseren Nationalhelden. Wir wollten auch ein Signal geben, dass die Hamas Meinungsfreiheit zulässt. Die Medien konnten sich frei bewegen.
Und dann wurde direkt in die Menge geschossen
Fast am Ende der Veranstaltung kamen die Kollaborateure, die aus Ramallah dirigiert wurden, und begannen Steine auf die Polizei zu werfen. Deshalb fanden diese kleinen Zwischenfälle statt.
Es sind neun Leute erschossen worden. Das nennen Sie einen kleinen Zwischenfall?
Es wurde aus verschiedenen Richtungen geschossen. Wir wissen noch nicht, was wirklich dort vorgegangen ist. Die Sache wird untersucht. Sobald klar ist, wer die Verantwortlichen waren, werden wir juristische Verfahren einleiten.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL
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