Brecht & Dessau an der Komischen Oper: Von der Muse geküsst
Kleine Bühne, ganz groß: Katja Czellnik inszeniert Bertolt Brechts und Paul Dessaus "Die Verurteilung des Lukullus" an der Komischen Oper.
Irgendeine gute Fee muss diese Komische Oper in Berlin geküsst haben. Seither gelingt ihr einfach alles, egal was sie spielt. Gluck, Offenbach, Johann und Richard Strauß, Lehar - was man glaubt, längst zu kennen und viel zu oft gehört zu haben, sieht auf dieser Bühne plötzlich so neu und überraschend aus, dass es sich lohnt, noch einmal darüber nachzudenken. Natürlich wird ein paar hundert Meter weiter an der Staatsoper fast immer grandioser gesungen und musiziert (und im Westen an der Deutschen Oper zumindest oft), aber wenn es um das sichtbare Theater geht, dann spielt die Musik eben doch hier, an der kleinsten der drei Berliner Opern.
Dieser selben guten Fee ist zu danken, dass hier selbst ein Werk lebendig wird, das eigentlich nicht mehr aufführbar ist: "Die Verurteilung des Lukullus" von Bertolt Brecht und Paul Dessau. Parteikader der DDR entschieden über die 1951, mitten im sogenannten Formalismusstreit uraufgeführte Endfassung, die dann schließlich in den Kanon der realsozialistischen Kulturpolitik aufgenommen wurde. Toter kann ein Kunstwerk heute gar nicht sein, aber die in Hamburg ausgebildete Regisseurin Katja Czellnik fegt den ganzen Ballast mit leichter Hand beiseite und lässt das Erbstück von der ersten Szene an ungebremst in unsere mediale Gegenwart hineinkrachen. Dort zerbricht es in tausend bunte, groteske und komische Einzelteile, die ein überraschendes, so sehr von aller Ideologie befreites Eigenleben entfalten, dass ein anderes, neues Bild entsteht: das Bild des (mittelmäßigen) Feldherren und (großen) Freundes guten Essens, Lucius Licinius Lucullus, im Jahr 57 vor Christus im Alter von 60 Jahren geistig umnachtet in Rom gestorben, das Brecht seit 1939 zu wiederholten literarischen Versuchen antrieb. Denn es stellte seinen eben erst angelesenen Marxismus auf die Probe. Was bleibt von diesem Mann, dessen Name sprichwörtlich wurde, vor dem Gericht der Geschichte?
Ganz sicher muss man ihn anklagen mit den brechtischen Fragen des lesenden Arbeiters, und Katja Czellnik überfällt uns mit einer Videoshow der allabendlichen Fernsehbilder von Kriegen, Machthabern und Volksaufmärschen. Schreiend deklamiert ein Kommentator Brechts Text mit der Nachricht vom Tod des Lukullus, ein PR-Einpeitscher versucht vergeblich, einer Reihe von Kindern das richtige Schwenken der Winkelemente beizubringen. Dann klappt die Projektionsfläche nach vorn und gibt den Blick frei in das Reich der Toten, das ein Art aufblasbares Riesenplanschbecken für Videokids ist. "Game Over" steht auf dem Fußboden, doch jetzt beginnt der Prozess. Die Schöffen des Volkes werden benannt, aber die Rollen des Anklägers, Verteidigers und Richters geraten durcheinander, weil Czellnik zu Recht diesem Geisterspuk nicht traut und ihn deshalb in ein einziges Tollhaus von Teletubbies und Pappsoldaten verwandelt.
Das ist wunderbar sarkastisch gegen die Vorgeschichte des Werks gerichtet und öffnet zugleich spielerisch leicht die tiefere Dimension des Brechtschen Textes. Das Gericht der Geschichte mag eine absurde Fiktion sein, aber motiviert ist es durch eine ganz und gar unideologische, tief melancholische Klage darüber, dass ein gutes Leben mit "Lamm à la Lukullus" immer erkauft ist mit Legionen von Toten, geschändeten Frauen und zerstörten Städten. Leise, aber beharrlich buchstabieren Czellniks nur vordergründig schreiend bunte Bilder die Frage nach einer erlösten Gesellschaft des Reichtums, die mit dem Urteil dieses Gerichts niemals erledigt sein kann. Damit stößt die Regie aber auch an die objektiven Grenzen dieses Werks. Denn Paul Dessau war schlicht taub für jeden Gedanken der zweifelnden Hoffnung, sein Orchester aus Schlagwerk, tiefen Streichern, Blech, Flöten, Klavieren und Akkordeon hämmert und trötet plump und armselig gerade gestrickt genau jene Besserwisserei in den Saal, gegen die Brechts Fragen einmal Einspruch erhoben haben. Natürlich steht vom ersten Paukenschlag fest, dass "80.000 Tote" zu viel sind für "einen Kirschbaum", Gefühle sind nur als sentimentale Kinderliedchen erlaubt, und wer immer noch aufmuckt, wird am Ende vom vollen Chor der Parteisoldaten zugebrüllt, die oben auf dem zweiten Zuschauerrang aufmarschieren.
So schließt sich historisch überaus gerecht der Kreis. Mit der grölenden Dummheit dieser Überwältigungsmusik kehrt die Inszenierung zu der ebenso grölenden Überwältigungsshow der Fernsehbilder zurück, mit der sie beginnt. Die Projektionsfläche, hinter der die Erlösung denkbar wurde, klappt hoch, Vorhang zu, alle Fragen offen, wie es sich bei Brecht gehört, dem man dafür sogar noch Dessau verzeiht.
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