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Kolumne Das SchlaglochJenseits von Blut und Bohlen

ARD und ZDF müssen viel offensiver als bisher ihre Internetangebote ausbauen. Nicht nur die Vollprogramme gehören ins Netz, sondern auch die Musik-, Hörspiel-, und Dokuschätze.

"Deutschland sucht das Superbaby": Drei knackige Endrundensieger ejakulieren in Reagenzgläser, eine Kandidatin gibt den Startschuss, und der mit den schnellsten Spermien gewinnt einen Monat "Wellness-Urlaub" mit ihr. Die Show ist ein Quoten-Renner - und das Realistischste in Hans Weingartners Film "Free Rainer". Wir werden derlei noch erleben, in our lifetime. Der Rest des Films ist ein subversives, komplett unwahrscheinliches Märchen über die Befreiung vom Quotenschrott-Fernsehen und den Zynikern, die es bedienen. Die Nation entdeckt das Reclam-Bändchen neu und die Unterschicht das Leben jenseits von Blut und Bohlen. Eine Posse vom Sieg der Aufklärung über den Profit - und vor dem Kino spielt die Tragödie der Öffentlichkeit.

Ich kenne keinen Politiker, der nicht zugegeben hätte, dass die Zerstörung des "dualen Mediensystems" der Demokratie schwere Schäden zugefügt hat. Duales Mediensystem, das hieß einmal: die Presse ist privatwirtschaftlich, die elektronischen Medien sind dem Markt entzogen und werden von den Repräsentanten der Zivilgesellschaft kontrolliert. Es war eine Ordnung, die auf Druck der Alliierten die Konsequenz aus dem teuflischen Dualismus von Hugenberg-Presse und Nazi-Rundfunk gezogen hatte; Lizenzpresse und öffentlich-rechtlicher Rundfunk bescherten uns für ein paar Jahrzehnte die beste Zeitungsszene und das - neben der BBC - beste Rundfunksystem der Welt.

Seit dem kommerziellen Urknall vor 25 Jahren wächst der Fallout an Trivialität und geistiger Flachware, sekundiert von Klagegesängen über Kulturverlust, die Politikerquote in den Räten und die Fixierung der Intendanten auf die Einschaltquote, für die es keinen rationalen Grund gibt. Schnee und Jammer von gestern. Der Kampf um die alte Öffentlichkeit ist verloren, der neue findet auf dem weiten, digitalisierten Feld statt. Und das eröffnet eine kleine Chance, einen Teil der medial analphabetisierten Generationen zu rekultivieren.

Mutter BBC, die ja gelegentlich skurrile Happenings wie einen musikfreien Tag veranstaltet, zeigt den Weg: www. bbc.co.uk ist die beliebteste Website Englands, geschätzt wegen ihrer Verlässlichkeit und ihres Schwungs. Daneben gibt es digitale nationale, und (anders als Deutschlandradio Kultur) überall gut hörbare öffentliche Spartenkanäle für Jugendliche, Migranten, Bildungsbürger. Gut vier Prozent der Gebühren gehen ins neue Terrain, kleine Pflöcke für eine neue nationale Agora im virtuellen Raum.

ARD und ZDF haben, mit Verspätung, begriffen, dass ihnen ihr Publikum entgleitet; sie stellen Sendungen aller Art ins Netz, ergänzen Talkshows durch digitale Foren. Sie wenden knapp ein Prozent ihres Etats dafür auf - und schon sieht Hubert Burda, der feingeistige Verleger von Focus und Lifestyle-Zeitschriften sowie Präsident der Zeitschriftenverleger, die "freie Pressekultur" bedroht durch die "uferlose Expansion der gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien". Sie möchte er - zumindest im Netz - in die Nische der "höheren Kultur" weisen. Der Anteil illiterater junger Menschen steige dramatisch an, klagt FAZ-Herausgeber Schirrmacher, der "ikonographische Extremismus" im Netz treibe auch andere Medien in Rohheit und zerstöre die "Bindungskräfte einer medial disparaten Gesellschaft" - und findet es unerhört, dass die ARD "Rezensionen, Kommentare und Tagebücher" ins Netz stellt.

Schirrmacher und Burda kritisieren die "Asymmetrie" der deutschen Medienwelt, "Enteignung der Verlage", tönen die Zeitungsverleger. Begleitfeuer kommt von den RTL-Chefs, die eine politische Beschränkung des "Funktionsauftrags" für ARD und ZDF fordern, ersatzweise die Reservierung des Netzes für ausschließlich werbefinanzierte Angebote. Die FDP warnt vor einem "wettbewerbsverzerrenden öffentlich-rechtlichen Multimediakonzern", Ministerpräsidenten von "Medienstandorten" plädieren für eine Deckelung der Online-Investitionen der Öffentlichen, und der Kommerzfernsehverband fordert neue Kontrollgremien, die verhindern, dass den Privaten im Netz "marktverzerrende" Konkurrenz entsteht - bei einem Netz-Marktanteil von ARD plus ZDF von 4,8 Prozent.

Das alles sind mit Verantwortungsfloskeln garnierte Versuche, so viel wie möglich von der neuen www-Wiese zu privatisieren. Die Klage über "Asymmetrie" durch ein mit sieben Milliarden "Beihilfen" finanziertes Radio und TV lenkt von einer grundlegenden Asymmetrie ab: der Subventionierung von Presse (9,4 Mrd.) und Kommerz-TV/Radio (9 Mrd.) durch die Konsumenten via Werbung. Gegen diese Versuche, sich das Medium der Zukunft zu reservieren, tut eine Rückwendung zur Grundidee des dualen Mediensystems unter den Bedingungen des Internet not. Dessen technische Spielräume ermöglichen im Prinzip ein von kommerziellen Interessen unabhängiges, alle erreichendes demokratisches Medium, das "bildet, informiert, unterhält".

Nicht nur die Vollprogramme von ARD und ZDF gehören ins Netz, sondern auch ihre Archive mit ihren Schätzen an Musik, Hörspielen, Dokumentationen, das akustische und visuelle Gedächtnis der Nation. Medien- und Kulturpolitik müssen neben all dem Kommerziellen, Unüberprüfbaren, Pornografischen ein Festland von Verlässlichem sichern. Der neue Kontinent braucht eine Raumordnung - und die Zeit dafür wird knapp. In drei Jahren soll in Deutschland der Rundfunkempfang insgesamt digitalisiert sein.

Eine mediale "Agenda 2010" ist nötig, die eine Lizenzpolitik nicht - wie bisher - nach vorwiegend wirtschaftlichen Kriterien installiert; die Lizenzen auch an qualitative Kriterien knüpft (brauchen wir Pornokanäle oder "Neun Live"?); die sich mit der Brüsseler Kommission anlegt, die Öffentlichkeit und Kultur wie jedes andere Wirtschaftsgut behandelt. Kulturstaatsminister und Kultusminister (Pisa!), die sich um den geistigen Zustand der Nation sorgen, müssen schnell antreten. ARD und ZDF sollten noch offensiver Fakten schaffen, als sie es jetzt tun - und auf die sechseinhalb Prozent Werbeeinnahmen verzichten.

Das Netz wälzt wie alle großen Innovationen alles Gewohnte und Sichere um. Riesige Probleme sind zu lösen: Urheberrechtsfragen; die Ökonomie von Qualitätszeitungen ohne Internetseite; die Frage, wie öffentliche Medien zu finanzieren sind, wenn das Gebührensystem kollabieren sollte. Es sind rechtliche und wirtschaftliche Fragen, vor allem aber solche der Demokratie.

Die Politik hat sich bislang dieser epochalen Herausforderung entzogen und sich mit Medienpopulismus, den Moderatorenparlamenten, dem Anwachsen des Mülls abgefunden. Es wird Zeit, dass die letzten aufrechten Lokomotivführer in den öffentlichen Anstalten kämpferischer auftreten. "Wer das Gefäß der Öffentlichkeit zerstört", schrieb Alexander Kluge, "ist ein Geschichtsverbrecher." Dass Sätze wie dieser nur noch in Filmkomödien vorkommen, lässt nicht gerade hoffen.

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2 Kommentare

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  • NM
    N. Morschhäuser

    Vielen, vielen Dank Herr Greffrath für ihren überaus gelungenen Kommentar. Dies ist meines Wissens der bisher erste und einzige Zeitungsartikel, der das Engagement der öffentlich-rechtlichen im Online-Bereich nicht verteufelt. Was deutlich macht, dass die TAZ im Gegensatz zu all den anderen Qualitätszeitungen tatsächlich eine unabhänige Meinung vertreten kann. Wie erfrischend, endlich eine Bewertung zu lesen, die frei von den Interessen großer Verleger ist. Hut ab!

  • AV
    Alexander van Essen

    Gut und richtig, dieses Plädoyer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bzw. für öffentlich-rechtliche Medien. Und das Internet ist groß genug um auch noch die Angebote von ARD und ZDF zu fassen. Von daher: Jawoll, immer rin damit. Die Herrschaften in den Anstalten werden das ?Schlagloch? mit Freude gelesen haben.

     

    Leider gibt es gute Gründe, das öffentlich-rechtliche Fähnlein nicht zu schwenken. Und die sind im öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst zu suchen und kommen in dem Artikel zu kurz.

     

    Erstens wäre es naiv zu glauben, ARD und ZDF wollten ihre Internetpräsenz ausbauen, um dem Wahren, Guten und Wichtigen eine Plattform zu bieten. Darum geht es nicht. Es geht darum, im Netz präsent zu sein und damit das Netz insgesamt als Rundfunk und in der Folge jeden ans Web angeschlossenen PC als Rundfunkempfangsgerät deklarieren zu können. Das ist meines Erachtens der einzige Grund, weshalb die ö.-r. Anstalten derzeit so massiv ins Internet drängen und der Sturm der Entrüstung in der Internet-Community (wer immer das ist) gegen den Rundfunkstaatsvertrag im vergangenen Jahr war (und ist) nur allzu begründet. Hier ist die Politik gefordert, das inzwischen völlig antiquierte Gebührensystem auf grundlegend andere Füße zu stellen. Da sich aber in dieser Hinsicht über einige wenige zaghafte Ansätze hinaus nichts tut, sollte es bei den gegenwärtig gültigen Regelungen heissen: ARD und ZDF haben im Internet nichts zu suchen.

     

    Zweitens kommen einem bei der Verteidigung des ö.-r. Rundfunks natürlich die löblichen Hervorbringungen in den Sinn: Tagesthemen, Reportagen, Die Sendung mit der Maus, Kontraste, Phönix, Kinderkanal undsoweiter. Diese Programme ? und jeder hat da seine eigenen Favoriten ? machen aber nur einen kleinen Teil des Programmbouquets (ja, so nennen die das) aus. Den Großteil der Gebührengelder verschlingen die mehrfach vorgehaltenen Infrastrukturen der Landesrundfunkanstalten, die zielgerichtet und durchaus im Sinne der Landesväter zu Heimatsendern ausgebaut werden. Brauchen wir das alles?

     

    Drittens muss man schon auf einem anderen Stern groß geworden sein um der Mär der Anstalten vom kostengünstigen Arbeiten auf den Leim zu gehen. Es liegt im Wesen von derartigen Anstalten, dass sie sich selbst immer weiter aufblähen. Und da können wir auch über die gesetzlichen Krankenkassen oder die Landesbanken reden. In den weichen Sesseln der Landesrundfunkanstalten sitzen viele, zu viele, die sich in der selbstgefälligen Rolle des Gralshüters von Kultur und Bildung gefallen ? und letztlich doch nicht viel mehr tun, als ihrer Pension entgegen zu sehen. Wäre hier nicht eine grundlegende Entschlackung notwendig?

     

    Hoffen wir also auf ?die letzten aufrechten Lokomotivführer in den Anstalten?? Eine schöne Vorstellung: Die letzten Aufrechten kämpfen für einen eigenständigen Programmauftrag, werden dann in eine eigene Anstalt ausgegliedert und den Rest privatisieren wir.