CDU-Parteitag: Merkel regiert das Reich der Mitte
Einst war die CDU kalt und neoliberal. Damit verlor sie fast die Wahl. Auf dem Parteitag in Hannover kuschelten sich die Konservativen deswegen allesamt an ein Wörtchen mit M.
HANNOVER taz Endlich mal einer, der mit der Mitte nichts am Hut hat. Der neue CSU-Chef Erwin Huber kommt in seinem Grußwort an den CDU-Parteitag an diesem Dienstagvormittag ganz ohne sie aus. Er nimmt das ominöse M-Wort nicht ein einziges Mal in den Mund.
Für Huber ist die Welt noch in alter Ordnung. Die SPD und alles links davon ist Sozialismus - CDU, CSU und FDP bilden das bürgerliche Lager. Mitte? Gibts beim CSU-Chef nicht. Sie hat keinen Platz zwischen den Fronten. "1976 habe ich mit dem Leitspruch 'Freiheit statt Sozialismus' Wahlkampf gemacht", sagt Huber. "Ich habe keine Scheu, mit dieser Alternative im Kopf auch 2009 in die Wahl zu ziehen. Ein Bundeskabinett aus Beck und Nahles, Roth und Trittin, Lafontaine und Gysi darf doch Deutschland nicht regieren." Und so wettert der Bayer in seiner Rede unaufhörlich gegen "Sozialisten aller Schattierungen". Er drängt die Union, die "geistig-politische Auseinandersetzung mit Links und Sozialismus" endlich wieder aufzunehmen.
Huber ist das Kontrastprogramm dieses Parteitags. Die anderen haben sich mit dem Mitte-Wort besoffen geredet. Alles und jedes war - Mitte. Der Preis für die wolkigste Definition gebührt dabei Fraktionschef Volker Kauder. "Politik der Mitte heißt, sich um alle zu kümmern." Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, formulierte es am Montag noch so: "Da, wo wir sind, ist die Mitte." Eigentlich bedeutet dieser Satz: Da, wo ich bin, ist die Mitte.
Weil die Umfragenkönigin zurzeit keinen ernsthaften Widerstand fürchten muss, kann sie fast im Alleingang bestimmen, was unter Mitte zu verstehen ist. Und Merkel ordnet unter Mitte einfach alle Entscheidungen ein, die sie in der großen Koalition trifft. Mehr Arbeitslosengeld für Ältere, mehr Mindestlöhne für Postler, mehr Kindertagesstätten - diese Politik mag bei vielen Wirtschaftsliberalen und Konservativen Unbehagen auslösen. Doch wenn "Merkel" draufsteht, dann wird diese Politik von allen abgenickt.
Es ging auf diesem Parteitag jedoch nicht nur darum, Kompromisse schönzureden. In der sanften Rhetorik der meisten Redner zeigte sich auch, dass die Partei aus dem miserablen Wahlergebnis von 2005 gelernt hat. Damals war die Union eben gar nicht mittig, sondern kalt, unsozial, wirtschaftsfreundlich. Heute vergisst kaum ein wichtiger CDU-Politiker mehr, seine Sorge um die sozial Schwachen zu erwähnen. Auch ein vormals strammer Reformer wie Roland Koch profiliert sich jetzt als Beschützer Deutschlands vor ausländischen Staatsfonds - und rät der CDU, sie müsse "Schutzmacht der Arbeitnehmer" sein. Deshalb fordert auch die Parteivorsitzende selbst, dass Arbeitnehmer "angemessen bezahlt" werden müssen. Und wenn sie neuerdings über die astronomisch hohen Managergehälter schimpft, dann klingt sie fast wie Franz Müntefering auf dem SPD-Parteitag vor vier Wochen. Keine Frage: Die vielen Schlenker nach links, die die CDU in ihrer Orientierung zur Mitte hin vollführt, sind nicht zuerst das Ergebnis großkoalitionärer Politik. Sie bedeuten vor allem eine taktische Anpassung der Partei an die in Umfragen dokumentierte Mehrheitsmeinung im Land.
Es wäre allerdings ein großes Missverständnis, daraus auf einen tatsächlichen programmatischen Linksruck der CDU zu schließen. Das konservative Publikum wird nach wie vor bedient, etwa mit dem Bekenntnis zur "Leitkultur" und der Absage an den EU-Beitritt der Türkei. Auch ihre Reformbeschlüsse vom Leipziger Parteitag 2003 hat die CDU keineswegs revidiert. Ob Kopfpauschalen im Gesundheitswesen oder radikale Steuersenkungen - all diese Wünsche stehen auch im neuen Grundsatzprogramm. So ist das Programm ein Stapel Papier, aus dem Merkel herausziehen kann, was ihr in der jeweiligen Situation opportun erscheint - je nach Koalition, je nach gefühlter Mehrheitsmeinung. Wie kühl sie dabei kalkuliert, machte Merkel auf dem Parteitag nur einziges Mal deutlich. Sie verteidigte das geplante Betreuungsgeld für Eltern gegen den offenen Widerstand aus der Frauen-Union. Insgeheim hält Merkel diese Herdprämie für falsch. Auf der Parteitagsbühne argumentierte sie jedoch nicht inhaltlich, sondern machttaktisch. Auf das in der Koalition gerade erst beschlossene Betreuungsgeld jetzt wieder zu verzichten, so Merkel, bescherte der SPD einen Sieg. Außerdem würde sich die CDU Ärger mit der CSU einhandeln. Ihre Partei verstand sofort - und stimmte dem Betreuungsgeld zu. So wurde es zu einer Art Begrüßungsgeld für Erwin Huber.
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