Der Zukunft müde

MEDIENKUNST Rohrpost und Papier – die Medienvergangenheit ist das Leitthema der diesjährigen Transmediale. Dabei wird man bei der Ausstellung und den Panels im Haus der Kulturen der Welt aber schon arg historisch

■ Noch bis Sonntag gibt es bei der Transmediale Performances, Konferenzen und Panels im Haus der Kulturen der Welt, wo auch die zentrale Ausstellung der Transmediale zu sehen ist. John-Foster-Dulles-Allee 10, Info: www.transmediale.de. Eine weitere Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien läuft bis 24. Februar.

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Das ist ja ein schönes Geknäule im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt. An einem langen weißen Tisch sitzen Ausstellungsbesucher mit Pappzylindern in der Hand. Sie besehen ihren Inhalt, dann verschwinden die Pappröhren wieder in dem Rohrpostsystem, das sich durch das ganze Gebäude schlängelt. Ab und zu hört der Besucher die Zylinder in den gelben Plastikrohren über dem Kopf hinwegzischen.

„Octo“ ist eine Installation des italienischen Mail-Art-Veteranen Vittore Baroni mit dem Berliner Telekommunisten-Kollektiv, die das Motto des Medienkunstfestivals Transmediale besonders platzgreifend in Szene setzen soll. Dieses Motto lautet nämlich griffig „BWPWAP“, die Abkürzung von „Back when Pluto was a Planet“. Der Himmelkörper Pluto verlor bekanntlich 2006 seinen Status als Planet.

Seither soll im Internetjargon der Ausdruck „Als Pluto noch ein Planet war“ eine idyllische „gute alte Zeit“ bezeichnen. In dieser beschaulichen Periode waren „Mobiltelefone noch nicht smart, Tweets kamen von Vögeln … YouTube war irgendein Web 2.0-Start-up … (und) nur Studenten nutzten Facebook“, wie es auf der Website des Festivals heißt. Um diese bukolische Medienvergangenheit soll es bei der diesjährigen Ausgabe des Berliner Medienkunstfestivals gehen – daher auch das historische Medium der Rohrpostanlage als Mittelpunkt der Ausstellung.

Moment mal, sollte so eine Festival nicht eine Art Leistungsschau des vorigen Jahres sein? Die tollsten Medienkunstwerke der allerjüngsten Zeit? So wie sie bei der Berlinale die besten neuen Filme zeigen? Wieso also diese Retromanie?

In postmoderner Schleife

Transmediale-Leiter Kristoffer Gansing will seine Schau als eine Kritik an der Fortschrittsideologie der Medienkunst verstanden wissen, als eine medienarchäologische Position in einer vergangenheitsvergessenen Szene. Nun hängt die Medienkunstwelt tatsächlich – so wie die übrige Kunstszene, so wie die gesamte populäre Kultur – seit mindestens zwei Jahrzehnten in einer postmodernen Schleife. Nicht vergangenheitsvergessen, sondern vergangenheitsversessen beschäftigt man sich immer pedantischer mit der eigenen Historie und entdeckt immer Obskureres und Ephemeres aus vorvergangenen Jahrzehnten wieder und wieder neu. Ein Fortschrittsfetischismus ist hier nicht zu konstantieren, sondern „future fatigue“, wie es der amerikanische Science-Fiction-Autors William Gibson genannt hat. Zukunftsmüdigkeit.

Eher wirkt das Programm der diesjährigen Transmediale so, als hätte man schlicht kein Interesse daran, sich mit der komplexen medialen Gegenwart auseinanderzusetzen. Es ist ja nicht so, dass es zu digitalen Medien oder Internet nichts mehr zu sagen gäbe. Smartphones und Tabletcomputer in den Händen von jedermann, vollgepackt mit einem undurchsichtigen Ökosystem aus Apps und Firmware. Internetfirmen wie Google und Facebook, die zu veritablen Staaten im Staat geworden sind. Data clouds voll mit Nutzerdaten und Userprofilen. Das wären einige der Themen, an denen sich eine Medienkunst, die Kommentar zur Gegenwartskultur sein will, abarbeiten könnte. Die aktuelle Kunst, die bei Großereignissen wie der documenta gezeigt wird, ist so mit den großen Menschheitsthemen wie Globalisierung, Migration und Gartenbau befasst, dass sie sich mit solchen Nebensächlichkeiten nicht beschäftigen mag. Darin liegt die Existenzberechtigung von Medienkunstfestivals wie der Transmediale.

Diese Existenzberechtigung scheint die Transmediale aber geradezu mutwillig verspielen zu wollen. Die Ausstellung des Festivals wirkt jedenfalls wie ein institutioneller Todeswunsch. Auf einer langen Wand werden in lockerer französischer Hängung ein Dutzend Arbeiten gezeigt, von denen nur drei aus dem vergangenen Jahr stammen. Ansonsten sind einschlägig bekannte Werke aus dem letzten Jahrzehnt zu sehen. Offenbar gibt es keine Künstler mehr, die zu den Medien der Gegenwart etwas zu sagen haben.

Hippe junge Kreative von heute wollen scheinbar nicht mehr am Computer hocken

Die Retrospektive der Amerikanerin Sonia Landy Sheridan ruft zwar verdienstvollerweise eine in Vergessenheit geratene Medienkünstlerin wieder ins Gedächtnis. Aber ihre mit dem Farbkopierer bearbeiteten Sandwiches sind auch nicht gerade dazu angetan, einen von der absoluten Notwendigkeit solcher künstlerischen Aktivitäten zu überzeugen.

Die Panels bei der Transmediale machen den Eindruck vollkommener Rückwärtsgewandtheit komplett. Die meisten von ihnen hätte so auch schon stattfinden können, als Pluto noch ein Planet war. Interessanterweise waren es die Veranstaltungen zu dem ganz alten Medium Papier, die den größten Erkenntnisgewinn brachten.

Auf der Transmediale 2013 erscheint Medienkunst so passé wie die alten Röhrenmonitore, die im Haus der Kulturen der Welt neben den Treppen vor sich hin blubbern. Hippe junge Kreative von heute wollen scheinbar nicht mehr am Computer hocken, sondern lieber als „Maker“ aus Abfall Einrichtungsgegenstände basteln, geschmolzene Plastiktüten zu Handtaschen „upcyclen“ oder beim „Urban Gardening“ in der Scholle buddeln. Die neue Popularität von DIY-Veranstaltungen, bei denen sogar wieder mit Pappmaché herumgematscht wird, ist bezeichnend. Wer das regressiv findet, muss am Rechner Grafikdesign produzieren und Websites programmieren.

Wenn es in der letzten Zeit wirklich kaum interessante Medienkunst gegeben hat, die man zeigen kann, stellt sich die Frage, warum die Transmediale eigentlich jedes Jahr stattfinden muss. Vielleicht würde eine zwei- oder dreijährige Veranstaltungsfrequenz der ausgelaugt wirkenden Veranstaltung neuen Elan verleihen. Der einst als Anhängsel der Transmediale gegründete Club Transmediale wirkt jedenfalls schon seit geraumer Zeit deutlich vitaler als das eigentliche Festival.