Brasiliens Umweltministerin fordert Klimagerechtigkeit: "Nicht freikaufen"

Brasiliens Umweltministerin Silva will illegale Entwaldung am Amazonas auf null reduzieren. Als Gegenleistung fordert sie von den Industriestaaten Geld - und die Einhaltung der Klima-Versprechen.

Wie ein Schweizer Käse sieht der brasilianische Urwald vielerorts schon heute aus. Bild: dpa

taz: Frau Silva, wenn man die Waldzerstörung einrechnet, ist Brasilien der fünftgrößte Emittent von Treibhausgasen. Wie lässt sich das ändern?

Der Schutz der Wälder spielt bei den Klimaverhandlungen eine wichtige Rolle, denn ihre Zerstörung trägt zu 20 Prozent zum Klimawandel bei. Auf Bali gab es zu dieser Frage eine erste Einigung: Mit der "Forest carbon partnership" hat die Weltbank einen Fonds zum Schutz der Tropenwälder gestartet - allerdings erst mal nur auf Probe. 200 Millionen Euro, die von willigen Geberländern stammen, soll der Fonds bis zum Jahr 2012 umverteilen. Australien, Japan, Großbritannien, die Niederlande und Norwegen haben bereits ihre Beteiligung zugesagt. Deutschland wird mit 40 Millionen den größten Anteil finanzieren. Zunächst sollen Pilotprojekte finanziert werden, um herauszufinden, wie Tropenwälder am effektivsten zu bewahren sind und wie der Schutz überprüft werden kann, sagte Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Was sich bewährt, soll später in die Verhandlungen für ein Kioto-Nachfolge-Abkommen aufgenommen werden, sagte die Ministerin.

Marina Silva: Unser Ziel ist es, die illegale Abholzung auf null zu reduzieren. Dazu haben wir in den letzten drei Jahren die Kontrollen verschärft und sind polizeilich gegen illegale Rodungen vorgegangen. Und wir unterstützen die Bewohner bei der nachhaltigen Bewirtschaftung des Waldes. Als Resultat haben wir in weniger als drei Jahren einen Rückgang der illegalen Rodungen um 65 Prozent erreicht.

Trotzdem werden immer noch riesige Flächen zerstört. Um die Abholzungen weiter zu reduzieren, fordern Sie auf Bali Unterstützung von den Industriestaaten. Warum?

Nach unseren Schätzungen hat Brasilien allein durch den Rückgang der Entwaldung in den letzten drei Jahren 500 Millionen Tonnen CO2 vermieden. Schon bei der letzten Klimakonferenz 2006 in Nairobi haben wir darum einen Vorschlag gemacht, der den Entwicklungsländern positive Anreize geben soll, ihre Emissionen aus Entwaldung zu reduzieren. Wir präferieren einen freiwilligen Fonds für die vermiedene Entwaldung, in den die Industrieländer einzahlen. Anders als beim "Clean Development Mechanism" (bei dem Industriestaaten durch technische Maßnahmen zum Emissionsrückgang in Entwicklungsländern beitragen) sollen sie dafür aber keine zusätzlichen Verschmutzungslizenzen bekommen.

Aber dies Modell zielt auf den guten Willen der Industrieländer. Warum sollten sie zahlen, wenn sie dafür keine Lizenzen bekommen, die sie in Europa handeln können?

Die Industriestaaten sollten keine Lizenzen bekommen, damit sie sich nicht von ihren eigenen Emissionen freikaufen können. Ich glaube, sie werden die Bedeutung dieses Vorschlags verstehen. Denn die Vernichtung des Regenwaldes ist eine Ursache für 20 Prozent des Klimawandels und gleichzeitig ist der Amazonaswald ein Opfer dieser Entwicklung. Denn der Klimawandel, der vor allem von den Industriestaaten zu verantworten ist, könnte die schlimmsten Konsequenzen für den Wald haben. Denn selbst wenn wir unsere Entwaldung völlig stoppen und die Industriestaaten weiter ihre hohen Emissionen behalten, bedeutet das die Zerstörung des Amazonaswaldes. Die Industriestaaten sind an diesem Prozess also beteiligt. Deshalb glauben wir, dass sie ein Interesse haben, uns zu unterstützen.

Und dieses Interesse ist so groß, dass sie ohne Gegenleistung Millionen zahlen sollen?

Wenn ich auf Reisen bin, sehe ich, dass überall im Ausland die Leute von der Situation am Amazonas betroffen sind. Wir bieten eine Gelegenheit, diese Betroffenheit in finanzielle Zusammenarbeit umzusetzen, damit die Entwicklungsländer ihre Entwicklungsstrategien ändern können, ohne die Fehler der Industriestaaten zu wiederholen. Unser Modell beruht auf der Idee der Klimarahmenkonvention: dass die Industrieländer den armen Ländern helfen sollen, ihre Technologien und Geld zur Verfügung stellen. Wir wissen, dass es für die Industriestaaten sehr schwer ist, von ihrem Entwicklungspfad von hohem Verbrauch fossiler Brennstoffe herunterzukommen. Für Entwicklungsländer wiederum, in denen viele Menschen in Armut leben, ist es sehr schwer, von ihrem Modell der Entwicklung herunterzukommen, das einen hohen Verbrauch von Naturkapital bedeutet.

Wann wird Brasilien Obergrenzen für seine Treibhausgas-Emissionen akzeptieren?

Wir reden nicht über die Zukunft, sondern über die Gegenwart. Wir haben die Entwaldung verringert und dadurch 500 Millionen Tonnen CO2 vermieden. Das sind 20 Prozent dessen, was die reichen Länder nach ihren eigenen Verpflichtungen erreichen wollten. In den letzten 30 Jahren haben wir durch den Strom aus Wasserkraft 600 Millionen Tonnen CO2 vermieden, die Beimischung von Alkohol in unserem Benzin macht 25 Millionen Tonnen aus. 45 Prozent unserer Elektritzität kommt aus sauberen Quellen - im Vergleich zu 6 Prozent in den reichen Ländern. Wir haben unseren Vorschlag gemacht, weil wir nicht in 50 Jahren einer der großen historischen Verschmutzer sein wollen. Wir haben nicht das Recht, die Fehler der Industriestaaten aus der Vergangenheit zu wiederholen.

Von wegen Fehler der Vergangenheit: Oft herrscht in Brasilien auch heute noch die Vorstellung, Entwicklung bedeutet, den Wald zu zerstören und Straßen zu bauen.

Diese Ansichten gibt es in Brasilien seit 400 Jahren, genau wie in Europa. In den letzten 20 Jahren ändert sich das, aber es ist kein einfacher Prozess. Das ist ähnlich wie bei den Industriestaaten, die auch weiter Auto fahren und mit ihren fossilen Brennstoffen die Atmosphäre aufheizen, obwohl sie wissen, was sie tun. Wir glauben, dass grundlegende Entscheidungen zu Straßen oder Entwaldung übergreifende Themen in der Regierung sein sollten. Wir sehen das bei der Ethanolproduktion: Gerade hat das Agrarministerium den Anbau von Biokraftstoff am Amazonas verboten. Wir haben genug Land. Wir können unsere Ethanolproduktion verdreifachen, ohne einen einzigen Baum zu fällen.

INTERVIEW: BERNHARD PÖTTER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.