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Kolumne ParallelgesellschaftMenschen ohne Opferschein

Warum ausgerechnet das Prekariat zum Jahreswechsel so sehr auf die Kacke haut? Darum?

taz

Jan Feddersen (50) ist Autor und Redakteur in den Ressorts taz.mag und tazzwei.

Die wollen doch nur spielen, sagt sich ja leicht, wenn man Angst hat vor Kötern, die kläffen und winseln, als gingen sie einem gleich an den Kragen. Und wollen die Kinder nur mal spielen, die mit großem Geschick Knaller und Böller aus Hauseingängen werfen - und zwar offenbar direkt in die Kapuzen von Passanten hinein? Wollten sie nur mal ausprobieren und sehen, wie es ist, wenn Junge und Alte, Omas und Opas sich zu Tode erschrecken? Seltsam, diese Silvesterlärmereien mitten in Neukölln. Haben nix auf der Naht, kaufen immer en gros, nie en détail im Discounter, aber für die Böller hamse jede Menge Kohle über.

Ich will sie natürlich verstehen, jede Nachbarschaft erlaubt alle Formen der Nah-Ethnologie. Die eine, vermutlich zehn Jahre jung, sagt, sie ziele ja nicht auf Menschen, sonst würde sie von ihrer Mutter zur Strafe in den Oberarm gekniffen und das tue echt weh. Der Junge, vielleicht elf Jahre, sagt, die sollten sich bloß nicht so anstellen, ist doch nur Spaß, wenn einem die Knaller um die Ohren fliegen. Und wenn sie genau dort aufschlagen, so einschließlich geplatzter Trommelfelle? Ey, Alter, ist dann Pech, hmmh, oder! Ja, klar, Alter!

Das mit der Armut nehm ich auch gleich zurück. Ist doch wahr, dass meine neue Heimat wie schon immer die Konsumavantgarde stellen wird. Neulich kaufte mein Nachbar, ein Pole, der sich der Eckkneipe angenommen hat, sodass sie nun eine gewöhnliche Bierschwemme mit leichtem Geldeinsatz ist, keine Spielhölle mit Drogenbodensatz mehr, der jedenfalls aus dem zweiten Stock erwarb, ohne mit der Wimper zu zucken, vom Fachhändler ein nagelneues Bose-Radio, weil sein Sohn sich neulich zu Weihnachten irgendwas gewünscht habe, bloß keinen Sony-Scheiß, sondern echt edle Ware. Und die haben sonst ja kaum zu knabbern.

Meine Nachbarin, die Alte von gegenüber, die Rente kaum überm Sozialhilfesatz, erwarb sich und ihrer Enkelin zum ersten Weihnachtstag Lachs aus Norwegen, garantiert nicht auf einer Farm aufgezogen. Auch nicht gerade billig. Da ist schwer mit der Spendenbüchse herumzulaufen, solche mit der Aufschrift "Brot statt Böller", weil, wie mir der Paketzusteller versicherte, Brot zu billig sei, um es anzujammern, und Böller machen wenigstens mal tüchtigen Krach, und keine Polizei kann von Nachbarn gegen Ruhestörung gerufen werden.

So ist das eben bei den niederen Ständen, die habens nur ausnahmsweise gern besinnlich, vielleicht zu Ostern, man weiß es ja nicht, wir erfahren über die Armen ja immer nur schlimme Dinge, nie ihre bellende Freude, ihr Dasein als Menschen ohne Opferschein, der, wie mir der neue Bistrobetreiber einbläuen möchte, ja scheiße auf der Haut klebt. Wenn sie denn schon kein Brot kaufen können, machen sie eben einen auf Kuchen mit Sahne, so scheint ist, und so ist es.

Die Müllleute von der BSR, die schnieken Jungs ohne Schmutzappeal, wissen auch dies. In Neukölln gabs mal wieder die meisten Pullen zu Weihnachten, die meisten Trinkgelder, da kann Schmargendorf nicht mithalten. Und in Neukölln, in dieser krass lichterkettenbehangenen Straße, sagen sie, sind auch die Kübel am vollsten. Alles vollgestopft, ungetrennt leider, macht zwar nur Arbeit, aber in der Papiertonne ist zu viel Plastik und im Restmüll all der Lebensmittelgammel, der beim Kochen übrig bleibt. Knochen vom Geflügel, Reste vom Wild, viel Gemüseverschnipseltes. Alles quillt über, hier ist der Wohlstand, der zu sich kommen wollte, vor allem zu den Festtagen, ob sie nun christlich sind oder aus allgemeiner Feierlaune stattfinden.

Das Bose-Gerät, "fümfhundert Euronen, Alter, kein Cent weniger", macht seither im Hinterhof, wenn bei Nachbars die Küchenfenster offen sind, Eindruck. Echt guter Resonanzraum. Neulich ein polnischer Schlagersänger, dann, darf das denn wahr sein?, die Netrebko auf einer Greatest-Hits-Schleife, schließlich auch Xavier Naidoo. Kennt sich einer bei den Armen, Mühseligen und Beladenen aus. Der Supermarkt im Einkaufszentrum signalisiert nur: Fastentage werden nicht gegeben. Die Kassen scheppern.

Fragen zur Kohle? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH

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