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Die Schweiz nach der WahlDas Blocher-Debriefing

Die Schweiz will nach der Abwahl von Bundesrat Blocher ihre politische Fixierung auf den Rechtspopulisten heilen. Dazu müsste sie ihr kulturelles Selbstverständnis neu befragen.

Spaltete selbst seine eigene Partei: SVP-Politiker Christoph Blocher Bild: rtr

Zur Documenta 2002 hat der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn in einem Migrantenquartier Kassels ein "Monument" für den Surrealisten Georges Bataille gebaut. Es war ein unsakrales Ensemble aus Brettern - eine Bibliothek, eine Ausstellung -, ein behaupteter Ort der Theorie in bildungsfernem Gebiet. Die deutschtürkischen Kids schrieben auf die Shantybuden: "Thomas Hirschhorn ist der Chef." Und: "Er ist klug, aber arm." In einem Punkt irrten die Jugendlichen. Denn Hirschhorn ist reich. Das Bataille-Monument aus der Problemzone soll für viel Geld nach Amerika verschoben worden sein. Und seine Berliner Galerie machte mit Hirschhorn schon vor der Documenta 2002 Millionenumsätze in D-Mark.

Das Gegenteil von Thomas Hirschhorn, außer in Sachen Reichtum, heißt Christoph Blocher. Ehemaliger Chemieindustrieller, Rechtspopulist, Kopf der Schweizerischen Volkspartei (SVP), abgewählter Bundesrat. Die Abwahl war Mitte Dezember ein Schock. Kaum zwei Monate nach den Parlamentswahlen, aus denen die SVP mit knapp 30 Prozent als Siegerin und die Sozialdemokratie mit nur mehr 20 als Verliererin hervorgegangen war, hatte das Parlament Blocher nicht mehr im Amt bestätigt. Normalerweise wäre das eine Formsache gewesen. Doch Blocher warf man eine Verhinderungspolitik und rüde Töne in der Exekutivbehörde vor, welche die kollegiale "Konkordanz" fast so stark gewichtet wie die Verpflichtung ihren Parteien gegenüber.

Die SVP sprach von der Missachtung des "Volkswillens", ihrerseits unter Missachtung staatskundlicher Grundlagen. Denn: Das Parlament wird vom Volk gewählt, der Bundesrat in einer großen Ampelkoalition, Zauberformel genannt, aber vom Parlament allein. Statt für Blocher entschieden sich die beiden Kammern für Eveline Widmer-Schlumpf, eine SVP-Regierungsrätin aus dem Bergkanton Graubünden. Und Thomas Hirschhorn, der die Schweiz unter Blocher künstlerisch boykottiert hatte, ließ verlauten, er werde von nun an wieder in der Schweiz ausstellen; während die SVP die neue Bundesrätin sowie ihren bestätigten Partei- und Bundesratskollegen Samuel Schmid aus der Fraktion ausschloss und ankündigte, nun in die Opposition zu gehen.

Parteipräsident und Blocher-Intimus Ueli Maurer gab im Zürcher Tages-Anzeiger vor wenigen Tagen Auskunft, wie die SVP nun ihre neue Politik begreife: "Wir werden zum Beispiel auf den Flugreisen der Bundesräte herumhacken oder auf den vielen Auslandreisen." Blochers Bruder Gerhard, Pfarrer und auch Soulbrother des Politikers, erregte kurz davor in einem TV-Porträt Aufsehen, als er über das Aussehen des SP-Parteipräsidenten lästerte und den Bundesrat einen Saustall nannte, den es auszumisten gelte. So reden die Köpfe einer schweizerischen 30-Prozent-Partei.

Mit der Abwahl Blochers wurde jedoch nicht die Zauberformel, sondern bloß eine ihrer Personalien korrigiert. Vom Schock her zu schließen, reicht dieser Vorgang tiefer in der geistigen Topografie des "Sonderfalls" Schweiz. Im Wahlkampf hatte man fast ausschließlich den klassisch rechtspopulistischen, also mal institutions-, mal fremdenfeindlichen Stil der SVP diskutiert. Das war nicht grundsätzlich falsch, aber seltsam schwach und sachfremd. Denn im Grunde drehte sich alles um die EU und Europa. Und das ist das größte Tabu in der Schweizer Politik überhaupt. Letztlich redet man in der Alpenrepublik auch von Europa, wenn man von Migration und von Kultur redet. Und genau diesen Themen hatte die SVP ihren Aufstieg von einer ländlichen Bauernpartei zu einem auch städtischen Player in den letzten 15 Jahren zu verdanken. Der in einer Volksabstimmung nur knapp verpasste Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum, für die Schweiz eine Vorstufe zur EU, markierte 1992 den Anfang des SVP-Durchmarsches.

Heute sperren sich Wirtschaftsliberale und sogar die Banken, eine EU-Beitrittschaft der Schweiz nur schon zu diskutieren. Der starke Franken mag dazu beitragen. Doch die Zustimmung der SVP bis weit ins liberale Lager hinein fußt auf der Vorherrschaft über das Europathema. Die politische Schweiz nach Blocher, die jetzt ein bisschen zu laut aufatmet und sich auf die Schultern klopft, bleibt eine Schweiz vor Blocher, wenn sie Europa nicht wieder aufs Themenparkett bringen kann. Hirschhorns und Blochers Wege haben sich schon einmal gekreuzt. Weil vor drei Jahren in einer Installation Hirschhorns im Pariser Centre Culturel Suisse ein Schauspieler als Hund andeutungsweise an ein Blocher-Bild gepinkelt hatte, strafte "Bundesbern" die staatliche Kulturstiftung Pro Helvetia unmittelbar ab - mit einer Budgetkürzung von einer Million Franken. Klar ging die Aktion auf die SVP zurück, doch öffentlich federführend waren Politiker der Christlichen Volkspartei (CVP). Hirschhorns Reaktion: Solange Blocher im Bundesrat sitze, werde er nie mehr in der Schweiz ausstellen.

Die Eidgenossenschaft jenseits der SVP vergisst gerne, dass die SVP nicht ihr einziges Problem darstellt. Gerade die simple Erklärung, die Rechtspopulisten würden allein mit Fremdenfeindlichkeit punkten, greift zu kurz. Blocher, der milliardenschwere Unternehmer und der polternde Patriot, das ist kein Widerspruch. Die SVP hat es wie keine bürgerliche Partei verstanden, den Traum der Teilhabe und der sozialen Mobilität des Bürgers bis in die Unterschicht zu tragen. Fremdenfeindlichkeit und die Floskeln schweizerischer Unabhängigkeit waren ihre unlauteren Mittel. Wie latent fremden- und kulturfeindlich auch die bürgerlichen Parteien sind, wird erst jetzt vielleicht wieder manifest werden.

Selbst in der Konsequenz Hirschhorns schlummert die Rhetorik des europäischen Sonderfalls, wenn man will: der hartnäckigen Dialektik von Eigenem und Fremdem, von welcher die SVP nur am auffälligsten zehrt. Denn Hirschhorn bewegt sich in einer viel älteren Matrix. Seit Gottfried Kellers "Der Grüne Heinrich" gehört der Gang über die Grenze und wieder zurück zur prägenden Bewegung der besten Schweizer Kulturschaffenden. Eine sprunghafte Auswahl: Keller selbst, Robert Walser, Jean-Luc Godard, Christoph Marthaler. Schweizer Kultur von Rang verstand sich selten als nur nationales Projekt. Dazu fehlt, nationalökonomisch gesprochen, zumal bei Literatur und Film, schlicht der Markt.

Die Hausse nostalgischer Mundartkultur auf den Quotenkanälen macht den Mangel an provinzieller Lockerheit erst richtig kenntlich. Denn kaum ein westeuropäisches Selbstverständnis ließ sich erst so spät nach dem Krieg irritieren wie das schweizerische. Das Blocher-Schöcklein vom Dezember wirkt wie eine homöopathische Dosis gegen Imageprobleme.

Die flächendeckende Bürgerbespitzelung, die die Fichenaffäre Ende der Achtzigerjahre ans Licht brachte, die Debatten um das Nazigold, um den Judenstempel, den Berlin auf Wunsch der Schweiz eingeführt hatte, sowie die nachrichtenlosen Konten in den Neunzigern, das Grounding der Swissair im Katastrophenherbst 2001, der Steuerstreit mit der EU und im letzten Wahlkampfherbst die halb seriösen Schlagzeilen seriöser ausländischer Zeitungen wie "Switzerland: Heart of Darkness?": Zeit, auch wieder mal etwas richtig gemacht zu haben. Weg mit Blocher aus der Regierung - weg mit dem Symptom. Der internationale Beifall war prompt groß.

Doch für das laute Klatschen ist es zu früh. Die CVP zum Beispiel, die sich als Wankelkraft in der Mitte rühmt, Blocher abgewählt zu haben, hatte in der Hirschhorn-Affäre einen radikal katholischen Zeichenbegriff demonstriert. Ein Schauspieler, der einen Urinstrahl auf ein Bild andeutet, ist ein Schauspieler, der Blocher anpisst.

Das erklärt sich aus der Eucharistie: Das Brot bedeutet nicht, sondern ist der Leib Christi. Dabei wäre gerade die Hilfe der Christlich-Sozialen notwendig, um das vorliegende Kulturförderungsgesetz im Frühjahr doch noch zu überarbeiten. Die versprochene Einführung einer Künstlersozialkasse etwa verschwand klanglos unter dem Tisch. Und die schematische Aufgabenteilung von Bund und Kantonen schiebt die Förderung von Kultur auf strukturschwache Regionen ab, während die Bundesebene sich um die Verbreitung kümmern will. Es ist ein Denken, dass davon ausgeht, dass die Künstler einsam in ihren Regionen sitzen und dichten, malen und komponieren. Vor allem aber: dass sie sie nie verlassen.

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