Weltsozialforum auf allen Kontinenten: Globalisierungskritik total dezentral
Erstmals verzichtet das Weltsozialforum auf eine zentrale Großveranstaltung. Stattdessen fanden die Aktionen in allen Teilen der Welt statt.
MEXIKO-STADT & PORTO ALEGRE taz Das Weltsozialforum hat erstmals auf radikale Dezentralisierung gesetzt. Auf allen Kontinenten fanden am Samstag hunderte Veranstaltungen der WeltbürgerInnenbewegung statt.
Besonders rege ging es dieses Jahr in Lateinamerika zu: So waren auf dem zentralen Zócalo-Platz in Mexiko-Stadt zwölf Zelte aufgebaut. In den Zelten diskutierten junge Aktivisten, Intellektuelle und Politiker fünf Tage lang über die "Krise der Zivilisation und das Ende des neoliberalen Modells", das "Menschenrecht auf Kommunikation" oder "solidarisches Wirtschaften".
"Die wichtigsten Themen sind Militarisierung, Repression und Menschenrechte", erklärte Eduardo Correa vom Organisationskomitee der taz. Er verwies auf die Konsequenzen der massiven Armeeeinsätze, mit denen der konservative Präsident Felipe Calderón derzeit gegen die Drogenmafia vorgeht: "Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen, Folter." Zum Abschluss des Forums demonstrierten die TeilnehmerInnen gegen den Freihandelsvertrag mit den USA und Kanada und für den Schutz der einheimischen Maisbauern - Tausende von ihnen waren vergangene Woche mit der "Maiskarawane" durchs Land gezogen und zur Schlusskundgebung in der Hauptstadt eingetroffen. Durch die Importe des "mörderischen" Monsanto-Genmaises werde die einheimische Artenvielfalt an Maissorten bedroht, sagte der Anthropologe Julio Glockner.
Für die Veranstalter war das Treffen zugleich ein Testlauf: Mexiko-Stadt, sozialdemokratisch regiert, bewirbt sich als Austragungsplatz für die übernächste, zentrale Großveranstaltung. Bürgermeister Marcelo Ebrard eröffnete das Forum, das auch im Wesentlichen von der Stadtverwaltung finanziert wurde. Wegen der starken Präsenz der Parteipolitiker blieben die zapatistischen Rebellen aus Chiapas dem Forum fern, Subcomandante Marcos schlug die Einladung zur Abschlussveranstaltung aus.
Im südbrasilianischen Porto Alegre, von 2001 bis 2005 viermal Schauplatz der Gegenveranstaltung zum Davoser Weltwirtschaftsforum, wurden die Spannungen zwischen den sozialen Bewegungen und der in Brasília regierenden Arbeiterpartei (PT) eher indirekt deutlich. Bei der einstündigen Minikundgebung in der Fußgängerzone dominierten PT-nahe Aktivisten, und Gewerkschafter. Kleinbauern, Umweltschützer oder Indígenas fehlten ganz. "Die Enttäuschung über die Regierung Lula hat viele Leute demobilisiert - aber hier im Süden kommt hinzu, dass wir mitten im Sommer sind", erklärte der Journalist José Weis die verhaltene Stimmung.
In 47 weiteren brasilianischen Städten waren Zehntausende auf den Beinen. Rio de Janeiro führte den globalisierungskritischen Reigen an. "Die Gesellschaft verändert man über Worte, Bilder und Töne - die drei Formen, die auch die Unterdrücker verwenden", sagte der Dramaturg Augusto Boal. In São Paulo wurde nach einer Inszenierung von "King Lear" eine Puppe von US-Präsident Bush verbrannt.
Frauenaktivistin Sonia Coelho verwies auf die Unterdrückung der Frauen im Iran, im Kongo und in Haiti, wo Soldaten der UN-Truppen an Vergewaltigungen beteiligt seien. An der Amazonasmündung in Belém, wo das WSF im Januar 2009 wieder als Großevent stattfindet, protestierten 6.000 Menschen gegen Umweltzerstörung und einen "neuen Kolonialismus".
In Santiago de Chile solidarisierten sich die DemonstrantInnen mit einem Hungerstreik von Mapucheindianern. In Bogotá stand die Forderung nach einem humanitären Abkommen und Friedensgesprächen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc-Guerilla im Vordergrund. Indígenas und Gewerkschafter riefen in Guatemala-Stadt zur Teilnahme am Amerika-Forum im Oktober auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!