Türkischer Premier in Ludwigshafen: Nach Brand droht diplomatische Krise
Der türkische Premier Erdogan hat den Brandort in Ludwigshafen besucht. Die Feuer-Ursache ist weiter ungeklärt. Doch eine diplomatische Krise bahnt sich an.
Brandgeruch hängt noch in den Seitenstraßen zwischen Danziger Straße und Rathausplatz in Ludwigshafen. Über 1.000 Menschen stehen dichtgedrängt hinter den Absperrgittern, meistens Deutschtürken. Sie warteten am Donnerstag auf Ministerpäsident Recep Tayyip Erdogan. Sie hatten Blumen, kleine Sträuße, Teddys, einen Eisbären und türkische Fahnen aufgehängt. Sie raten zur Besonnenheit. Sie trauern um die in dem Haus verbrannten und erstickten Menschen, darunter fünf Kinder.
Wenig später trifft der türkische Ministerpräsident Erdogan am dem Ort ein, von dem man nicht weiß, ob dort ein Unglück geschah oder Brandstifter am Werk waren. Edogan dankt der deutschen Feuerwehr und der Polizei für ihren Einsatz. Er steht dann lange vor dem Haus und sieht in die verkohlten Fensterhöhlen. In einer eindringlichen Rede mahnt er die Brüder und Schwestern in Deutschland zu "Bedachtsamkeit". Die Türkei sei eine "Zivilisation des Friedens und der Liebe". Er appelliert an die Medien, die Freundschaft mit Deutschland nicht aufs Spiel zu setzen. Unabhängig von Religion und Sprache, sagt er, "sind wir alle Menschen".
Der Besuch ist für Erdogan eine heikle Mission. Noch vor seiner Abfahrt nach Deutschland hatte Erdogan Sätze gesagt, die klingen, als gelte es eine bevorstehende diplomatische Krise einzudämmen. Erdogan macht klar, dass er die Entwicklung in Ludwigshafen genau beobachten werde. Falls es wirklich Brandstiftung gewesen sei, sagt er, müsse der Schuldige bestraft werden. In Anspielung auf die Kritik der EU an der Menschenrechtssituation in der Türkei, besonders der Situation von Christen, meint Erdogan: Er sei gegen Fremdenfeindlichkeit - in Deutschland genau wie in der Türkei.
Ursprünglich galt Erdogans Aufenthalt in Deutschland einem Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Erdogan wird jetzt mit Merkel hauptsächlich über die Lage der türkischen Migranten in Deutschland sprechen. Er will dabei die Beschwerden und Befürchtungen von Vertretern der türkischen Verbände zur Sprache bringen, mit denen er sich sowohl in Berlin wie auch in Köln treffen wird. Am heutigen Freitag ist in Berlin, am Sonntagabend in Köln eine Großveranstaltung mit dem Ministerpräsidenten der Türkei geplant. Es werden jeweils um die 20.000 Zuhörer erwartet.
Neben Erdogan haben auch Vertreter der türkischen Migranten in Deutschland vor vorschnellen Schlüssen und Schuldzuweisungen gewarnt. So sagte der Vorsitzende der türkischen Gemeinde Kenan Kolat, es sei völlig verfehlt, nun Feuerwehrleute zu beschuldigen oder gar körperlich anzugreifen, wie in Ludwigshafen geschehen. "Das darf nicht sein", sagte Kolat.
In Ludwigshafen klingen die Sätze der Menschen besorgt - und zugleich nervös. Bülent Özkcpli, einer der Hausbesitzer, der sich, Frau und Tochter Melda vor den Flammen retten konnte, will nichts sagen. Nur so viel: "Wohin wir nun gehen sollen, wissen wir nicht. Wir haben ein Stück Heimat verloren; nicht nur eine Wohnung." Zwei alte Männer aus der Nachbarschaft sind gekommen. Was geschehen ist, sagen sie, "keine Ahnung, ob Brandstiftung oder ein normales Feuer, kann ich nicht sagen. Wir wollen keine Lügen sagen."
Auch Berfin Degermenci wohnt in der Nachbarschaft. Die Schülerin sagt: "Es müssen ja nicht die Nazis gewesen sein. Und wenn, dann finde ich das richtig ehrlich schade." Sie denke, "dass die Menschen aus der ganzen Welt nicht so leben sollten, sondern sich respektieren, egal ob Türke oder andere". Ein andere Frau sagt: "Man weiß nicht, wer es war, das müssen wir abwarten, das war vielleicht auch Schicksal."
Auf der anderen Seite der Gitter, hinter dem Rednerpult hängen große Kränze.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod