Überführte Kriminelle frei: Demo gegen Jugendgewalt

In Bosnien sind 26 Jugendliche, die des Mordes überführt sind, auf freiem Fuß. Resozialisierungs-Einrichtungen fehlen. In Sarajevo protestieren Zehntausende.

Die aufgebrachte Menge bewarf Regierungsgebäude mit Eiern. Bild: ap

SARAJEVO taz Die Öffentlichkeit in Sarajevo ist erbost. Denn erneut kam es zu einem Mord an einem 17-jährigen Jugendlichen durch der Polizei bekannte gleichaltrige Straftäter. "Denis Mrnjavac könnte noch leben, wenn die Politik für Resozialisierungsmaßnahmen für jugendliche Straftäter gesorgt hätte", erklärte Polizeikommissar Miso Letic. Mehr als 10.000 Demonstranten trauerten am Samstag im Zentrum Sarajevos um die Opfer und forderten Maßnahmen gegen die Jugendkriminalität.

Die erboste Menge warf Eier auf Regierungsgebäude. Vor wenigen Tagen wurde der aus der 30 Kilometer entfernten Stadt Kiseljak stammende Denis in der Straßenbahn von drei Gleichaltrigen mit einem Messer angegriffen und getötet. Erschütternd: Keiner der Fahrgäste wagte es, den Mord zu verhindern. Und: Der 17-jährige Anführer der Gruppe, Nermin Sekiric, ist der Polizei als Gewalttäter bekannt und war schon zweimal verhaftet worden. Doch angesichts der fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten in einer Jugendstrafanstalt ließ die Polizei ihn wieder laufen. Mehr als 400 Teenager, die wegen schwerer Verbrechen angeklagt wurden, bewegten sich frei in der Hauptstadt Bosnien und Herzegowinas, 26 von ihnen seien als Mörder überführt, berichtete die Tageszeitung Dnevni Avaz.

Vor einigen Tagen haben drei 15-Jährige eine 72 Jahre alte Frau vor ihrem Haus angegriffen, mit Benzin begossen und angezündet. Die Frau starb im Krankenhaus. Am vergangenen Wochenende kam es zu einer Schießerei in einer Tanzbar, bei der ein junger Mann lebensgefährlich verletzt wurde. Am Freitagabend wurden bei einer Massenschlägerei im zentralbosnischen Kakanj sieben Menschen verletzt.

Obwohl es sich bei Denis um einen kroatischen Bosnier und bei der alten Frau um eine Serbin handelte, schließt die Polizei ethnische Hintergründe für die Taten aus. Vielmehr handele es sich um ein Phänomen der Perspektivlosigkeit der neuen Generation von Jugendlichen, die zudem keine Strafe zu erwarten hätten.

Auf der Demonstration wurde Unmut gegenüber der Politik nicht nur über die Jugendkriminalität laut. Die Unfähigkeit der ethnisch definierten politischen Parteien, die Probleme des Landes zu lösen, rief den wieder in Sarajevo lebenden bekannten Filmregisseur und Oscar-Gewinner Danis Tanovic auf den Plan. Er wolle zusammen mit Bürgern aus allen Volksgruppen eine neue Partei gründen, um die "Unfähigkeit, Korruption und nationalistische Begrenztheit der jetzt herrschenden Parteien zu überwinden", erklärte er.

Tanovic will vor allem aus dem Reservoir der Nichtwähler fischen. Der Unmut über die regierenden Parteien, die unfähig sind, Entscheidungen zu treffen - so in der Frage der wichtigen Polizeireform - , wächst auch nach Ansicht unabhängiger Beobachter und Diplomaten. Alle anderen Staaten des westlichen Balkan, sogar Kosovo und Serbien, machten Fortschritte in Bezug auf die Integration in die EU, nur Bosnien bleibt stehen, so die Sorge vieler Bürger.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.