Was heißt hier zügig?

STREIT UM DIE S-BAHN

Die Ringbahn könnte für eine ganze Generation von Schulkindern nicht existieren

Da stand der Grüne Stefan Gelbhaar am Rednerpult des Abgeordnetenhauses wie der ungehörte und unerhörte Rufer in der Wüste. Seit Jahren fordert seine Fraktion, dass sich das Land Berlin ausreichend S-Bahn-Wagen beschafft, damit es ab 2017 überhaupt noch einen nennenswerten S-Bahn-Verkehr gibt, wenn der Vertrag mit der S-Bahn-GmbH ausläuft – viele der jetzigen Waggons dürfen dann nämlich nicht mehr fahren. Unabhängig davon sollte die Suche nach einem Unternehmen laufen, das diese Züge dann durch Berlin steuert. Die rot-schwarze Koalition jedoch entschied, in einer Ausschreibung für die Ringbahn beides zu verbinden.

Jetzt aber hängt aufgrund von Bedenken des Kammergerichts genau diese Ausschreibung möglicherweise auf Jahre fest – und damit auch die Anschaffung neuer Züge. „Kriegt der Senat denn gar nichts mehr hin?“, fasste Gelbhaar am Donnerstag treffend die Stimmungslage auf der Straße zusammen. Kommt ja auch viel zusammen: Baudesaster am Flughafen in Schönefeld, S-Bahn, einstürzende oder zumindestens bröckelnde Decken in S-Bahnhöfen.

Der große Unterschied zum Chaos um den BER ist bloß: Das S-Bahn-Desaster hat unmittelbare Auswirkungen auf den Alltag und macht das Leben unangenehmer. Dass der Flughafen ein paar Jahre später eröffnet, trifft eine verhältnismäßig kleine Gruppe – diejenigen, die ihren neuen Job in Schönefeld sicher glaubten und nun teils vor dem Nichts stehen, sowie die Anwohner in Tegel, die nun noch länger und mit mehr Fluglärm leben müssen. Ansonsten aber gilt: Wer meint, fliegen zu müssen, kann das auch weiterhin tun.

Ganz anders ist das bei der S-Bahn. Da gibt es keine alte Bahn, die eben weiter fährt, wenn das mit der neuen nicht klappt. Selbst ohne den Einspruch des Kammergerichts ist die Ausschreibung so spät dran, dass zum Vertragswechsel 2017 allenfalls die ersten, aber längst nicht alle nötigen über 200 neuen Doppelwagen fertig und von der Prüfbehörde zugelassen sein können. Mit dem drohenden erneuten Verzug aber droht endgültig Schicht im Schacht in Sachen S-Bahn.

Gelbhaar gab im Abgeordnetenhaus wieder, was einer der Richter am Kammergericht formuliert haben soll: Er habe die Befürchtung, dass es eine ganze Generation von Schulkindern geben wird, für die die Ringbahn nicht existiert. Krass, aber alles andere als abwegig.

STEFAN ALBERTI