Liste mit Namen veröffentlicht: Dopingverdacht im Biathlon

Deutsche Biathleten unter Dopingverdacht: In einer anonymen Anzeige werden Sportler, Mediziner und Betreuer namentlich genannt. "Rufmord", sagen die Betroffenen.

Zeichen des Zorns - oder der Verunsicherung: Biathletinnen in Östersund. : dpa

ÖSTERSUND taz

In Österreich hat man bereits einen Namen für die Affäre gefunden: "Causa Alsergrund", in Anspielung auf den neunten Wiener Gemeindebezirk, in dem sich ein Labor der Firma Humanplasma, aber auch das möglicherweise mitbetroffene Allgemeine Krankenhaus (AKH) der Stadt Wien befinden. Die Sache hatte bereits im Herbst (23. November) mit einem Schreiben von Dick Pound an den österreichischen Sport-Staatssekretär Reinhold Lopatka begonnen. Der Chef der Welt-Antidoping-Agentur teilte mit, er habe davon gehört, dass in einer Wiener Blutbank namens Humanplasma Doping praktiziert würde. Zwei Rechercheure der ARD, unter anderen Hajo Seppelt, begaben sich nach Wien und starteten, zurück in Deutschland, eine sogenannte Verdachtsberichterstattung. Doch diese verpuffte, weil keine Beweise vorgelegt werden konnten. Nun liegen eine anonyme Anzeige vor und eine Namensliste mit 31 Sportlern. Neben sportrechtlichen Konsequenten könnte strafrechtlich ermittelt werden wegen Versicherungsbetrugs und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz.

Eigentlich wollte Andrea Henkel überhaupt nichts sagen. Kein Wort zu ihrem sportlichen Abschneiden nach dem Traumstart in die WM, die Henkel am Sonntag mit dem Sieg in der Staffel abrundete. Nach dem Verfolgungsrennen sagte sie keine Silbe zu den neuerlichen, nun erstmals mit Namen unterfütterten Dopingvorwürfen gegen deutsche Biathleten. Am Freitagabend hatte die Nachricht über eine anonyme Anzeige, die bei der Wiener Staatsanwaltschaft eingegangen war, die Flure im deutschen WM-Quartier "Quality" zum Beben gebracht. Zwanzig Stunden später verbuchte die 30-jährige Henkel ihr zweites Negativerlebnis nach dem 22. Platz am Donnerstag im Einzelrennen.

Am Samstag war sie wieder nur 22. geworden, hatte bei ihren acht Fehlschüssen im Massenstart noch zweimal öfter daneben gezielt als im Einzel - aber trotzdem gab sich die kleine Frau aus Großbreitenbach einen Ruck und kam mit verheulten Augen dahergestapft. Und der Kampf mit den Tränen ging für die sechsmalige Weltmeisterin weiter, während sie mit zitternder Stimme über die Namensliste mit den angeblichen Dopingsündern sprach, die das Boulevardblatt Österreich am Samstag veröffentlicht hatte. Eine Liste, auf der neben bereits zurückgetretenen Biathleten diverse deutsche WM-Teilnehmer stehen - auch Andrea Henkel.

"Das hat mich völlig fertig gemacht", schluchzte die Bundeswehrsoldatin und sagte: "Es geht eben nicht alles spurlos an einem vorüber, auch wenn man unschuldig ist." Jenseits des Entsetzens, das manchem der Staffelstarter am Samstag noch deutlich anzusehen war, reagierte der Deutsche Ski-Verband (DSV) wie gehabt: Den ARD-Bericht von Mitte Januar über deutsche Biathleten, die bei der Wiener Firma Humanplasma Blutdoping betrieben haben sollen, konterte der Verband kurz vor der Weltmeisterschaft mit einer eidesstattlichen Erklärung seiner Athleten. Nun visierte der DSV umgehend den nächsten schriftlichen Schwur seiner Skijäger an - inklusive gesteigertem Unschuldsbekenntnis: Denn jetzt sollen die Sportler nicht nur versichern, niemals Kontakt zu Humanplasma gehabt zu haben, sondern niemals irgendwo auf dieser Welt gedopt zu haben.

Alle WM-Starter, verkündete DSV-Sprecher Stefan Schwarzbach, hätten sofort zugestimmt, eine entsprechende Erklärung zu unterzeichnen. Wobei sich Jurist Thomas Bach, Deutschlands oberster Sportfunktionär, über den scharfen Gegenangriff seitens des DSV wunderte. "Mir ist es nicht in Erinnerung, dass Athleten schon einmal durch eine anonyme Anschuldigung ohne Beweise gezwungen werden, derart in die Offensive zu gehen", sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, während DSV-Präsident Alfons Hörmann die Doping-Anschuldigungen gegen die Biathleten als "böswillige Rufmordkampagne" abkanzelte.

Laut der anonymen, aber sehr detaillierten, sechsseitigen Anzeige sollen drei österreichische Transfusionsmediziner seit dem Jahr 2000 in Wien und Linz systematisch Blutdoping betrieben haben. Einer der Beschuldigten ist der seit längerer Zeit verdächtigte Wiener Arzt Paul Höcker, der in der Vergangenheit auch für Humanplasma tätig war.

Geballte Vorwürfe, die bei Deutschlands Biathleten nicht gut ankamen. "Einigen hier hat es die Beine weggezogen", sagte Männer-Bundestrainer Frank Ullrich. Und während sich Dreifach-Olympiasieger Michael Greis ("Ich bin aus dem Alter raus, wo man sich von so etwas fertig machen lässt") demonstrativ um Gelassenheit bemühte, fühlte sich der übernächtigte Staffelkollege Alexander Wolf ganz und gar nicht relaxed. "Das ist", empörte sich der 29-jährige Thüringer, "als wenn du morgens die Zeitung aufschlägst, und einer hat gesagt, du wärst ein Kinderschänder."

Ähnlich radikal äußerte sich auch der sonst so fröhliche Michael Rösch. "Da wird gerade versucht, eine Sportart in den Boden zu stampfen", glaubt der 24-jährige Zinnwalder, der "null Angst" vor den anstehenden Untersuchungen hat und stattdessen voller Pathos betonte: "Das Gute wird siegen."

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