Das Ende der Saatgut-Zucht

Bremer Wissenschaftler haben die Ausbreitung von gentechnisch verändertem Raps-Samen simuliert. Ergebnis: Eine „Koexistenz“ von gentech-freiem Raps und Gentech-Raps ist unrealistisch. Und die Saatgut-Züchter die ersten Leidtragenden

Es ist eine Illusion, wenngleich weit verbreitet: Gentechnisch veränderte und nicht veränderte Pflanzen ließen sich nebeneinander anbauen, ohne sich gegenseitig Schaden zuzufügen. Forschungsergebnisse Bremer WissenschaftlerInnen untermauern jetzt die Zweifel an der Illusion.

Denn die BiologInnen vom Bremer Zentrum für Umweltforschung und Umwelttechnologie entwickelten gemeinsam mit KollegInnen anderer Forschungseinrichtungen ein Computer-Modell, mit dem sich Pollen-Ausbreitung und Auskreuzung simulieren lässt – am Beispiel von Raps. Ihre Prognose: Wird gentechnisch veränderter Raps etwa in Norddeutschland in großem Stil kommerziell angebaut, dann wird sich die manipulierte Erbsequenz binnen weniger Jahre flächendeckend ausbreiten – mit dem Erfolg, dass es dann kaum mehr möglich sein wird, von gentechnischen Verunreinigungen freien Raps anzubauen.

Raps war eine der ersten Pflanzen, die Agrar-Konzerne wie Monsanto gentechnisch manipulierten, um sie gegen ein zusammen mit dem Saatgut verkauftes firmeneigenes Unkrautvernichtungsmittel resistent zu machen. Der kommerzielle Anbau dieser Sorten ist auch in Deutschland beantragt.

„Was Raps angeht wäre ich sehr skeptisch, dass man zwischen gentechnischer und konventioneller Landwirtschaft auf die Dauer zuverlässig trennen kann“, sagt Biologe Broder Breckling. Raps-Samen sind winterfest, im Boden können sie teilweise mehr als zehn Jahre überleben. Die leichten Pollen werden vom Wind bisweilen kilometerweit getragen, und Kreuzungspartner gibt es zuhauf: Raps ist ein Kreuzblütler und nahe verwandt mit Kohl, Rettich und Senf. Auch eine ganze Reihe von so genannten Ackerunkräutern, allen voran Ackersenf und Hederich, sind für Raps-Pollen empfänglich. Kreuzt sich die genmanipulierte Erbsequenz hier ein, wird sie so wiederum weiterverbreitet. Was nebenbei den unerwünschten Effekt hat, dass auch die Unkräuter dann gegen das Herbizid immun sind.

So genannte Sicherheitsabstände, wie sie das Gentechnik-Gesetz bisher rings um Anbauflächen genmanipulierter Pflanzen vorsieht, sind Breckling zufolge insbesondere im Fall von Raps keine dauerhaft wirksame Barriere. Selbst wenn das Gen-Raps-Feld noch von einem 800 Meter breiten Gürtel umgeben sein sollte, so Breckling, könne es dahinter noch zu nennenswerten Beeinträchtigungen, sprich Auskreuzungen, kommen. In Verbindung mit im Boden verbliebenen Samen, etwa von vorangehenden Raps-Aussaaten, könne so der derzeit gültige Grenzwert von 0,9 Prozent genmanipulierter Anteile unter Umständen auch im Nachbarfeld erreicht werden – dessen Ernte dann nicht mehr als gentechnikfrei vermarktet werden darf.

Noch schneller dürften die Züchter von Raps-Saatgut mit den genveränderten Pollen ein Problem bekommen. Für sie nämlich gelten weit strengere Kontaminations-Grenzwerte. Derzeit wird ein Drittel des bundesdeutschen Raps-Saatguts in Schleswig-Holstein erzeugt, gleichzeitig ist hier die Anbaudichte besonders hoch. Hält der Gen-Raps in Norddeutschland Einzug, warnt Breckling, sei „zumindest ernsthaft fraglich, ob man dann da noch Saatgut-Vermehrung vornehmen kann.“

An der Wand vor Brecklings Büro haben die WissenschaftlerInnen das grafische Ergebnis einer ihrer Modellrechnungen aufgehängt. Es ist eine Karte Norddeutschlands, unterteilt in quadratkilometergroße Kästchen. Die ForscherInnen haben einen Anbau von genverändertem Raps simuliert, unter Berücksichtigung der realen Rapsanbauflächen, der Landschaftsstruktur und des Mikroklimas: fünf Jahre auf jedem zehnten Acker, fünf weitere Jahre auf jedem zweiten. Je röter das Kästchen, desto mehr genmanipulierten Rapssamen finden sich im Boden. Das Ergebnis des virtuellen Freisetzungsversuchs: Nur noch ein Drittel der Fläche Norddeutschlands ist gentech-frei. Die Karte ist in großen Teilen dunkelrot. Armin Simon