Experte über islamische Demokratisierung: "Krieg ist das falsche Mittel"

Traditionelle Machteliten sind die größte Hürde für die Demokratisierung arabischer Länder, meint der Islamwissenschaftler Arnold Hottinger.

"Der Herrscher auf dem Porträt zählt wenig" sagt Arnold Hottinger. : reuters

taz: Herr Hottinger, die meisten arabischen Länder sind undemokratisch. Ist der Islam mit der Demokratie unvereinbar?

Arnold Hottinger, 81, war von 1961 bis 1991 als Nahost-Korrespondent für die Neue Zürcher Zeitung tätig. Der Islamwissenschaftler hat etwa 20 Bücher über die arabische Welt und den Nahost-Konflikt verfasst.

Arnold Hottinger: Das kommt darauf an, was man unter Islam versteht. Sicher ist der Islam des Mittelalters so wenig mit der Demokratie vereinbar, wie es das Christentum im Mittelalter war.

Viele befürchten: Gäbe es in der arabischen Welt freie Wahlen, dann kämen dort Islamisten an die Macht - und setzten die demokratischen Spielregeln gleich wieder außer Kraft. Wie realistisch ist diese Gefahr?

Auch der ägyptische Präsident Mubarak will ja nicht abtreten. Aber keiner weiß, was in Algerien passiert wäre, wenn das Militär dort 1992 den Wahlsieg der islamistischen Heilsfront akzeptiert hätte. Wahrscheinlich wäre die Entwicklung dort auch nicht problemlos verlaufen - aber immer noch besser als der Bürgerkrieg, der auf den Putsch folgte.

Sollte man die Wahlsiege islamistischer Parteien also akzeptieren und auf den demokratischen Prozess vertrauen?

Ja, absolut. Auch in Europa wurde die Demokratie erst durch einen langen Prozess gefestigt, der von Umstürzen und reaktionären Rückschlägen geprägt war. So ein Prozess kann nicht einfach verordnet werden, und der hat natürlich immer auch eine ökonomische Seite. Je schlechter es der Wirtschaft geht, umso schwieriger ist Demokratie zu verwirklichen - und umgekehrt.

Manche sehen im politischen Islam eine totalitäre Gefahr, vergleichbar mit Faschismus und Kommunismus. Was meinen Sie dazu?

Das hat mehr mit der Suche nach einem neuen Feindbild zu tun. Der Kalte Krieg hat eine große Zahl von Nutznießern hervorgebracht: Politiker, Geheimdienstleute, aber auch einfach Ideologen. Das Attentat vom 11. 9. hat diesen Leuten Auftrieb gegeben, die auf diese Kalte-Krieg-Psychologie eingestimmt und an politischen Spannungen interessiert sind. Die Neokonservativen in den USA im Gefolge von George W. Bush muss man zweifellos dazurechnen: Das waren mal professionelle kalte Krieger. Nun sind sie professionelle Terror- und Islambekämpfer.

Wie sollte man den islamistischen Terror bekämpfen?

Krieg ist das falsche Mittel. Denn militärische Mittel sind völlig ungeeignet, gegen Terroristen vorzugehen. Auf taktischer Ebene bekämpft man sie besser mit Polizeimaßnahmen, Infiltrationen und Geheimdienstarbeit. Und auf strategischer Ebene, indem man die Bedingungen ändert, auf deren Grundlage diese Ideologien gedeihen.

Viele meinen, durch Saudi-Arabien werde der religiöse Fundamentalismus gestärkt.

Ich glaube nicht, dass Saudi-Arabien wirklich so eine zentrale Rolle spielt, denn die Arabische Halbinsel ist letzten Endes ein Randgebiet. Das grundlegende Problem in der arabischen Welt scheint mir zu sein, dass dort nicht nur der einzelne Herrscher maßgeblich ist, also jener Präsident oder König, dessen Porträt in jedem Büro des Landes hängt. Auch die Hierarchien darunter sind sehr wichtig, die Familienclans oder die Stammeschefs. Das hat man ja im Irak gesehen, als der Staat zusammengebrochen ist - da kamen dann all die lokalen Machthaber und Warlords zum Vorschein, die jetzt um die Macht konkurrieren. Auch diese Machtstruktur muss sich ändern, wenn es eine demokratische Entwicklung geben soll. Das ist etwas, was die Amerikaner im Irak nicht bedacht haben.

In Palästina hat die Hamas eine demokratische Wahl gewonnen. Dennoch wollten Israel, die USA und die EU nicht mit ihr reden. War das richtig?

Ich glaube, das war ein Fehler: Die Europäer hätten nicht einfach den USA bei deren Boykott folgen dürfen. Man könnte diesen Fehler korrigieren. Aber dazu brauchte es etwas Mut. Der ist nicht gerade charakteristisch für die europäische Außenpolitik.

Warum war es ein Fehler?

Wenn man mit einem Volk reden will, das sich gerade mit einer sauberen Wahl für eine neue Führung entschieden hat, dann muss man das anerkennen. Dafür eine Vorleistung wie die Anerkennung Israels zu verlangen, das ging noch mit Arafat. Aber die Erfahrung der Palästinenser mit Arafat war eben, dass er nichts für seine Vorleistungen bekommen hat. Deswegen ist es sogar verständlich, dass die Hamas nicht mit Israel reden will.

Israel und die USA betrachten die Hamas als terroristische Organisation. Ist das denn falsch.

Die Wirklichkeit ist schillernder. Je nach Lage der Dinge kommen die Leute zum Zuge, die politisch etwas erreichen wollen. Oder aber die anderen, die auf Gewalt setzen. Das Problem ist, dass der Boykott der Hamas nur dem radikalen Flügel nützt. Der moderate Flügel hat nicht mehr viel zu sagen, denn der wird ja boykottiert. Die Radikalen haben aber immer noch ihre Raketen. Das ist nicht sehr konstruktiv.

Israel und die USA haben den Palästinensern einen Staat in Aussicht gestellt, der palästinensische Präsident Mahmud Abbas verhandelt mit ihnen. Wird es zu einem Frieden kommen?

Was Israel und damit auch die USA für die Palästinenser anstreben, das ist kein Staat, sondern ein Gebilde aus Bantustans. Beide wissen, dass man die Palästinenser nicht einfach vertreiben kann, wie das noch während des Kriegs von 1948 möglich war. Deshalb wollen sie sie auf die paar Gebiete konzentrieren, in denen sie ohnehin leben. Die anderen Gebiete, in denen die Palästinenser schwach vertreten sind, übernimmt dann Israel. Das hat mehrere Vorteile: Einerseits vermeidet man es, sich innerhalb der Grenzen eines ausgedehnten Großisrael eine große arabische Minderheit zu schaffen. Außerdem kann man die verschiedenen Bantustans unterschiedlich behandeln: Die netten dürfen in Israel arbeiten. Und die, die Raketen abschießen, werden bestraft. Das scheint mir der Zweck der Übung zu sein.

Was können die Palästinenser dagegen tun?

Was sie vermeiden sollten, ist Gewalt: Die ist immer Wasser auf die Mühlen der israelischen Hardliner. Die Raketen, die auf Sderot niedergehen, erlauben es Israel, seine harte Vorwärtspolitik zu begründen. Nie haben die Palästinenser weltweit so viele Sympathien gewonnen wie mit der ersten Intifada. Die war notgedrungen weitgehend gewaltlos. Ein solcher Widerstand wäre wahrscheinlich das Richtige.

Ein ziviler Widerstand?

Ja, nach dem Vorbild von Gandhi. Aber es ist dürfte schwer sein, das zu erreichen - schon allein weil Israel immer versuchen wird, Ansätze zum zivilen Widerstand zu brechen.

Israel hat doch die Siedlungen im Gazastreifen aufgegeben. Wäre das nicht auch im Westjordanland möglich?

Das waren nur wenige Siedlungen, rund 8.000 Menschen wurden evakuiert. Und es war nur ein Vorwand, um den Gazastreifen zu isolieren. Die UNO macht Israel zu Recht noch immer für die Lage in Gaza verantwortlich. Es wäre völlig anders, wenn Israel den Palästinensern die Verantwortung für die eigenen Grenzen überlassen würde. Aber da denkt man nicht einmal dran. Dabei ist die Frage, wer die Grenzen eines zukünftigen palästinensischen Staates kontrolliert, absolut zentral.

Wird es in absehbarer Zeit einen souveränen palästinensischen Staat geben?

Nein. Das war nicht Scharons Plan. Und das ist auch nicht Olmerts Ziel, der sich noch immer an Scharons Ideen orientiert.

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