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Montagsinterview"Ich bin nicht so der Urlaubstyp"

Während sich seine Branche ab Mittwoch auf der Internationalen Tourismus Börse (ITB) trifft, ist Stefan Loose unterwegs - derzeit in Malaysia. Loose ist so etwas wie ein moderner Eroberer. Seit mehr als 40 Jahren fährt er durch die Welt, vor 30 Jahren erschien sein erster Reiseführer: das "Südostasien-Handbuch". Mit seiner Hilfe zogen ganze Generationen von Rucksacktouristen durch Asien; an einst menschenleeren Stränden wuchsen in der Folge Hotelburgen. Einsame Gegenden gebe es weiterhin, sagt der 61-Jährige. Man müsse sie nur finden. INTERVIEW: GEREON ASMUTH und BERT SCHULZ

Stefan Loose hat schon vielen Backpackern den Weg gewiesen. Bild: AP

taz: Herr Loose, Sie sind der Pate der deutschen Backpacker. Reisen Sie noch mit Rucksack?

Stefan Loose: Ja. Aber ich hab mittlerweile einen, den ich auch rollen kann.

Ausgerechnet Sie machen den Trend zum Rollkoffer mit?

Ja, das ist doch bequem - und faszinierend: In Bangkok laufen inzwischen 50 Prozent der Backpacker mit Rollkoffer rum.

Aber der Rucksack ist doch das Erkennungszeichen der Traveller?

Ja, er ist fast ein Statussymbol. Aber es muss ja nicht mehr so ein altertümlicher Rucksack sein mit Alurahmen, wie die, die wir damals hatten.

Damals, das ist lange her. Wann sind Sie das erste Mal losgezogen?

Mit 15 bin ich zum ersten Mal in eine andere Kultur gekommen. Ich hatte beim Jobben in einer Schreinerei einen italienischen Gastarbeiter - wie man damals sagte - kennengelernt. Er hat mich zu seiner Familie nach Sizilien eingeladen.

Ihre Eltern haben Sie fahren lassen?

Die wussten: sonst verschwinde ich einfach.

Sie waren immer ein bisschen trotzig?

Ja - das war ja auch richtig, dass ich diese Reise gemacht habe.

Wieso?

Auf Sizilien bin ich zum ersten Mal in eine Großfamilie geraten - wirklich groß. Zum Essen saßen da 20 Leute zusammen an einem riesigen runden Tisch. Das war so völlig anders als in Deutschland. Hier gab es sehr viel Mief.

Lebten Sie da schon in Berlin?

Nein, in Bayern. Dorthin war meine Familie nach ihrer Flucht 1959 aus Sachsen gekommen. Nach Berlin bin ich 1967 gezogen, weil ich nicht zur Bundeswehr wollte. Ich dachte mir, ich nutze die Zeit sinnvoller, wenn ich mein Abi nachmache. Hier bin in die 68er Bewegung reingeschlittert.

Was waren Sie für ein Linker?

Ich hab mich immer den Undogmatischen zugehörig gefühlt, so leicht ins Anarchistische gehend. Ich war so ein Sponti.

War Berlin für Sie ein exotischer Ort?

Nur im Verhältnis zu Oberbayern. Ich bin damals schon per Anhalter durch Europa gefahren, auch nach Marokko und Algerien, die Kiffertour also.

Was hat Sie getrieben?

Das hat mich interessiert. Und ich wollte weg.

Auch aus dem brodelnden Berlin?

1971 hatte bei mir eine politische Frustration eingesetzt. Innerhalb der Linken gab es diese Fraktionierung: Jeder meinte, den Stein des Weisen gefunden zu haben. Dann erzählten einem die Leute: "Wir waren in Indien, das ist klasse." So ging das dann los. Hier von der Avus, vor dem Kontrollpunkt Dreilinden.

Sie sind nach Indien getrampt?

Über Iran, Afghanistan und Indien nach Nepal. Per Autostopp. Per Bus. Lkw. Dieser Hippietrail

der alternative Reisemainstream

hat mir die Augen geöffnet. Wir hatten ja immer über die Dritte-Welt-Problematik gesprochen, das war Teil der linken Bewegung. Aber wenn man nicht selbst dort gewesen ist, konnte man sich nicht unbedingt etwas darunter vorstellen. Dann wurde es - weil wir auch sehr billig gereist sind - sehr konkret. Afghanistan war absolutes Mittelalter. Diese Armut hatte ich mir gar nicht vorstellen können. Das war noch viel, viel brutaler als heute.

Wollten Sie etwas vor Ort verändern?

Nein. Ich hab mir gedacht: "Das hat ja überhaupt keinen Sinn - wo sollst du denn da anfangen?!"

Sie waren tief geschockt.

Ja. Ich bin bis zum Jahr 2000 nicht mehr nach Indien gefahren. Und habe versucht, was anderes zu finden: Ein Jahr später bin ich nach Bali. Dann kam Thailand.

Von was haben Sie eigentlich gelebt?

Taxifahren - sieben Jahre war ich in Berlin unterwegs, bis 1978. Da habe ich pro Tag 120 Mark eingestrichen. Das war viel. Leider habe ich das Studium sehr vernachlässigt.

Was wollten Sie werden?

Lehrer. Aber wegen der schlechten Abschlussnote habe ich keine Stelle als Referendar bekommen.

Lassen Sie uns raten: Sie sind abgehauen?

Ich bin 1974 auf eine richtig große Reise gegangen, mit der Transsib durch die Sowjetunion und bis nach Japan und Südostasien. 1975 bin ich mit einem Neuseeländer in Luang Prabang in Laos sechs Wochen hängen geblieben. Wir konnten nicht raus, weil in den umgebenden Bergen gekämpft wurde - es herrschte Bürgerkrieg. Man hat sogar die Artillerie gehört.

Das muss doch die Hölle gewesen sein?

Nein, überhaupt nicht. Es war ganz entspannt, denn in der Stadt selbst wurde nicht gekämpft. Wir haben einfach gewartet. Vielleicht waren wir auch ein bisschen naiv, dort hinzufahren

Und was haben Sie dort getan?

Man hat sich halt viele Gedanken gemacht, ist viel spazierengegangen, ich habe viel gelesen. Und ich habe angefangen, über einen eigenen Reiseführer nachzudenken. Nach fünf Wochen kam die Nachricht, dass am nächsten Morgen ein Konvoi losfahren würde. Unterwegs wurden wir noch als CIA-Agenten verhaftet und dieser ganze Mist.

Ihre Lehrerausbildung haben Sie nie beendet?

Als ich von der langen Tour zurückkam, wurde mir doch noch eine Stelle als Referendar angeboten - an einem Gymnasium. Da habe ich 1.400 Mark verdient. Nicht schlecht, dafür musst du 14 Tage Taxi fahren. Also ging ich 1977 in die Schule.

Und?

Der Unterricht hat mir sogar Spaß gemacht. Ich hatte auch einen guten Ruf - bei den Schülern. Nicht bei den Lehrern, weil ich doch eine etwas andere Auffassung hatte vom Unterricht. Von Lehrplänen habe ich zum Beispiel überhaupt nichts gehalten. Im Geschichtsunterricht habe ich Stoff, der für eine Stunde geplant war, auf drei Wochen ausgedehnt - zum Beispiel mit Rollenspielen. Dafür habe ich vom Rektor sogar Lob gekommen.

Sie kommen ja richtig ins Schwärmen.

Ja, ja, das hat mir auch Spaß gemacht. Aber das ganze Drumherum!? Das waren alles Beamte - die haben sich ausgeruht und jedes Jahr den selben Käse gemacht. Immerhin habe ich im Lehrerseminar meine spätere Frau Renate kennengelernt. Die hat sich auch für mein Buchprojekt interessiert, weil sie Geografie studiert hatte. 1978 sind wir erstmals zusammen verreist. Nach Borneo.

Und das Lehrerdasein?

Damit habe ich dann aufgehört. Seitdem beschäftigen wir uns zu zweit mit den Büchern.

Ihr erstes, das "Südostasien-Handbuch", erschien 1978.

Es gab keine Reiseführer auf Deutsch und gerade mal den ersten "Lonely Planet" auf Englisch. Den kannte aber kaum jemand.

Heute ist das anders: Auch dank Ihrer Hilfe sind weite Teile Asiens für die Backpacker erschlossen. Ihre Leser träumen dennoch von Entdeckungen in touristenleeren Gegenden.

Die gibts ja überall noch. Asien ist groß. Im Nordosten Thailands gibt es noch wunderschöne Ecken, wo man ganz allein ist. Auch in Indien oder Nepal. Man muss bloß suchen.

Ist nicht alles, was in den Reiseführern steht, erschlossenes Land?

Das ist richtig. Über unerschlossenes Land sollte man nicht schreiben.

Aber das haben Sie doch immer gemacht.

Wir haben immer versucht, uns zurückzuhalten. Bestimmte Regionen, von denen wir meinten, dass das nicht gut ist, wenn man etwas drüber schreibt, haben wir nicht erwähnt.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Die Perhentian-Inseln in Malaysia. In ersten "Südostasien-Handbuch" steht, da kann man hinfahren, man muss aber alles mitnehmen, vor Ort gibt es nichts. Ein Traum. 20 Jahre später schreiben Sie in Ihrem Reiseführer: "Eigentlich wünscht man diesen Inseln nichts weniger als noch mehr Touristen." Dafür haben Sie den Weg geebnet.

Ich nicht allein. Wenn das in anderen Reiseführern drinsteht - dann muss man mithalten. Dann kann man nicht einfach sagen, das existiere nicht.

Sie waren ein Getriebener?

Manchmal ja. Weil wir uns immer Gedanken gemacht haben, ob man da Leute hinschicken kann. Wir haben es manchmal allgemein formuliert, etwa so: "Geht an die Bootsanlegestellen, redet mit den Leuten." Wer kein Malaiisch sprach, konnte den Trip so nicht machen.

Das ist doch Verrat an den Lesern, die sich genau für diese Übersetzungsleistung einen Reiseführer kaufen.

Nein, ist es nicht. Die Masse von Touristen, die aufgrund des Führers gekommen wären, wäre nicht gut gewesen. Die Leute, die sich auskannten, die haben es ja gefunden.

Sie sind jetzt 61. Der typische Backpacker ist unter 30. Fühlen Sie sich nicht wie der komische Alte, der übriggeblieben ist?

Natürlich. Aber das ist spannend. Und wenn die erfahren, der ist schon sehr viel rumgekommen, und das schon seit mehr als 40 Jahren - dann wird man plötzlich sehr interessant. Die Leute fragen dann auch viel, und ich berichte.

Opa erzählt vom Krieg.

Ja, so kann mans nennen. Bloß, dass Gott sei Dank kein Krieg war.

Wollen Sie eigentlich nicht mal irgendwo ankommen?

Ich bin ja Nomade, Renate ist etwas bodenständiger. Aber wir kommen immer wieder an, hier in Berlin. Wir haben uns geeinigt, dass ich in den Sommermonaten hier bin.

Sie kämen ohne dieses Sommerlager aus?

Klar. Aber wenn man seine Beziehung schätzt, dann will man gewisse Kompromisse eingehen.

Andere Ehepaare streiten darüber, ob sie ans Meer oder in die Berge fahren.

Das ist für uns kein Thema. Der Streitpunkt ist eher: Wie lange bleibe ich in Berlin, ohne dass ich schon wieder ausbüchse?

Was ist Ihr nächstes Projekt - ein neues Buch?

Nee. Wir überarbeiten zwar jedes Jahr den "Thailand"- oder den "Malaysia"-Führer, ich möchte mich aber so langsam aus der Schreiberei verabschieden und andere, soziale Sachen machen.

Das wäre?

Wir wollen in einem Dorf in Nordostindien ein neues Schulgebäude bauen. Dafür muss ich noch Spenden sammeln. So 5.000 bis 10.000 Euro.

Jetzt, im Alter, machen sie also die Entwicklungshilfe, die sie mit 30 für unmöglich hielten?

Ja, das ist vielleicht ein späte Einsicht, aber sie ist auch an ein konkretes Beispiel gebunden. Der Lehrer dort verdient im Monat 30 Euro, so ein junger Typ, der eigentlich nicht qualifiziert ist. Aber er kann schreiben und lesen. Das ist das Wichtigste. Ich denke mir: Da unterstützt du gern eine Schule. Vielleicht habe ich mich ja im Kreis gedreht.

Machen Sie eigentlich auch mal Urlaub?

Ich bin nicht so der Urlaubstyp. Letztes Jahr wollten wir zwei Wochen in Goa am Strand liegen. Nach neun Tagen hatten wir die gesamte Umgebung abgegrast. Dann sind wir abgereist.

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