Die SPD in der Beck-Krise: Das Endspiel

Beck eröffnete den Kurs gegenüber der Linkspartei. Seit dem hält die Debatte über rot-rote Koalitionen und die Kanzlerkandidatur an. Eine Analyse.

Die SPD wackelt dank Kurt Beck und seiner Öffnung gegenüber der Linken. Bild: ap

Kurt Beck (59) ist kein Mann für historische Stunden. Der SPD-Chef schreibt Geschichte, hat öffentlich aber noch kein Wort darüber verloren. Hustet nur. Liegt seit neun Tagen mit Grippe im Bett. Hat seine Partei vorher in eine Grundsatzdebatte über das Verhältnis zur Linken getrieben. Verändert quasi aus Versehen die politische Landkarte der Republik. Den Plan, Andrea Ypsilanti mit den Stimmen der Linkspartei zur hessischen Ministerpräsidentin wählen zu lassen, plauderte er gegenüber Journalisten aus. Räumte das intern als "schweren Fehler" ein. Verteidigte aber die Öffnung zur Linken - ausgerechnet der konservative Pfälzer Beck, ein Rot-Gelber, kein Rot-Roter. Will nach der Bundestagswahl 2009 eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP schmieden und Kanzler werden. Muss jetzt schweigend mit ansehen, wie er in rasender Geschwindigkeit fast alles verliert - Glaubwürdigkeit, Autorität, vielleicht auch die Kanzlerkandidatur. Sein politisches Schicksal? Offener denn je.

Andrea Nahles (37) ist die vehementeste Unterstützerin Kurt Becks in der SPD-Führung. Nahles ist das Bollwerk der Linken in der Partei, auch wenn sie als stellvertretende Vorsitzende nicht mehr für den linken Flügel spricht; diese Aufgabe hat Björn Böhning übernommen. Die Linken um Nahles, Böhning und Wowereit sind mit Becks Führung zufrieden: Er nimmt die Partei ernst, er rückt sie, wenigstens gefühlt, nach links, er bessert die Agenda 2010 in einigen Punkten nach. Becks Kurskorrektur in Sachen Linkspartei feiern sie als "Quantensprung". In ihren Augen macht er damit den Weg frei für rot-rote bzw. rot-rot-grüne Koalitionen. Dennoch waren auch Nahles & Co. nicht begeistert von Becks ungeschicktem Alleingang. Sie hätten die Debatte lieber später eröffnet. Ihr ursprüngliches Ziel für ein rot-rot-grünes Bündnis war das Saarland 2009. Jetzt könnte es Hessen werden. Viele Linke warnen Ypsilanti jedoch: Das Risiko für sie und die ganze SPD sei zu groß.

Claus Möller (65) ist Chef des SPD-Parteirats. Dieser setzt sich aus Mitgliedern der Landesverbände zusammen. Das 110-köpfige Gremium ist das formal höchste zwischen den Parteitagen, im Alltag jedoch einflusslos. Es berät nur den Vorstand. Im jetzigen Kampf kommen Becks Truppen aber vor allem aus den Reihen des Parteirats. Dort liegt die Macht des SPD-Chefs - in den Ländern, in der Provinz, nicht bei der Funktionselite in Berlin. Der Parteirat bestätigte am Montag bei zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen den Beschluss, den Beck in der Vorwoche dem Vorstand abgerungen hatte: Die Landesverbände entscheiden selbst über Koalitionen. Die Frage der Kanzlerkandidatur sei von keinem einzigen Redner angesprochen worden, so Möller nach der Sitzung. Kritik gab es an Steinbrück, aber auch an Steinmeier. Mehrere Mitglieder warfen ihnen Illoyalität gegenüber Beck vor. Steinmeiers Kommentar dazu: "Niemand stellt den Beschluss infrage."

Die FDP will sie nicht wählen, deshalb setzt Ypsilanti auf die Linke. Bild: ap

Andrea Ypsilanti (50) würde in Hessen gern Ministerpräsidentin einer rot-gelb-grünen Koalition werden. Daraus wird nichts, die FDP verweigert sich. Deshalb plant Ypsilanti, sich am 5. April von der Linksfraktion mitwählen lassen. Das Problem: Sie hat vor und nach der Wahl gesagt, dass sie genau das nicht tun wird: sich von den Linken wählen lassen. Das noch größere Problem: die Heide Simonis-Gefahr. Ypsilanti tritt zur geheimen Wahl an. Bekäme sie zu wenige Stimmen und Roland Koch bliebe geschäftsführend im Amt, dann wäre Ypsilantis steile politische Karriere abrupt zu Ende. In Berlin wäre auch Beck dann nicht mehr zu halten. Das SPD-Führungschaos, das seit Tagen an die Wand gemalt wird, wäre dann böse Realität. Andererseits: Wird Ypsilanti gewählt, hat sie alle Chancen, aus der rot-grünen Minderheitsregierung einen Erfolg zu machen. Inhaltlich ziehen SPD, Grüne und Linke in Hessen in vielen Fragen (Bildung, Soziales, Energie) an einem Strang.

Frank-Walter Steinmeier (52) hält Becks Linksschwenk für einen strategischen Fehler. Kann das aber nicht laut sagen. Biss sich auf seiner Asienreise vorige Woche lieber die Zunge ab. Kein Wort zur Lage der SPD. Erst als der Spiegel schrieb, Steinmeier plane gemeinsam mit Steinbrück, Müntefering und Platzeck einen Putsch, um Becks Kanzlerkandidatur zu verhindern, brach er sein Schweigen. "Unsinn" nannte er den Bericht. Er musste das sagen, egal ob es solche Pläne gibt oder nicht. Er weiß, dass Königsmörder in der SPD keine Karriere machen. Außerdem taugt der kluge, integre, brave Steinmeier nicht zum Putschisten. Er bildet eine Achse mit Steinbrück, ist mit Platzeck befreundet, kann gut mit Müntefering - mehr ist da wohl nicht. Kanzlerkandidat würde er schon gern werden wollen, nicht jedoch im offenen Kampf gegen Beck. Als Außenminister ist er populär, aber reicht das? Er ist in der SPD nicht verankert und hat noch nie eine Wahlurne von innen gesehen.

Steinbrück bleibt bei seinem "Nein" gegenüber der Linken. Bild: ap

Peer Steinbrück (61) sagt deutlich, was er von Becks Kehrtwende hält: nichts. Der Finanzminister hat in mehreren Interviews seine Bedenken begründet. Die SPD dürfe sich nicht an der Linkspartei orientieren. Sie müsse in der Mitte Wähler gewinnen, nicht am Rand. Ihre Glaubwürdigkeit sei Grundvoraussetzung für ihre Strategiefähigkeit. Die Linkspartei dürfe weder in Hessen noch eines Tages im Bund Einfluss bekommen. "Ich will von denen nicht mitregiert werden", sagt er. Steinbrück hat keine eigenen Ambitionen. Bewies schon als Ministerpräsident in NRW eindrucksvoll, dass er die SPD-Basis vergraulen kann. Legendär seine Beschimpfung der Agenda-Kritiker als "Heulsusen". Steinbrück ist selbstbewusst, kompetent - und bei vielen Genossen verhasst. Hätte als Parteichef oder Kanzlerkandidat null Chancen. Sein Ziel: unklar. Im Sommer 2007, früher als andere, erklärte er Beck zum Kanzlerkandidaten. Hält er Steinmeier jetzt doch für fähiger?

Johannes Kahrs (44) ist Reserveoffizier und lässt es derzeit am lautesten knallen. Sprecher des Seeheimer Kreises, des Zusammenschlusses der konservativen SPD-Bundestagsabgeordneten. Seit zwei Wochen vergeht kein Tag ohne Kahrs. Kahrs und die Seeheimer sind gegen Kooperationen mit den Linken im Westen. Ihr Problem: Sie haben keine wirklich bekannte Führungsfigur und nur in Berlin Einfluss. Und: Ihre Positionen sind im sozialdemokratischen Kerngeschäft, der Wirtschafts- und Sozialpolitik, denen der Union sehr nahe. Problem Nummer zwei: Kahrs redet manchmal zu viel. Vor vier Tagen forderte er Beck auf, den gerade gefassten Beschluss zur Linkspartei zu kippen. Dieser offene Aufruf zur Revolte ging selbst seinen Seeheimern zu weit. Sie distanzierten sich von Kahrs: Eine "Einzelmeinung", betonten sie. Ein Sprecher von rund 80 SPD-Abgeordneten, der in Bild seine Privatmeinung vertritt - das wirkt sogar in der wirren Sozipartei total konfus.

Christian Lange (44) ist Sprecher der Netzwerker. Sie repräsentieren, wie die Seeheimer, etwa ein Drittel der SPD-Bundestagsabgeordneten. Die Netzwerker sehen sich selbst als pragmatisch, unideologisch, jung und modern. Kritiker halten sie für einen Karrieristenverein, der bislang keine einzige brauchbare programmatische Idee hervorgebracht hat. Die Netzwerker - aus deren Reihen Generalsekretär Hubertus Heil stammt - sind gegen die Öffnung im Westen zur Linkspartei. Seit ein paar Wochen koordiniert Peer Steinbrück die Aktivitäten von Netzwerkern und Seeheimern und damit die Mehrheit in der Bundestagsfraktion. Ihr Problem: In den Bundesländern haben sie nicht viel zu melden. Dort hält man, von Kiel bis Stuttgart, das Nein zur Linkspartei nach dem Glaubwürdigkeitsdebakel in Hessen für falsch. Und: Auch die Netzwerker wissen nicht, wo der Weg zur Macht verläuft. Vor der FDP auf die Knie zu fallen ist - siehe Hessen - noch keine Strategie.

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