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Die Mär vom AlphagirlDoping für das Selbstgefühl

Wird das 21. Jahrhundert weiblich? Mit Angstlust beschwören die Medien die neue Macht der jungen Frauen.

Die neuen Frauen: So aggressiv wie Kill-Bill-Braut Uma Thurman? Das wäre durchaus möglich. Die soziale Realität sieht anders aus. Bild: dpa

"Frauen wohnen im 21. Jahrhundert" steht auf der Bautafel in Berlin-Kreuzberg. Dahinter ein großes elegantes Gebäude mit geschwungener Fassade. Haha, haben Frauen in anderen Jahrhunderten etwa nicht gewohnt? Doch. Aber hier haben sie eben mal ein Wohnhaus selbst hochgezogen - und das ist dann doch nicht normal: Frauen wohnen nicht nur im 21. Jahrhundert, sie bauen auch ihre Häuser selbst. Männer dürfen übrigens auch mit einziehen.

Dass Frauen im 21. Jahrhundert auch bauen, hat schon viele Fantasien beflügelt. Nicht nur der Baumarkt Hornbach hat erkannt, dass fast die Hälfte seiner Kundschaft weiblich ist - und bietet nun Fliesenlegekurse für Frauen an. Auch Business-Coaches fragen Unternehmer streng: "Wie gut sind Sie auf den Megatrend Frauen vorbereitet?" Auf Marketing-Kongressen wird verkündet: "Gender sells!" Die Wirtschaft entdeckt die "female forces": Welche Autos, Aktienfonds oder Altersvorsorge bevorzugen Frauen? Man kann viel Geld verdienen, wenn man die alte Frage Sigmund Freuds "Was will das Weib?" einfach mal konsumistisch interpretiert - und den Frauen selbst stellt. Trendschamane Matthias Horx schließt daraus in großzügiger Verallgemeinerung: "Das 21. Jahrhundert wird weiblich."

Sind die Frauen tatsächlich so im Kommen, wie es eine Bundeskanzlerin und jede Menge Marketing suggerieren? Oder ist alles eher eine "optische Täuschung", wie die ARD-Moderatorin Anne Will die weibliche Welle auf den Fernsehschirmen nennt? Es gibt sie, die Indizien für den weiblichen Aufstieg. Es gibt aber vor allem auch viel Rhetorik, während der reale Fortschritt doch nur die alte Schnecke bleibt. Allerdings ist die Bewegung auf der Ebene der Rhetorik, des Diskurses nicht zu unterschätzen. Der Diskurs kann einen neuen Moment, einen neuen Schwung bilden, der der Schnecke Beine macht.

Die realen Fortschritte sind viel beschrieben: Seit dem Jahr 2000 überflügeln die Mädchen die Jungs in der Bildung: Nach dem jüngsten Bildungsbericht der Bundesregierung gingen 32 Prozent der Mädchen und nur 24 Prozent der Jungen mit Abitur von der Schule ab. Im Fach Medizin stellen Frauen mittlerweile den Großteil der Studierenden, in Jura, Mathe und den Ingenieurwissenschaften ist ihr Anteil zumindest gestiegen. Die Dienstleistungsberufe, traditionell eher eine Frauendomäne, werden wichtiger. In Zukunft werden Männer weniger zu arbeiten haben und Frauen mehr. Und langsam wächst eine weitere Erkenntnis: Frauen wirtschaften erfolgreich. In der Entwicklungspolitik hat man erkannt, dass in Frauen investiertes Geld, etwa in Mikrokrediten, sich stärker rentiert. In den Industrieländern zeigen erste Studien, dass Unternehmen besser wirtschaften, wenn gemischte Teams sie leiten. Warum nicht das Potenzial der gut ausgebildeten Frauen nutzen?, fragt nicht nur das bundesdeutsche Forschungsministerium.

Schön. Allerdings kommt die Feier der Alphamädchen und ihres Megatrends in den Medien doch etwas früh. Ältere Spaßverderberinnen erinnern daran, dass der erste Megatrend Frauen bereits Anfang der Neunziger ausgerufen wurde, weil angeblich ein akuter Führungskräftemangel ins Haus stünde. Allerdings entdeckte die Unternehmenswelt kurz darauf das "lean management" - und brauchte nicht mehr, sondern weniger Führungskräfte.

Und: Die jungen Newcomerinnen kann man vor allem dann entdecken, wenn man höchstens einen sehr verschwommenen Blick über den Tellerrand der Industriestaaten riskiert. Wenn eine Frau in Indien einen Mikrokredit nutzt, um ihre traditionelle Hochzeit auszurichten, müsste man die Alphamädchen-Definition schon arg dehnen, wollte man sie dazu rechnen.

In den Industrieländern gibt es die jungen Durchstarterinnen sicher in größerer Zahl. Aber wie viele sind es? Als die Hamburger Wirtschaftsprofessorin Sonja Bischoff zuletzt Führungskräfte befragte, stellte sich heraus, dass unter den weiblichen Berufseinsteigern nur ein gutes Viertel überhaupt Aufstiegsambitionen hegte. Von den Männern dagegen strebte fast die Hälfte in höhere Etagen.

Und wie organisieren die zukünftigen Chefinnen dann Beruf und Familie? Die Alphagirls stoßen nämlich auf ein Phänomen, das Sozialforscher Klaus Hurrelmann in der jüngsten Shell-Jugendstudie die "40/80-Katastrophe" genannt hat. 80 Prozent der jungen Frauen wollen Beruf und Familie kombinieren, aber allenfalls 40 Prozent der jungen Männer können sich eine Partnerschaft vorstellen, in der Pflichten und Aufgaben gleich verteilt sind. Unterstützung einer weiblichen Karriere sieht anders aus.

Und hinzu kommt schließlich, was Sonja Bischoffs befragte Chefinnen unisono als "Karrierehindernis Nummer eins" benannten: Diskriminierung. Vorurteile. Vorurteile von Männern über Frauen, Vorurteile von Frauen über sich selbst. Vorurteile von Frauen über Männer. "In allen westeuropäischen Ländern werden den Frauen gerade die Eigenschaften abgesprochen, die als besonders bedeutend für Erfolg in der Führungsposition gehalten werden", erklärt Bischoff.

Wenn man nun an dieser Stelle mal von den Fakten absieht und sich auf die Ebene des Diskurses begibt, wird es interessant. Denn da bewegt sich gerade eine Menge. Die von den Medien mit Angstlust beschworene Machtübernahme der jungen Frauen ist eine Übertreibung, die das Phänomen zugleich ein bisschen herbeischreibt. Plötzlich haben junge Frauen das gute Gefühl, Teil einer Welle zu sein. Bücher propagieren die "neue F-Klasse" oder "Die weibliche Art, sich durchzusetzen". Und das Lustigste: Sogar der biologistische Diskurs, der ja eigentlich bisher antifeministische Vorurteile stützte wie "Frauen sind zu schwach zum Führen", wird neuerdings umgedreht. So ruft die US-Forscherin Helen Fisher die Überlegenheit der weiblichen Gehirnverdrahtungen für das 21. Jahrhundert aus: Angeblich braucht die Ökonomie der Zukunft das typisch weibliche Denken: besser vernetzt, die Kontexte einbeziehend, langfristig und prozessorientiert - so begründet Fisher, weshalb etwa Frauen auf dem Aktienmarkt die größeren Gewinne erzielten und gemischte Teams in Chefetagen die größeren Renditen. Mit Biologismus kommt man mal wieder zu den schönsten Spekulationen: So setzt Fisher in die Babyboomer-Frauen wie Hillary Clinton ihre größten Erwartungen. Diese Generation komme jetzt in die Menopause, das beschere einen größeren Einfluss des körpereigenen Testosterons und damit die verstärkte Risikobereitschaft und Aggression von zahllosen Frauen. Das ist der Treppenwitz des neuen Biologismus: Feministinnen schlagen Antifeministen mit deren eigenen Waffen.

Beide Argumentationen sind durch die Empirie überhaupt nicht gedeckt. Ein Beispiel: Das berühmte weibliche Führen ist oft eher etwas, das Menschen fühlen, als dass man es messen könnte. Es gibt so viele männliche Chefs, die nicht nach schröderesker Basta-Manier führen, und so viele autoritäre weibliche Chefs, die gar nicht merkelhaft moderieren, dass das berühmte "weibliche Führen" in Studien leider gar nicht nachgewiesen werden kann. Generell, so zeigten Umfragen bei der Bundeswehr, gehen Menschen etwas zivilisierter miteinander um, wenn Frauen dabei sind. Schön. Das hat aber mit deren Hirnstrukturen nichts zu tun. Es ist die Software. Im Denken hat sich eine andere Erziehung niedergeschlagen. Frauen werden dank all unserer Klischees anders sozialisiert. Sie treten deshalb oft etwas verbindlicher auf, setzen etwa weniger auf Machtgebaren und mehr auf Kompetenz und Teamarbeit. Deshalb können sie, wie eine McKinsey-Studie zeigt, tatsächlich die Unternehmenskultur positiv und effektiv beeinflussen - wenn eine genügend große Zahl von ihnen in Chefsesseln sitzt. Doch in der Hardware fahndet man vergeblich nach dem weiblichen Führen.

Denn biologische Voraussetzungen für das Anderssein sind bisher kaum gefunden worden. Frauenhirne sind besser verdrahtet und eignen sich deshalb fürs kontextuelle Denken? Forscher stellten fest, dass alle kleinen Hirne besser verdrahtet sind als große - auch die von Männern. Frauen legen ihr Geld besser an? Nein, sie fahren nur öfter eine sichere Strategie - wie alle Menschen, die sich wenig mit Aktien auskennen. Je mehr sie sich für Aktien interessieren, desto riskanter werden ihre Anlagestrategien. Frauen sind auch nur so lange friedlicher, wie ihre Identität erkennbar ist. Sollen sie ihre Aggressionen anonym ausleben, stehen sie Männern in nichts nach. Auch ist Testosteron übrigens nur bedingt das "Aggressionshormon" der Männer. Die werden nämlich auch aggressiv, wenn zu wenig Testosteron in ihren Adern kreist.

Was aber eben gut funktioniert, ist die Methode der selffulfilling prophecy: Je öfter Menschen Geschlechterklischees vorgehalten werden, desto eher richten sie sich nach ihnen. Frauen rechnen etwa nur dann schlechter als Männer, wenn man ihnen sagt, dass Frauen schlechter rechnen können. Daraus könnte man schließen, dass Frauen genau so lange zum klischeegerechten Handeln tendieren werden, wie es diese Klischees gibt - sie übernehmen Vorurteile und passen sich ihnen an.

Das alles zeigt: Der Diskurs ist eine Macht. Er wirkt auf die Praxis ein. Das bedeutet, dass man mit diesen Mythen des Alltags durchaus Politik machen kann - wie es die differenzorientierten ZukunftsmythologInnen ja auch fleißig tun: Sie reden Frauen ein, sie könnten dank ihrer innersten Fähigkeiten vieles besser als Männer. Doping für das Selbstgefühl - ist es nicht genau das, was Frauen von Männern lernen können? Schließlich versichern die sich ihrer eigenen Großartigkeit ja tatsächlich zumeist über die Abgrenzung von den angeblich weniger fähigen Frauen.

Schöner wäre natürlich, wenn man den ganzen biologistischen Geschlechterquatsch mal lassen könnte. Stattdessen könnte man einfach ernst nehmen, dass alle Geschlechter unterschiedliche Erfahrungen machen. Und dass es immer sinnvoll ist, all diese Erfahrungen und Fähigkeiten auf möglichst vielen Ebenen der Gesellschaft einzubringen, auch ganz oben. Gute Mischungen zu finden - das ist zukunftsweisend. Denn Frauen punkten nicht nur beim Schuhekaufen und im Callcenter. Sondern sie bauen auch auf ihre eigene Art Häuser - und sind deshalb im 21. Jahrhundert genauso zu Hause wie Männer.

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