Kolumne Overseas: Wie man einen Elefanten ignoriert

Der Wahlkampf dominiert das US-Fernsehen. Geredet wird über alles - nur nicht über Geschlecht und Hautfarbe.

Telenovelas machen mich nervös. Die Handlung basiert stets darauf, dass alle Beteiligten den Elefanten im Wohnzimmer ignorieren und vorsichtig um ihn herumlaufen. Sich also so verhalten, wie Leute im wirklichen Leben das nie täten. Dachte ich immer. Bis ich angefangen habe, die Berichterstattung über das Duell zwischen Hillary Clinton und Barack Obama im US-Fernsehen zu verfolgen. Seither weiß ich, dass auch Leute im wirklichen Leben sich so verhalten - wenn man denn Moderatoren und Experten auf dem Bildschirm dazu zählen will.

Über alles Mögliche im Zusammenhang mit der Wahlkampagne wird geredet, auf den großen Nachrichtensendern ungefähr 18 von 24 Stunden täglich. Diese Zeit will gefüllt sein. Also wird besprochen, welche Bedeutung die politische Haltung von Obamas Pfarrer hat. Ob Hillary Clinton ihre öffentlich vergossenen Tränen genutzt haben. Wie ernst zu nehmen ist ihr Hinweis, sie könne Obama das Amt des Vizepräsidenten antragen? Ist die Aussage von dessen Ehefrau, sie sei erstmalig stolz auf ihr Land, skandalös? Wie skandalös? Außerdem wird analysiert, welche Bedeutung der Platz in der Geschwisterabfolge auf die Erfolgsaussichten der Kandidaten haben könnte. Ich warte auf die Erörterung der Korrelation zwischen Schuhgröße und Delegiertenzahlen.

Nur der Elefant wird nicht erwähnt. Jedenfalls im Fernsehen nicht. Falls er aber doch einmal erwähnt wird, dann folgen sofort eindringliche Ermahnungen, man möge ihn doch bitte auch künftig ignorieren. Woran sich auf dem Bildschirm viele halten, ganz im Gegensatz zu den Besuchern von Kneipen und Bars. Da ist man nach fünf Minuten bei dem verbotenen Thema: Geht das überhaupt, dass ein Schwarzer in den USA eine Mehrheit bekommt? Kann eine Frau das schaffen? Oder steht der Sieger des Wettkampfs zwischen Obama und Clinton ohnehin fest und heißt John McCain?

Es ist ein Eiertanz. Jedes kleine, gefühlige Detail wird im US-Fernsehen genau analysiert - aber das, was die Biografie jedes Menschen besonders nachhaltig prägt, nämlich Geschlecht und Hautfarbe, sind tabu. Die prominente Demokratin Geraldine Ferraro hat gegen das ungeschriebene Gesetz verstoßen. Wenn Obama ein weißer Mann wäre, dann wäre er so weit nicht gekommen, erklärte sie in einem Interview. Aufschrei der Liberalen, Begeisterung bei den Rechten. Seither ist der Elefant wenigstens in Umrissen sichtbar. Da Geraldine Ferraro zum Team von Hillary Clinton gehörte, war die Bemerkung nicht nett gemeint und bestimmt nicht als Unterstützung von Barack Obama gedacht.

Was nichts daran ändert, dass sie im Kern zutrifft: Ein Teil der Faszination, die von Obama ausgeht, beruht darauf, dass es ihm - offenbar mühelos - gelingt, über unsichtbare, aber starre gesellschaftliche Grenzen hinweg zu kommunizieren. In einem Land mit einer langen Geschichte von Rassenkonflikten ist das eindrucksvoll. Wenn ein weißer Mann diesen Eindruck erweckte, wäre das nicht besonders bemerkenswert. Ist es nie, wenn Mitglieder der bislang herrschenden Gruppe es zuwege bringen, auch mit anderen Teilen der Bevölkerung zu reden. Das ist der Preis der Macht.

Die Tatsache, dass Barack Obama diese Fähigkeit besitzt, mindert seine Qualität als Politiker nicht. Im Gegenteil. So wenig, wie Hillary Clinton sich dafür entschuldigen muss, eine Frau zu sein. Aber solange Hautfarbe und Geschlecht im Fernsehen behandelt werden, als spreche man im Hause des Gehängten vom Strick, so lange bleibt die Deutungshoheit bei denen, die in der Kneipe am lautesten reden. Und die natürlich nichts gesagt haben wollen, aber - eine Frau? Oder einen Schwarzen? Also, bitte. Das denn wohl doch nicht.

Wenn die demokratische Partei und ihre Unterstützer den Elefanten weiterhin ignorieren, dann wird er ihnen bei den Wahlen die ganze schöne Wohnzimmereinrichtung zerdeppern. Und John McCain schließlich wird Gelegenheit haben, das Aufräumteam in seinem Haus zum Tee zu bitten.

BETTINA GAUS

FERNSEHENFragen zum Wahlkampf? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reichert über LANDSMÄNNER

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