Leibesübungen: "Ich habe immer Angst"

Er ist Boxweltmeister. Im Ring hat er schwerste Verletzungen erlitten. Doch mehr als den Schmerz fürchtet Arthur Abraham eine Niederlage.

Arthur Abraham wurde 2005 Weltmeister des International Boxing Federation (IBF) im Mittelgewicht. Er hat den Titel sechsmal erfolgreich verteidigt. Seine 25 Profikämpfe hat er alle gewonnen, 20 sogar durch K. o. Am Samstag wird ihn der Amerikaner Elvin Ayala in Kiel herausfordern. Deutschlandweit bekannt wurde der aus Armenien emigrierte Berliner am 23. September 2006. Im Kampf gegen den Kolumbianer Edison Miranda erlitt Abraham einen doppelten Kieferbruch. Er boxte dennoch weiter und gewann.

taz: Herr Abraham, in Ihrer Jugend waren Sie ein erfolgreicher Radfahrer. Warum haben Sie zum Boxsport gewechselt?

Arthur Abraham: Ich war auf dem Rad zwar Jugend- und Frankenmeister, später sogar Nordbayerischer Meister, aber ich habe recht schnell gemerkt, dass ich nicht das Talent habe, ganz nach oben zu kommen. Als ich mich hingegen im Boxring ausprobiert habe, hat mir mein erster Trainer damals signalisiert, dass er mir sehr viel zutraut. Das hat mich motiviert.

Aber wie kamen Sie zum Boxen?

Der Sport hat mich fasziniert. Ich hatte alle großen Boxkämpfe im Fernsehen gesehen. Mich haben innerlich vor allem die Bilder berührt, wie die Sieger auf den Schultern durch den Boxring getragen und gefeiert wurden.

Ihre Karriere verkörpert diesen märchenhaften Aufstieg eines Außenseiters, von dem viele Menschen träumen. Haben auch Sie davon geträumt?

Ich fing erst als 15-Jähriger mit dem Boxen an. Das ist eigentlich kein Einstiegsalter für eine große Karriere. Aber ich hatte von Anfang an im Ring den Wunsch, einmal Weltmeister zu sein.

Dann müssen Sie ja rundum glücklich sein.

Nun habe ich den Traum, Superchamp zu werden. Ich will in meiner Gewichtsklasse auch die Titelträger der anderen wichtigen Boxverbände schlagen.

In der deutschen Boxgeschichte gab es einige Weltmeister mit Migrationshintergrund. Sie kamen als 15-Jähriger nach Deutschland. Verfügen Immigranten über eine überdurchschnittlich große Willenskraft, sich nach oben zu boxen?

Woher ich komme, ist für meinen Erfolg völlig nebensächlich. Das Talent habe ich von Gott. Und ich lebe mit hundertprozentiger Professionalität für meinen Sport. Ich trinke keinen Tropfen Alkohol und rauche nicht. Meine Eltern haben mich so erzogen.

Dem Boxsport wird neuerdings therapeutische Bedeutung zugeschrieben. In der Debatte über die Behandlung von jugendlichen Straftätern gilt ein Boxcamp in Hessen vielen konservativen Politikern als Vorzeigemodell. Wozu ist Boxen gut?

Es hilft in jedem Falle, Aggressivität abzubauen. Und je ernster Sie diesen Sport betreiben, desto vernünftiger werden Sie. Das bringt die notwendige Konzentration auf das Wesentliche mit sich. Unter Spitzensportlern bewegt man sich im Allgemeinen in einer angenehmen Atmosphäre. Das sehen Sie hier im Bundesleistungszentrum in Kienbaum. Trotz harten Trainings sind alle guter Laune und entspannt. Abends möchte jeder nur noch schlafen.

Sie waren selbst in diesem Camp in Hessen. Welchen Eindruck hatten Sie?

Mein Bruder und ich wurden damals als Deutsche Meister vom Leiter des Camps, Lothar Kannenberg, eingeladen. Er leistet gute Arbeit. Wir haben dort 20 Tage trainiert - allein und auch mit den Jugendlichen zusammen. Da sind viele junge Männer und Frauen mit schlimmen Lebensgeschichten darunter. Kannenberg gibt ihnen wieder eine Perspektive.

Dabei richtet der Campleiter Kannenberg sein Augenmerk nahezu ausschließlich auf Disziplin und Drill. Ist das nicht zu einseitig?

Ohne Härte würde es keine Erfolge geben. Man kann nicht alles so leicht und locker nehmen.

Sie sprechen im Zusammenhang mit Ihrer Karriere häufig von Härte.

Ich kam nach Deutschland, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Ich habe stets hart gearbeitet. Nach zwei Jahren hatte ich bereits den Hauptschulabschluss geschafft. Und nebenbei habe ich tagtäglich für eine erfolgreiche Karriere geschuftet. Wir haben viel im Wald trainiert, weil wir keine Halle zur Verfügung hatten.

Wie streng trainieren Sie zurzeit?

Ich bereite mich gerade auf den Kampf gegen den Amerikaner Elvin Ayala am 29. März vor. Aufstehen, frühstücken, zwei Stunden trainieren, Mittagessen, zwei Stunden Pause, dann wieder eine Trainingseinheit, Abendessen, ein wenig Massage, Sauna. Am nächsten Tag dasselbe wieder von vorne. Das ist Roboterarbeit.

Zweimal zwei Stunden Training am Tag. Das klingt doch eher nach angenehmen Arbeitszeiten.

Es kommt darauf an, wie intensiv man arbeitet. Man kann auch zwei Stunden lang geradeaus laufen und sagen, ich habe trainiert. Das bringt aber nichts. Man muss das machen, was man braucht. Gut und konzentriert. Nur so hat man etwas davon. Technisch, körperlich und vom Kopf her. Im Ring gewinnst du nicht wegen deiner Muskeln, sondern weil du fit im Kopf bist. Das muss auch in der Vorbereitung berücksichtigt werden.

Der Druck im Boxen ist immens hoch: Von einem Kampf hängt oft maßgeblich der Fortgang der Karriere ab. Wie groß sind Ihre Versagensängste?

Ich habe immer Angst, wenn ich zum Ring gehe. Nicht vor dem Gegner und seinen Schlägen. Ich habe Angst vor dem Verlieren. Eine Niederlage kann vielleicht passieren. Im Leben läuft nicht alles so, wie man sich das vorstellt und wie man das gerne hätte. Aber zwei Niederlagen hintereinander wären nicht so gut.

Als Profiboxer sind Sie ungeschlagen. Erinnern Sie sich an die Niederlagen Ihrer Amateurzeit?

Oh ja. Ich habe tagelang geweint und nicht mehr geschlafen.

Ernsthaft?

Ja. Wenn ich schon daran denke, bekomme ich eine Gänsehaut. Ich wollte unschlagbar sein.

Was ist denn so schlimm an einer Niederlage?

Ich kann das innerlich nicht vertragen. Ich fühlte mich in meiner Ehre gekränkt. Meine Ehre verlangt von mir, immer oben zu bleiben und meine Fans zufrieden zu stellen. Ich will einfach der Beste sein. Mein Motto lautet: lieber im Ring sterben als auf die Knie zu gehen.

Deshalb mussten Sie auch bei ihrem legendären WM-Kampf gegen den Kolumbianer Edison Miranda trotz doppelt gebrochenen Kiefers weiterboxen?

Was sollte ich denn machen? Der Kiefer war schon gebrochen und konnte nicht mehr brechen. In solch einem Moment entscheidet der Kopf. Schmerz kann man mit dem Gehirn steuern. Solange dieses arbeitet, kann man auch kämpfen.

Die blutigen Bilder, die von diesem Kampf ausgestrahlt wurden, waren extrem brutal. Einige haben gesagt, diese Bilder haben dem Boxen eher geschadet. Wie sehen Sie das?

Das kann man so sehen. Die Bilder waren für den Zuschauer bestimmt zu brutal. Aber ich empfinde das trotzdem anders.

Wie viel hat Boxen mit Brutalität zu tun?

Ganz wenig. Boxen ist Kunst. Es gibt Regeln und Gesetze, die eingehalten werden müssen. Ich kenne keinen Leistungssport, der nicht auch ein wenig brutal ist. Schauen Sie, beim Fußball laufen alle mit krummen Beinen rum. Die Tennisspieler haben Probleme mit ihren Schultern und meist unzählige Operationen hinter sich. Welcher Leistungssport ist gesund? Sport ist gesund. Aber beim Leistungssport geht man über die Grenzen.

Im Sport sagt man ja oft, dass man aus Niederlagen lernt. In Ihrer Profikarriere haben Sie noch nie verloren. Woraus lernen Sie denn?

Mein Opa hat gesagt: Ein schlauer Mensch lernt nicht von seinen Fehlern, sondern von denen der anderen. Ich schaue mir die Niederlagen meiner Kollegen genau an, um davon zu profitieren.

Haben Sie eine Vorstellung, was Sie nach ihrer Karriere im Ring machen wollen? Vielleicht ein Boxcamp eröffnen wie Lothar Kannenberg?

Nein. Das ist mir zu anstrengend. Das halte ich nicht aus. Ich brauche ein bisschen mehr Ruhe bei meiner künftigen Arbeit. Ich spiele mit dem Gedanken, mich später als Geschäftsmann mit Flugzeugen zu beschäftigen. Zuvor will ich aber noch einige Jahre boxen und Superchamp in meiner Gewichtsklasse werden.

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