Blindenfussball: Rasselbanden auf dem Fußballfeld
Mit dem Match der Spielgemeinschaft Berlin/Würzburg gegen St. Pauli startete die neue Blindenfußballliga. Die Sportart verlangt Kickern und Publikum vie ab.
Markus Baysal ist ein Stürmer aus Leidenschaft. Er geht dahin, wo es wehtut, und scheut keinen Zweikampf. Vor allem hat er Zug zum Tor. Das stellte er am Sonnabend unter Beweis. Er schoss das 1:0 - es war das erste Tor in der neuen Saison. Eigentlich so weit nichts Besonderes, aber Markus Baysal ist blind, und mit seinem Treffer eröffnete er die neu gegründete Blindenfußballliga in Deutschland.
Der 32-Jährige spielt für die Spielgemeinschaft BBSV Berlin/VSV Würzburg. Und obwohl sein Team im Auftaktmatch gegen den FC St. Pauli noch den Ausgleich hinnehmen musste, war er am Ende glücklich. "Das hat wirklich Spaß gemacht", sagte er. Mit zehn Jahren verlor er bei einem Unfall sein Augenlicht; den Spaß am Fußball hat er trotzdem nie verloren. Deshalb ist sein Motto auch: "Spaß haben und von Verletzungen verschont bleiben."
Denn beim Blindenfußball kann es heiß hergehen. Das Spielfeld ist gerade mal 40 Meter lang und 20 Meter breit. Seitlich wird es von Banden begrenzt. Eine Mannschaft besteht aus vier Feldspielern. Da nicht alle Spieler den gleichen Grad an Sehbehinderung haben, tragen die Akteure zur Wahrung der Chancengleichheit eine Augenmaske. Hinzu kommt noch ein Torwart - der ist in der Regel zwar nicht blind, darf aber nur zwei Meter aus seinem Tor hinaus. Damit alle den Ball hören, rasselt er, wenn er über den Boden rollt. Hinzu kommt, dass er etwas schwerer und kleiner ist als im Fußball sonst üblich.
Um sich auf dem Spielfeld orientieren und organisieren zu können, bedarf es nicht nur fußballerischer Qualitäten. "Man braucht Ausdauer, einen guten Orientierungssinn und Mut zum Risiko", berichtet Markus Baysal. Unterstützt werden die Akteure, egal ob männlich oder weiblich, zusätzlich vom Spielfeldrand. An der Mittellinie und hinter dem gegnerischen Tor stehen sogenannte Guides, die Anweisungen zurufen. Deswegen müssen sich die Zuschauer ruhig verhalten; sie dürfen aber nach einem Treffer laut jubeln.
Um den Gegenspieler auf einen möglichen Angriff vorzubereiten, müssen die Spieler "voy" rufen. Das ist Spanisch und heißt "ich komme". Doch trotz der Zurufe bleiben auf dem Feld Zusammenstöße nicht aus, bisweilen kommt es sogar zu üblen Verletzungen: gebrochene Nasen oder andere Gesichtsverletzungen sind keine Seltenheit. Deshalb tragen einige Spieler einen bizarr anmutenden Kopfschutz.
Da die Sportart vergleichsweise hart ist, gibt es auch kritische Stimmen. Sie befürchten, dass mit zunehmender Professionalisierung der Leistungsdruck und damit die Härte weiter zunehmen. Dann könnte der integrative Charakter verloren gehen. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass es nicht so kommen muss: In Spanien ist Blindenfußball sehr populär. Dort kommen zu einem Länderspiel schon mal 3.000 Zuschauer. In Brasilien gibt es sogar seit den 60er-Jahren eine professionelle Liga.
In Deutschland hingegen steckt diese Sportart noch in den Kinderschuhen. Erst vor zwei Jahren wurde sie wirklich entdeckt. Ein Demonstrationsturnier und ein Workshop mit dem englischen Nationaltrainer brachten damals den Stein ins Rollen. "Seitdem wuchs der Druck der Basis", sagt Reinhard Tank vom Behinderten-Sportverband Berlin (BSB).
Ergebnis: Jetzt gibt es eine eigene Liga. Acht Mannschaften nehmen teil. Neben den schon erwähnten Teams aus Würzburg/Berlin und St. Pauli stammen die weiteren Kontrahenten aus Dortmund, Stuttgart, Essen, Chemnitz, Marburg und Mainz. Das soll aber nur der Anfang sein. "Wir müssen weiter Werbung machen in Blindeneinrichtungen und -schulen, um die Jugend zu rekrutieren", sagt Reinhard Tank. Er hofft, dass sich für die nächsten Paralympischen Spiele in vier Jahren auch eine deutsche Mannschaft qualifizieren kann. Für Peking im Sommer hatte es noch nicht gereicht.
Dafür bedarf es aber weiterer Unterstützung von den sehenden Profikollegen. Ein Verein hat sich dabei bereits hervorgetan: Der FC St. Pauli hat das Hamburger Blindenteam aufgenommen. Auch Hertha BSC will sich für das Berliner Team engagieren und einen festen Platz bauen. Denn eigentlich trainieren die Berliner in einer Halle. Ein Ex-Herthaner hat dem Team bereits geholfen: Vor einem Jahr hatten die blinden Kicker keine Trikots; der Hertha-Blindenfanclub "Seebären" berichtete dem damaligen Herthaner Andreas "Zecke" Neuendorf von dem Dilemma. Neuendorf spendierte daraufhin einen Satz der Textilstücke. Deshalb steht jetzt hinten auf den Trikots der Schriftzug "Berliner Zecken" drauf.
Weil die Berliner noch kein eigenes Team bilden können, spielen zwei Würzburger mit. Auch das soll sich langfristig ändern. Die Mannschaft soll wachsen, händeringend wird zudem noch ein Trainer gesucht, um sich weiter zu verbessern. Die neue Liga sollte dafür eigentlich Werbung genug sein.
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