Kolumne Nebensache aus Lagos: Chaos am laufenden Band

18 Stunden Stau sind nicht selten: In Lagos bringt der Verkehrsfunk selbst den Moderator zum Lachen.

Seit fast einem Jahr habe ich eine Wohnung in Lagos - der Metropole Nigerias. All die Jahre ohne eigene Bleibe, bin ich zumeist bei Freunden abgestiegen, wie es Hunderttausende in dieser gut 16-Millionen-Einwohner-Stadt tun. Denn es gibt bei weitem nicht genügend und bezahlbaren Wohnraum. Nach wie vor führen in Westafrika viele Wege nach Lagos, "Center of Excellence", wie es auf den Autoschildern heißt. Jeden Tag kommen 3.000 Menschen vor allem aus den ländlichen Regionen Nigerias in die Stadt. Die Vereinten Nationen schätzen, dass Lagos in wenigen Jahren mit rund 25 Millionen Menschen zu den vier größten Städten der Welt gehören wird.

Aber nicht nur mittellose Landflüchtige zieht es nach Lagos. Auch junge, gut ausgebildete Nigerianer kommen aus London und New York zurück in ihre Heimat. Hier könnten sie mehr als in der Diaspora erreichen, sagen sie. Reiche Nigerianer erkennen mittlerweile auch, dass es sich lohnt, zu Hause zu investieren.

Zu einer richtigen Stadt gehört ein Verkehrsfunk. Aber der Sinn und Zweck eines Verkehrsfunks in Lagos bringt selbst den Moderator zum Lachen. Während seiner Auflistung der tagtäglichen und immer gleichen Staus, kann er sich Kommentare nicht verkneifen wie: "Jeder weiß, dass der Verkehr auf der Ikorodu Road 18 Stunden am Tag stillsteht, und auch von der Verkehrslage auf den Inseln brauchen wir nicht zu reden - da braucht ihr erst gar nicht hinzufahren!", sagt er.

Lieber redet die neue Mittelklasse mit ihren Jobs in Banken, Telekommunikation und Entertainment über das sich modernisierende Lagos. Diese neue Seite der Stadt zeigt sich im Lifestyle-Magazin TimeOut, das wie sein Londoner Vorbild die Freizeit-, Gourmet- und Nacht-Club-Szene aufzählt. Aber damit keine Missverständnisse aufkommen, stellt TimeOut klar: "Kommen Sie nicht nach Lagos zu einem erholsamen Urlaub. Lagos bedeutet Chaos am laufenden Band."

Die Megacity Lagos schreckt seit Jahrzehnten ebenso Leute ab, wie sie sie anlockt. Viele Schauergeschichten kursieren seither über die Lagunenstadt. Auf einer Afrika-Tour, die ihn kurz vor seinem Ausscheiden als US-Präsident auch nach Nigeria führte, erzählte Bill Clinton, dass auf US-Flughäfen die Warnung angeschlagen war, nicht nach Lagos zu fliegen. Ein Geo-Reporter beschrieb vor vielen Jahren, wie die Stadtautobahnen über Beton-Stelzen verlaufen, als ekelten sie sich vor der Stadt. Und es ist erst einige Wochen her, dass sich ein Redakteur vom Focus ebenfalls von der katastrophalen Infrastruktur in seinen Beschreibungen beeindruckt zeigte - vor allem die verwundete Natur, wie er sagte, mache ihm zu schaffen, da, wo sie in der Stadt überhaupt noch zu finden sei.

Eine vor fast zwei Jahren im amerikanischen Magazin New Yorker erschienene Reportage ging einen anderen Weg. Sie wollte dem auf die Spur kommen, was die Stadt wirklich ausmacht: der menschlichen Energie. Denn die ist es, die Lagos tatsächlich ausmacht. Zum Beispiel, wenn ich über einen der unzähligen Märkte gehe oder abends in einem der Musik-Clubs sitze und über die gelöste Stimmung der Gäste staune, obwohl das Leben und Arbeiten in der Stadt unvorstellbar kräftezehrend sein muss. Wenn mir Lagos zu viel wird, fahre ich ins beschauliche Nachbarland Benin. Aber schon bald sehne ich mich zurück nach der chaotischen, energiegeladenen Stadt. HAKEEM JIMO

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