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Soziologe Lord Dahrendorf"Dutschke war ein konfuser Kopf"

Lord Dahrendorf, neuer Vorsitzender der Zukunftskommission NRW, plädiert für das Mehrheitswahlrecht in Deutschland und hofft, dass die deutschen Fußballer bei der EM früh ausscheiden

Dutschke habe, so Dahrendorf, der mit ihm 1968 während einer SDS-Demonstration diskutierte, keine bleibenden Gedanken hinterlassen. Bild: ap

BERLIN taz Lord Ralf Dahrendorf fordert als Konsequenz aus der Hessen-Wahl das Mehrheitswahlrecht in Deutschland einzuführen. "Ich persönlich bin ein großer Anhänger des Mehrheitswahlrechts. Bei demokratischen Wahlen geht es nicht darum, ein Spiegelbild der Meinung der Bevölkerung herzustellen, sondern eine klare Mehrheitsregierung zu begründen", sagte Dahrendorf der taz. Der große Vorteil ist für ihn: "Dann stellt sich die taktische Frage nicht."

Der deutsch-britische Soziologe und Lord ist soeben zum Vorsitzenden der neuen Zukunftskommission der nordrhein-westfälischen Landesregierung ernannt worden. Das teilte die Staatskanzlei am Freitag in Düsseldorf mit. Dahrendorf war von der Queen in den Adelstand erhoben worden. 1988 hatte er nach 21 Jahren Mitgliedschaft die FDP verlassen. Heute würde er "angesichts des aktuellen Angebots wieder FDP wählen." Das findet er angesichts seiner Forderung nach dem Mehrheitswahlrecht nicht paradox, sondern konsequent. Denn: "Bei einem anderen Wahlrecht würden auch die heute kleinen Parteien Chancen haben."

In einem in der Samstag-Ausgabe erscheinenden taz-Gespräch bezeichnet Dahrendorf den 1979 verstorbenen APO-Führer Rudi Dutschke als "konfusen Kopf, der keine bleibenden Gedanken hinterlassen hat". Allerdings sei Dutschke, mit dem er damals kritisch diskutierte, "ein anständiger, ehrlicher und vertrauenswürdiger Mann" gewesen.

Was einen "Wandel" in Deutschland angeht, sagt Dahrendorf, man könne ihn nicht von "Parteien oder Parteifusionen erwarten." Zuletzt habe er einen Wandel in Deutschland bei der Fußball-WM 2006 wahrgenommen, "als Jürgen Klinsmann mit einer für Deutschland sehr unorthodoxen Methode eine völlige andere Perspektive auf die Dinge ermöglicht hat." Von der EM im Juni könne man ähnliches nicht erwarten. "Am besten wäre es, Deutschland würde früh ausscheiden", sagte der Lord.

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10 Kommentare

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  • M
    marc

    wow, was für ein "objektiver" Artikel! ...uuuhh, der alte Liberale beleidigt den deutschen Che Guevara und will auch noch, dass wir bei der EM verlieren! ...nein, also das hat er doch jetzt nicht gesagt, oder?! ...unlinks und dann auch noch unpatriotisch...?? das geht ja mal gaaar nicht! schlimm, schlimm. ich will jetzt meinen tazpresso!

  • MW
    Martin Wilke

    Wer noch Argumente gegen das Mehrheitswahlrecht braucht:

     

    http://www.martinwilke.de/mehrheitswahlrecht.html

  • P
    PunkIsNotDead

    Dutscke war eben Marxist, und Herr Dahrendorf ist Anänger von Adam Smith und Milton Friedmanns liberalen Ideen. Das der eine dem Anderen nun vorwirft, anders gedacht zu haben als er selber es tut, und die Ideen des Anderen nicht konsistent findet, ist da doch wenig überraschend. Ihre Vorstellungen und Ziele widersprechen sich eben. Ideologen sind sie alle beide, in dem Sinn, das sie erst ein Schema im Kopf haben, und dann der Wirklichkeit überstülpen.

     

    Das politische System der USA mit zwei Parteien hierzulande importieren zu wollen (die diffuse Hoffnung dabei wohl, dass FDP und Grüne in der CDU, die Linkspartei in der SPD aufgingen, mit entsprechenden Mehrheitsverhältnissen) scheint mir kein sehr überzeugendes Konzept: Schon die hiesige Auswahl zwischen fünf Parteien ist angesichts des postmodernen Pluralismus der Lebensstile und Haltungen eher grob und unangemessen, auf dem "Meinungsmarkt" nun nur noch zwischen 2 statt 5 Angeboten wählen zu können, wäre wahrlich eine unzulässig-holzschnittartige Reduzierung des Willens der einzelnen Bürger, würde diesen noch weniger gut abbilden. Und genau darum geht es in der Demokratie nunn mal. Volksherrschaft. Wenn man nur Effizienz und Wirtschaftlichkeit will, braucht man keine Demokratie - siehe China, siehe zahlreiche andere Diktaturen.

     

    Ein solches Mehrheits-System wie von Herrn D. vorgeschlagen mag für die Wirtschaft und technokratische Eliten besser handhabbar, also berechenbar und lenkbar sein (was wiederum auch der Ideologie des Herrn Dahrendorf entgegenkommen mag), für den Bürger hat es eher wenig Vorteile, wie das Beispiel USA auch immer wieder zeigt, wo man oft die Unterschiede zwischen den Konzepten mit der Lupe suchen muss. Es handelt sich daher wohl eher um einen recht durchsichtigen Versuch, sich eines bestimmten Teils des derzeitigen demokratischen Wähler- und Ideenspektrums auf einfache Weise zu entledigen.

     

    Nein, wir brauchen stattdessen mehr direkte Demokratie! Bürgerbeteiligung! Herrschaftsfreien Diskurs! Im Netz, in den Blogs, und bei Wikipedia haben wir nämlich bereits gesehen: Das funktioniert tatsächlich!

     

    Warum Herr Dahrendorf nun dermassen als Hoffnungsträger und Vordenker geführt wird und in der taz eine solche Plattform erhält, ist mir angesichts der Plattitüden im Interview wenig verständlich, ausser vielleicht als Symptom des derzeitigen Zeitgeistes: Alternativen zum Bestehenden sollen nicht mehr denkbar sein, alle sollen nun fröhlich mitmachen beim wirtschaftsliberalen Einheitstrallala. Und sich nach 40 Jahren so an Dutschke abzuarbeiten, ist auch keine große Leistung. Wie stünde Herr Dahrendorf denn zu der 68er-Kritik, die etwa ein Herbert Marcuse in Büchern wie "Der eindimensionale Mensch" geäussert hat? Auch nur "wirr"? Erledigt?

     

    Schliesslich - ausgerechnet der Minirock als Metapher für den kulturellen Wandel? Aua. Jemandem, der sich auch nur etwas näher mit kulturellen Umbrüchen in den 60ern und 70ern beschäftigt hat, etwa in Kunst und Kultur, müssen sich da zwangsläufig die Haare sträuben. Aus Sicht des damaligen Establishments mag das eine angenehme Neuerung gewesen sein, wenn die Sekretärin ("Fräulein Soundso") nun einen solchen bei der Arbeit trug; vielen Protagonisten von 68 aber ging es mal um viel mehr.

     

    Und für all das nun 2 prominente Titelseiten-Artikel? Viel Lärm um nichts, in meinen Augen. Wenn die Ergebnisse der "Zukunftskommission", der Herr D. in NRW vorstehen soll, von ähnlichem Niveau sind, wären die dort ausgegebenen Steuergelder eher schlecht investiert. Aber vielleicht überrascht Lord. D uns ja auch noch, und zieht als Vordenker seine alte Version des Grundeinkommens noch einmal aus der Tasche.

  • AS
    Alexander Solentz

    Ich finde es ganz großartig, dass wir Lordchen Dahrendorfchen haben. Der Alte von der weisen, sympathischen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft weiß selbstverständlich am besten, was für uns alle am richtig und gut ist...

     

    Es wird Zeit, dass wir uns von den neuen, alten konservativen oder (vermeindlich) liberalen Eliten emanzipieren. Diese Alten wissen überhaupt nichts von den heutigen Lebenszusammenhängen der 15-30 Jährigen, inflationieren die Medien aber mit Vorschlägen, die dann (wen wundert's) doch nicht funktionieren.

     

    Eine wahre Liberalisierung und Emanzipation findet zuerst in unseren eigenen Köpfen statt. Die FDP hat daran gewiss keinerlei Anteil...

  • H
    heinrich

    Dahrendorf ist einer von den notorischen Angebern, die Aufmerksamkeit und Anerkennung gewinnen, weil sie viel von sich herzumachen wissen.

     

    Ob er in der Soziologie Bleibendes hinterlassen hat, vermag ich nicht zu beurteilen.

    In der Politik gehört er zu den angeblichen "Vordenkern", denen niemand hinterhergedacht hat, ähnlich wie Peter Glotz. Der eine ist in die Schweiz gegangen, um seine Ideen dort weiter zu verbreiten, wo sie sich optimal versilbern lassen, der andere ins Vereinigte Königreich.

     

    Wäre Dutschke nicht tödlich verwundet worden, sondern wäre so alt geworden, wie diese Herren, wäre womöglich Dauerhafteres und Tieferes von ihm hinterblieben, als es damals unter den spezifischen Bedungungen nur angedacht und aufgrund des partiellen Scheiterns der Bewegung nicht weiterentwickelt werden konnte.

  • DV
    Dirgis Verkerk

    1. Der tieferen Gedanken fähig war Dutschke, nicht Dahrendorf.

     

    2. Dahrendorfs Gedanken sind heute -soweit veröffentlicht- womöglich noch seichter, als damals.

     

    3. Die der postindustriellen Gesellschaft, resp. des Umgangs mit den Bevölkerungen, steht noch aus.

    Falls Herr Dahrendorf an sich selbst noch den Anspruch hat, Intellektueller sein zu wollen,so würde ich für das nächste Interview empfehlen, sich auf die realen Problemstellungen der europäischen Mehrheitsbevölkerung einzurichten.

    Das Mehrheitswahlrecht wird es lediglich für die alten "Eliten" günstig richten.

     

    Wahrscheinlich ist der Mann deswegen hier.

  • PN
    Percy NoMercy

    Genau Onkel Dahrendorf,

     

    [ironie]wir brauchen hier auch so ein tolles Zweiparteiensystem wie wir es während der Weimarer Republik hatten, wie es die USA und UK in alle möglichen Kolonien und Vasallenstaaten exportiert haben, wo es auch nicht funktioniert.[/ironie]

    Aber am Ende ist es doch auch egal, wie viele Parteien man hat, wenn sie sich inhaltlich nicht nennenswert unterscheiden, oder?

  • D
    der_rex

    ...muss nach meinem dafürhalten daran gelegen haben, das mehr drin los war als in der rummsmurmel des herrn deppendorf.

  • JB
    Jürgen Busch

    Herr Dahrendorf ist ein Demagoge - oder er hat das Wesen der Demokratie, zu der der Minderheitenschutz unbedingt dazugehört, nicht verstanden (also ein "leerer Kopf").

     

    Schon beim Verhältniswahlrecht wird nicht immer dem Mehrheitswunsch gefolgt. S. z. B. Hessen: dort ist nach den Inhalten der Wahlaussagen eine enge Überschneidung der Ziele der realen linken Mehrheit festzustellen. Diese inhaltliche linke Mehrheit kommt aber nicht zu einer Koalition zusammmen, weil Medienkampagnen die Sachfragen hinter vordergründigem "Wer-mit-wem" verstecken.

     

    Durch Mehrheitswahlrecht und geschicktes Gerrymandering lässt sich sehr leicht erreichen, dass eine de facto Minderheit der Stimmen eine "stabile Mehrheit" der Sitze erlangt und damit praktisch GEGEN das Volk regiert. Das kann nur der wirklich wünschen, dem der politische Wille des Wählers, der Mehrheit, egal ist.

     

    Es geht in der Demokratie eben NICHT um eine "stabile Mehrheit" um jeden Preis!

     

    Das Begehren "stabiler Mehrheiten" kommt in Wahrheit aus dem Lager der real schwindenden "Mehrheiten" und deren Wunsch des Machterhalts! Statt dem Mehrheitswillen der Wähler nach Änderung des Kurses des von unten (Bevölkerungsmehrheit) nach oben (Bevölkerungsminderheit) Verteilens nachzukommen, will man diese Mehrheit so lange wie irgend möglich als politisch (un)wirksame Minderheit klein halten.

  • FG
    frank günter

    Wir haben doch schon ein Mehrheitswahlrecht.Wir haben sogar noch etwas viel besseres. Nämlich eine Kombination mit dem Verhältniswahlrecht. So ist schon in der Wahl das zentrale Element der Demokratie, der Kompromiß, bereits eingebaut. Ein reines Mehrheitswahlrecht schafft zu viele Möglichkeiten der Manipulation. Also lassen wir uns von Herrn Lord nichts erzählen, der ja gerne wieder die FDP wählen kann, die ja auch bald wieder auf ihre Urklientel angwiesen sein wird, wennn die GAL kurzfristig die Rolle der bürgerlichen Mehrheitsbeschaffung übernehmen wird und weiter zur Neuefdepe mutieren wird. Ich habe Dutschke sehr bewundert, wie er die Kraft aufbrachte nach seinen, bei einem Atttentat, erlittenen schweren Gehirnverletzungen, wieder den Weg zu Sprache und Wissenschaft zu finden. Was die Geschichte überdauert wird ein Herr Lord Dahrendorf sicher nicht entscheiden. Konfus ist dieses emotionale Mainstream - Blabla über den Fussball und den Messias Klinsmann, der uns einen "völlig neuen Blick " auf die Dinge ermöglichte . Was soll der Bullshit ? Hallo ! Das ist Fußball !Und hoffentlich immer bis zum Finale.