Kampf ums Öl in Nigeria: Das Ende der Schonfrist droht

Ein Jahr nach der Wahl ebbte die Gewalt in den Ölgebieten des Niger-Deltas ab. Doch statt mit den Rebellen zu verhandeln, verhaftet die Regierung einen ihrer Anführer.

Erdöl Rebellen in Nigeria, 2004. Bild: dpa

WARRI taz Was bedeutet die Verhaftung des Anführers der Aufständischen für das Nigerdelta? Henry Okah wurde Anfang März in Angola festgenommen und an Nigeria ausgeliefert. Nigerias Behörden werfen ihm Mord, Hochverrat, Entführung, Banküberfälle, Waffenschieberei, Gefährdung der Staatssicherheit und Pläne zur Sezession vor. Ende letzter Woche wurde er erstmals einem Richter vorgeführt.

Henry Okah galt als Anführer der größten Rebellenbewegung der nigerianischen Ölgebiete, "Movement for the Emancipation of the Niger Delta" (Mend). Sie ist die wichtigste der unzähligen Milizen, die in dem unzugänglichen Flussgebiet für Autonomie, Selbstbestimmung der Bevölkerung über den Öl- und Gasreichtum der Region oder auch nur für eigene krumme Geschäfte kämpfen. Bisher mit wenig Erfolg: "Wenn überhaupt, dann hat der bewaffnete Widerstand die Probleme des Nigerdeltas nur zu 20 Prozent lösen können", sagt Godwin Edah, ein Jugendführer des Ugborodo-Volks in der Nachbarschaft der Ölförderanlagen von Shell und Chevron im Ort Madangho.

Henry Okah wuchs in wohlhabenden Verhältnissen in Nigerias größter Stadt Lagos auf. Erst mit 19 Jahren, zur Beerdigung seiner Mutter, sei er zum ersten Mal in den Heimatort seiner Familie gekommen, Ammasoma im Bundesstaat Bayelsa, und war schlagartig vom Elend überwältigt, erinnert sich sein Bruder Charles Okah in einem Interview. Henrys erste Schritte in das Milieu des bewaffneten Kampfs seien gewesen, dass er Waffen an Hausbesitzer in Lagos verkaufte.

Chima Ngozie, Journalist des Provinzradios Delta State Broadcasting Services, sagt: "Wenn Henry Okah der Prozess gemacht wird, steigt die Temperatur wieder im Nigerdelta, wie damals beim Prozess gegen Mujahid Dokubo-Asari." Der Gründer von Mend sitzt seit 2006 in Haft.

Dabei hat sich die Sicherheitslage im Nigerdelta seit Nigerias Wahlen vor einem Jahr etwas beruhigt. Nigerias neuer Vizepräsident Goodluck Jonathan gehört zur Volksgruppe der Ijaw, viertgrößte Ethnie Nigerias und größte des Nigerdeltas. Auch auf der Ebene der Provinzregierungen tut sich einiges. "Seit der neue Gouverneur im Amt ist, hatten wir im Bundesstaat Delta nur einen einzigen Angriff auf eine Pipeline", sagt der Journalist Ngozie. In diesem westlichen Teil des Nigerdeltas um die Provinzhauptstadt Warri gab es in den vergangenen Monaten auch keine Entführungen mehr.

Nach den Wahlen hatten die wichtigsten Gruppen der Aufständischen eine Waffenruhe ausgerufen. Damit wollten sie der neuen Regierung eine Chance zum Dialog geben. Präsident Umaru YarAdua begann direkte Gespräche, der gesamte nigerianische Senat besuchte im Herbst das Nigerdelta. Die Reise, hieß es hinterher, habe vielen Senatoren die Augen geöffnet.

Aber die Regierung hat diese Chance nicht genutzt. Schon kündigte eine der Milizengruppen den Waffenstillstand wieder auf. Ein ernsthafter Dialog finde immer noch nicht statt, sagt Jugendanführer Edah. Auch der Umweltaktivist Anthony Vicyeshua sieht die Sicherheitslage nur scheinbar ruhiger. Seiner Einschätzung nach haben sich lediglich einige Anführer des Aufstands arrangiert und leben nun gut von den Fleischtöpfen der Regierung und Ölmultis.

In der größten Stadt des Nigerdeltas, Port Harcourt im Osten der Region, ist es sowieso nie ganz ruhig geworden. Kürzlich geriet ein Deutscher in die Gewalt von Entführer - der erste gekidnappte Ausländer seit mehreren Monaten. Das ist zwar nichts gegen frühere Jahre, als es ständig Entführungen ausländischer Ölarbeiter gab. Aber nahezu alle internationalen Ölfirmen halten ihr Personal inzwischen nicht mehr im Ölgebiet, sondern in Lagos, wo die Preise für Büroraum Wohnungen in unbekannte Höhen schießen. Weil im Delta selbst sind die begehrten Entführungsopfer knapp werden, nehmen Kidnapper Verwandte von lokalen Politpromis ins Visier, auch Kleinkinder und greise Eltern von Politikern. Seit Jahresbeginn kommt es auch wieder zu Feuergefechten zwischen Aufständischen und Militär sowie zu Angriffen auf Ölinstallationen.

Immerhin lebt die Wirtschaft auf. "Vorher konnte ich den Laden nur tagsüber öffnen", sagt Princess Momoh, eine 23-jährige Angestellte in einem Telefonladen in Warri, "aber jetzt geht es bis neun oder zehn Uhr abends." Vikar Victor Onosemuode von der "Christ Anglican Church" in Warri freut sich über das Straßenlicht, das ihm das Straßenbauprogramm der Provinzregierung gebracht hat. Seit ein paar Monaten stehen Laternen vor seinem Gotteshaus und fluten pünktlich ab sieben Uhr abends die Straße mit Licht. Das kommt ihm äußerst gelegen. Denn eigenen Strom hat er nicht. Nun sind seine Bibelstunden und Gottesdienste erleuchtet. Ob er ein ungutes Gefühl hat, dass Rebellenführer Okah nun der Prozess gemacht wird? Der Pfarrer wiegelt ab: "Für uns ist es normal, dass es ab und zu knallt."

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