die wahrheit: Frankfurter allgemeine Spalten- und Afterprosa

Beim Frankfurter Allgemeinen Zentrum für Spalten- und Afterprosa (FAZ-SAP) kennt man alles und die Wahrheit sowieso, denn "Sexualität ist Wahrheit"...

Beim Frankfurter Allgemeinen Zentrum für Spalten- und Afterprosa (FAZ-SAP) kennt man alles und die Wahrheit sowieso, denn "Sexualität ist Wahrheit", weiß die freie Feuilletonmitarbeiterin Ingeborg Harms und schreibt deshalb unter diesem Titel eine Rezension über Charlotte Roches Bestseller "Feuchtgebiete".

Das Leben ist kompliziert, stellt es doch die Frauen unter den Menschen vor die Alternative, entweder als "naturnahe Erotomanin, die alles den Körper Betreffende wie ein großes Abenteuer angeht und die Sabotagen der Hygieneindustrie verachtet", durchs Leben zu gehen oder als "gebranntes Scheidungskind, das im Dschungel zeitgenössischer Sexbesessenheit nach Liebe und Treu sucht". Vor diese Alternative hat die TV-Moderatorin Charlotte Roche die Heldin ihres Prosaergusses "Feuchtgebiete" gestellt. Die gewiefte Literatursachverständige Ingeborg Harms entdeckte in der Alternative eine "Heisenbergsche Unschärferelation".

Da greifen auch Zeitgenossen, die im Abitur in Mathe und Physik eine Eins machten, doch erst einmal zum "Brockhaus", Band 23, Seite 618: Danach handelt es sich bei der Unschärferelation um einen "quantitativen mathematischen Ausdruck, nach dem es Paare von beobachtbaren physikalischen Größen gibt, die man nicht gleichzeitig mit beliebig großer Genauigkeit messen kann".

Fragt sich, was Frau Harms sagen wollte. In den "Feuchtgebieten" geht es um "Hämorrhoiden", "Muschiflora", "wolkenförmige Hautlappen", "Perlenrüssel" und anderes unterhalb der weiblichen Hüftlinie. Also weniger um "Unschärfen" als um Leser und Leserinnen Schärfendes. Daraus erklärt sich auch, warum das Buch in kurzer Zeit "sensationelle Verkaufszahlen" erzielte, obwohl die meisten Kritiker in der Spalten- und Afterprosa von Frau Roche nur eine billige Masche sahen. In der Branche spekuliert man schon, was man Frau Roche nach dem Bordell als nächsten Kontinent teilnehmender Forschung anbieten könnte: einen Monat im Männerobdachlosenheim oder zwei Wochen im katholischen Bubeninternat oder einen Tag im Trainingslager des FC Bayern. Das ist Stoff, aus dem Bestseller werden.

Bei der soliden Kritik kamen die "Feuchtgebiete" schlecht weg. Für Ingeborg Harms jedoch, Expertin für FAZ-SAP, hat Frau Roche "den Nerv getroffen". Fragt sich, welchen, denn Nerven gibt es viele und überall. Die FAZ-Kritikerin setzte deshalb - wie Frau Roche - die "Forscherbrille" auf und griff zu ihrem Heisenberg. Danach entdeckte sie im Roman die Unschärferelation in weiblichen Wünschen und in Paarungen menschlicher Leiber wie der Physiker in der Natur "Paare von beobachtbaren physikalischen Größen".

Paarung hier, Paare dort, alles reimt sich im Windmacherfeuilleton irgendwie auf irgendetwas, wenn nur zur rechten Zeit ein Wort sich einstellt. Die Physiker Alan Sokal und Jean Bricmont demontierten vor zehn Jahren bereits den Schwarzhandel französischer Meisterdenker von Lyotard und Baudrillard bis zu Virilio und Latour mit Scheinwissen als "eleganten Unsinn" von "Kulturwissenschaftlern", denen die Grundlagen - und die Tassen im Schrank - abhanden gekommen sind.

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