piwik no script img

KommentarBildungsforscher verunsichert Eltern

Die sechsjährige Grundschule soll begabten Kindern schaden, behauptet ein renommierter Wissenschaftler. Doch seine Argumentation beruht auf einer zweifelhaften Vergleichsstudie.

Man kennt das. Seitdem es in Deutschland Versuche gibt, die Mauer zwischen höheren und niederen Schulen einzureißen, wird getäuscht und getrickst. Da macht auch der Schulforscher Rainer Lehmann keine Ausnahme. Noch bevor seine Studie über die fünften und sechsten Klassen vorliegt, erklärt er schon mal, wie man was zu verstehen hat. Sein Ergebnis: Eliteauswahl kapiert mehr als der doofe Rest. So, so, Herr Lehmann.

Das ist so banal, dass man kein Wort darüber verlieren müsste. Wer einen Ferrari und ein Goggomobil um die Wette fahren lässt und hinterher tiefgründige Schlüsse zieht, der ist selber schuld. Aber der unschuldig tuende Herr Lehmann steht ja nicht nur für sich selbst. Mit seiner Generalabrechnung über die sechsjährige Grundschule, die er durch keine Zahl plausibel macht, verunsichert er eine ohnehin nervöse Elternschaft weiter. Nicht wenige Mütter und Väter stehen vor der Frage: "Lass ich mein Kind sechs Jahre in der Grundschule - oder tu ichs vorzeitig aufs Gymnasium?"

Lehmann hat, Renommee hin oder her, diese Frage entschieden - durch den Rufmord an der Grundschule. Der Mann behauptet, dass dort ein anregungsarmes Milieu herrsche und doofe Lehrer die Schüler anleiten. Obs stimmt, kann keiner nachprüfen - weil Lehmann seine Studie drei Jahre unter Verschluss hielt und nun, nach einer Nacht, jammert, dass der Senat sie unterdrücke.

Nur eines ist dem Quengelforscher zugutezuhalten. Die Selbstgewissheit der Berliner Grundschule ist dahin. Nur weil Hamburg das Berliner Modell kopiert, muss die fünfte und sechste Primarklasse hier kein Erfolg sein. Niemand kann von Eltern verlangen, dass sie ihre Kinder aus Mitleid länger in der Grundschule lassen. Die fünfte und sechste der Primarstufe muss so gut sein, dass die Eltern sie wollen. Höchste Zeit, sie besser zu machen - egal ob Lehmann recht hat oder nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!