Sex nur fürs Herz

Der „blue room“ in Dortmund: Matthias Gehrt inszeniert mit zwei Schauspielern die David Hare-Adaption von Arthur Schnitzlers „Reigen“

VON PETER ORTMANN

Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt, und bist du nicht willig... Die Liebe ist oft ein Alptraum, wie in Goethes Erlkönig. Der Teufel hat sie wohl auf die Welt gebracht. Sex scheint eher göttlicher Natur: Einfach, schnell konsumierbar und ohne Nebenwirkung. Auf eine Verbindung von Beidem hoffen alle sehnsuchtsvoll. Liebe bleibt meist unerfüllt. „Ich mag das Gefühl nicht“, sagt der Student vor einer Disco, als er sich endlich die Zigarette danach anzünden kann. „blue room“ heißt das Stück von David Hare, frei nach Arthur Schnitzlers „Reigen“ (von 1897), das jetzt im Dortmunder Theater-Studio Premiere hatte, besetzt mit zwei überzeugenden Schauspielern im verschnitzelten Zehn-Rollen-Kreislauf.

Die beiden tragen das Risiko Liebe durch die Szenen, die von Regisseur Mathias Gehrt immer durch Requisiten-Blacks und russisch-orthodoxe Choräle gegliedert werden. Am Anfang trifft die junge Hure (Birgit Unterweger) ihren Taxifahrer (Manuel Harder), am Ende bezahlt sie der alternde Aristokrat, dazwischen durchlebt sie schnelle Werbung, schnellen Sex und die lange Leere danach als verheiratete Frau, als Model oder als nackte Muse des Dramatikers. Der „Reigen“ dreht sich bis zum Schluss, doch außer zehn One-Night-Stands bleibt nichts übrig von den schwitzenden Körpern in ihren wechselnden Stellungen – nur der traurige Blues in den vernarbten Herzen. Aber eben auch nur vielleicht.

Schnitzlers Uraufführung geriet 1920 zum Theaterskandal, so viel Offenheit wollte die bürgerlichen Gesellschaft damals nicht ertragen. Doch auch Hares Bearbeitung 1998 in Hollywood (USA): Nicole Kidman war damals sekundenlang nackt zu sehen. Imperialismus und Sex verträgt sich heute eben auch nicht. „Hare ist mit seiner Aktualisierung Schnitzler besonders treu geblieben: Der wollte schon damals Menschen von der Straße so dar stellen, wie sie sind“, erklärt Regisseur Gehrt. Und dafür lässt er seine beiden Schauspieler in einen Boxring ohne Seile steigen, der wie ein Colosseum von Zuschauern umringt ist und dessen vier Stufenaufgänge auch ein bischen an Tempelanlagen erinnern. Dort oben geht es in erster Linie um Sex, der als Treibsatz für eine ersehnte Beziehung ausgelebt wird. Doch die Einsamkeit der Seelen ist nur für Minuten gebannt. Ob dafür die Aktualisierung des ehemaligen Skandalstücks tatsächlich notwendig war, wird nicht beantwortet.

18. November 200520:00 Uhr, Theater DortmundKarten: 0231-5027222