Rätselraten um die Diagnose

Kaum ein Krankenhaus in NRW ist laut Verbraucherzentrale auf PatientInnen eingestellt, die kein Deutsch sprechen. Eine optimale Gesundheitsversorgung von MigrantInnen sei nicht gewährleistet

VON SUSANNE GANNOTT

MigrantInnen mit mangelnden Deutschkenntnissen sind bei der medizinischen Versorgung in NRW-Krankenhäusern benachteiligt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Stichproben-Befragung der Verbraucherzentrale NRW bei 17 Kliniken in Köln, Remscheid und Bielefeld. „Meist wird ad hoc ein fremdsprachiger Mitarbeiter gesucht oder sich mit Händen und Füßen verständigt“, sagt Kai Vogel, Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale. So aber könne der Arzt weder eine sichere Diagnose stellen noch den Patienten ausreichend aufklären. „Die Folgen können verspätete oder unsachgemäße Behandlungen sein, die auch das Budget des öffentlichen Gesundheitssystems unnötig belasten“, heißt es in der Zusammenfassung der Ergebnisse.

Für die Umfrage haben die Verbraucherzentralen in NRW und Rheinland-Pfalz insgesamt 35 Kliniken angerufen und nach einer Übersetzungshilfe für eine fiktive türkische Patientin gefragt. Das Ergebnis: In NRW würde nur ein Krankenhaus einen professionellen Dolmetscherdienst anrufen. 24 Krankenhäuser wollten eine sprachliche Unterstützung spontan, zum Teil sogar über das Reinigungspersonal, organisieren. Vier dieser Kliniken führten angeblich eine Liste mit fremdsprachigen MitarbeiterInnen. „Doch Liste beziehungsweise Mitarbeiter waren während der Befragung nicht auffindbar“, heißt es in der Zusammenfassung. Neun Einrichtungen waren der Ansicht, Sprachprobleme seien Sache der Patienten und nicht der Klinik.

Beim Kölner Gesundheitszentrum für Migranten, einer vom paritätischen Wohlfahrtsverband getragenen Einrichtung, fühlt man sich durch die Untersuchung der Verbraucherzentrale bestätigt. „Wir beklagen die Mängel bei der Kommunikation und damit der Gesundheitsversorgung von Migranten schon seit Jahren“, sagt Arif Ünal, Leiter des Gesundheitszentrums und Mitglied der Grünen im Kölner Stadtrat. Fast täglich habe er mit Patienten zu tun, die sich von ihrem Arzt missverstanden fühlen oder über ihre Krankheit gar nicht informiert sind. „Es gibt Leute, die hatten eine Herzoperation und wissen nicht, ob sie einen Bypass bekommen haben oder an der Herzklappe operiert wurden.“

Der gängige Einsatz von Putzfrauen, Angehörigen oder Mitpatienten für die Kommunikation zwischen Arzt und Patient führe daher nicht nur zu einem Datenschutzproblem und einer Verletzung der Intimsphäre von Patienten, findet Ünal: „Das kann gefährliche Folgen haben.“ Schließlich wüssten die Ärzte überhaupt nicht, ob ihre Erklärungen und Anweisungen richtig übersetzt würden. Mit dieser Praxis verstießen sie daher letztlich sogar gegen die ärztliche Informationspflicht.

Eine Lösung des Problems kann nach Auffassung der Verbraucherzentrale nur „im Einsatz von fachlich kompetenten Übersetzern“ bestehen. Die Kliniken sollten entweder ihre mehrsprachigen MitarbeiterInnen entsprechend fortbilden oder qualifizierte externe Dolmetscher heranziehen. Dies werde in Hamburg und München bereits erfolgreich praktiziert. In der Hansestadt nähmen sogar mehrere Kliniken einen internen Dolmetscherdienst in Anspruch. Ähnliches fordert auch der Kölner Verein agisra e.V., eine Beratungsstelle für Migrantinnen. „Es sollte in jeder Stadt einen Pool geben von im Gesundheitsbereich fortgebildeten Sprach- und Kulturvermittlern, die die Krankenhäuser anfordern können“, sagt Najafi Behshid, Pädagogin und Mitarbeiterin von agisra. Die Kosten müssten von den Kommunen, Krankenhäusern oder Krankenkassen getragen werden. „Denn so wie es jetzt läuft, ist es nicht korrekt.“

Keinen Handlungsbedarf sieht man dagegen in der Universitätsklinik Aachen. Auch dort hat das „Personalcenter“ eine Liste mit mehrsprachigen Mitarbeitern – von der Putzfrau bis zum Chefarzt, wie Pressesprecherin Johanna Zimmermann erklärt. „Natürlich ist da nicht immer jemand im Haus“, gibt sie zu. Aber trotzdem sei es noch nie vorgekommen, dass ein Arzt sich nicht mit einem Patienten unterhalten konnte. „Da haben wir keine Probleme.“