68er und Springer-Chefredakteur Schmid: Mann von Welt
Springers "Welt"-Gruppe wird seit April von einem Journalisten geführt, der 1968 gegen die Auslieferung von Springer-Blättern protestierte. Ein Besuch bei Thomas Schmid.
Früher nannte man so was wohl Establishment. Thomas Schmid trägt ein blaues Hemd, Krawatte, eine schwarze Anzughose, Lederschuhe. Establishment. Schon der Begriff mufft wie 40 Jahre lang eingetütete feuchte Pelzmäntel. Schmid, der 68er, mufft nicht. Heute nennt man seinen Kleidungsstil - ja wie?
DGB-Chef Michael Sommer kleide sich ohne Krawatte und "besonders rustikal", wenn er zum 1. Mai herausgehe, um "der wirtschaftsliberalen Weltverschwörung rhetorisch kräftig aufs Maul zu hauen", schrieb Schmid vor kurzem. Vielleicht nennt man seinen eigenen Stil also wirtschaftsliberal.
Thomas Schmid, 62, verantwortet Springers Welt-Titel mit der blauen Schmuckfarbe: Welt, Welt kompakt, Welt am Sonntag, welt.de. Blau ist bei Springer das, was nicht Rot ist, wie die heißen Stusswaffeleisen um das Ufo-Archäologie-Fachblatt Bild. Aber politisch sind Bild wie Welt auf Springer-Linie. Dazu gehört die Unterstützung Israels, außerdem ist man proamerikanisch und prokapitalistisch. Bei Springer betont man die "liberal-konservativen publizistischen Grundhaltungen" und bittet, "auch die seit jeher starken liberalen Züge des Hauses sowie die durchaus kritischen Sichtweisen auf Grundüberzeugungen wie zu den USA, zu Israel oder zur freien Marktwirtschaft nicht außer Acht zu lassen".
Thomas Schmid sagt: "Ein gewisser Teil der Welt-Leserschaft empfindet in einigen Fragen sicherlich konservativer als ich selbst, das respektiere ich." Wenn die CDU ein Organ braucht, um ein neues Fass aufzumachen, kann es jedenfalls passieren, dass sich die Unionsleute gerade die Welt aussuchen. Trotzdem sagt Schmid: "Die Welt ist eine liberale Zeitung."
Jedenfalls ist er tatsächlich angetreten, die Welt liberaler zu machen, als sie unter seinem Vorgänger Roger Köppel war, der erst aus der Schweizer Weltwoche eine rechtskonservative Provokationspostille gemacht und bei der Welt - auf Dauer aber ohne Rückhalt - Ähnliches versucht hatte. Mit Schmid, sagt ein Mitarbeiter, "soll in der ganzen Gruppe eine gewisse Intellektualität einziehen". Dass Schmid die besitzt, bestreiten nicht einmal seine schärfsten Kritiker.
Das sind vor allem einstige Weggefährten und sich an den 68ern abarbeitende Historiker, was in vielen Fällen das Gleiche ist. Sie werfen ihm vor, er hätte von allen denkbaren Wegen den absurdesten eingeschlagen. Vom linken Radikalen zum bürgerlichen Sesselpupser. Schmid kontert mit der Dogmatik der 68er, die nicht auszuhalten gewesen sei. Aber Tatsache ist: Aus dem Mann, der 1968 in Frankfurt gegen die Auslieferung von Springer-Publikationen protestiert hat, ist ein Mann Springers geworden.
Schmid selbst berichtet nicht von einer Entwicklung vom guten Linken zum hirnlosen Rechten, wenn er von sich erzählt. Da wäre er ja auch schon blöd. Aber auch nicht von einer Entwicklung vom Saulus (68er) zum Paulus (geläuterter 68er), wie es der Wiener Standard vor kurzem darstellte. Mit der Zuschreibung des Bürgerlichen sei er vielleicht sogar einverstanden, sagt Schmid, nur umfasse sein Bürgerlichkeitsbegriff anderes: nicht nur den Bourgeois, sondern auch den Citoyen. Ausführlich spricht er darüber, dass er die liberale gewaltenteilige Demokratie für eine kostbare Errungenschaft halte. Außerdem sagt er: "Ein eloquenter Streit ist mir lieber als das Verhalten eines Wolfs gegenüber einem Wolf."
Aber links? Rechts? "Diese Art von Gesäßgeografie interessiert mich nicht. Das ist zu einfach." Er sagt: Er habe sich "natürlich verändert". Klingt ja auch gut. So progressiv.
Schmid war Mitglied des SDS, gründete die Gruppe mit, die bald "Revolutionärer Kampf" hieß und der auch Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit angehörten, war ein sogenannter Ökolibertärer, arbeitete am Opel-Fließband, schrieb für die linksradikale Theoriezeitschrift Autonomie, arbeitete beim linken Wagenbach-Verlag, bei der Wochenpost und der Hamburger Morgenpost, zu der ihn damals Mathias Döpfner, der heutige Springer-Chef, holte. "Im Auftreten", sagt Schmid, sei Döpfner ihm damals "kulturell eher fremd gewesen - ich kam ja nun wirklich nicht aus einem Milieu, in dem Anzug und Krawatte die Regel waren. Aber wir haben uns ohne große Kommunikationsschleifen schnell und direkt verstanden." Was darüber hinaus an Gemeinsamkeiten zwischen beiden besteht, ist mindestens der Werdegang: Wochenpost, Morgenpost, Springer - das ist auch Döpfners Karriere. Von der Morgenpost ging Schmid dann erstmals zur Welt, von da zur FAZ, entwickelte deren Sonntagszeitung mit, wurde schließlich 2006 Welt-Chefredakteur. Und jetzt, seit April, ist er Chef der Welt-Gruppe.
Daniel Cohn-Bendit, der 1992 mit Schmid das Buch "Heimat Babylon" über "das Wagnis der multikulturellen Gesellschaft" veröffentlicht hat, sagt heute über ihn: "Er ist ein Lebensabschnittstraditionalist. Das ist sein Geheimnis. Er ist immer radikal in dem Lebensabschnitt, in dem er sich befindet." Und fügt hinzu: "Das verbindet ihn mit Joschka Fischer." Wenn auch sonst nicht viel. Schmid schreibt seine Texte gerne mit dem Florett, manchmal mit der Keule. Über Fischer schrieb er mit der Abrissbirne.
Was aber bedeutet Schmid für Springer? Was soll er da, den manche dort ja auch als "linkes U-Boot" empfinden müssen, wie Die Zeit einmal schrieb. Schmid hat sein eigenes Weltbild gemanagt, jetzt wird er es bei der Welt-Gruppe ja auch noch hinkriegen. Und das macht Schmid nun, jeden Tag, bei der Welt seit 2006, bei der Welt-Gruppe seit April. Leitartikelt. Informiert sich über den Nachrichtenstand. Er sagt: "Wenn ich nicht am Balken gewesen bin, ist es für mich kein befriedigender Tag."
Geht er von seinem Schreibtisch aus an seiner Polstermöbelgruppe vorbei, sind es nur ein paar Schritte bis zum Balken. Es handelt sich um einen integrierten Newsroom, in dem die Redakteure der Zeitungen der Gruppe einander die Nachrichten zuschieben. Kompetenzzusammenlegung. Online first. Alle Texte zuerst ins Internet. Das war die Idee von Christoph Keese, Schmids Vorgänger, der von der Financial Times Deutschland gekommen war.
Schmid ist Chef der Gruppe geworden, als sie schon gesund genannt wurde. "Die Schweinearbeit", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, der mittlerweile den Arbeitsplatz wechselte, "musste Christoph Keese machen. Dazu ist der angestellt worden."
Welt am Sonntag, Berliner Morgenpost, Welt kompakt und Welt jedenfalls wurden zu einer neuen Einheit zusammengerechnet. Der Preis wurde etwas erhöht. Man verscherzt es sich nicht mit Anzeigengroßkunden wie Lidl (taz vom 29. 4.). Man nimmt auch mal eine ganzseitige Flachbildfernseher-Anzeige auf das Titelblatt (taz vom 17. 4.). Und es gibt seit Anfang 2007 eine Service- und Entwicklungsredaktion. "Nach der Fusion von Welt und Morgenpost" - die gab es auch noch - "war klar, dass die Zahlen durch Wachstum nicht weiter verbessert werden können", sagt ein Mitglied dieser Redaktion. "Dafür ist das Image der Welt zu schlecht und die überregionale Konkurrenz zu groß." Etwa 50 Redakteure der Gruppe gehören seither besagter Entwicklungsredaktion an, die neue Projekte kreieren soll, für Springer und externe Kunden.
Intern heißt die Redaktion "Gulag". Ihre Mitglieder werden zwar noch vom Springer Verlag voll bezahlt, belasten aber nicht mehr die Welt-Gruppe. "Die offiziellen Gründe", sagt ein Mitarbeiter, der damals ausgelagert wurde, "wurden nie genannt. Inoffiziell hieß es: Das ist eine tolle Chance für euch." Und noch inoffizieller "ging es darum, Personalkosten zu sparen", wie eine Insiderin sagt.
Im April wurde Keese dann befördert, und Schmid kam. Ein Übergangskandidat, zweifellos. Er ist 62, deutlich älter als seine Vorgänger bei der Welt, die lange nur von 40-Somethings geführt wurde: Döpfner, Jan-Eric Peters, Köppel, Keese. Es hätte noch ein paar andere aus dieser Altersklasse bei Springer gegeben: Claus Strunz etwa, einst stellvertretender Welt-Chef, nun Chef von Bild am Sonntag, ist 41.
Schmid aber, der Alterspräsident, soll die Gruppe ideologisch entrümpeln, wobei die Entwicklungsredaktion auch einige der als besonders konservativ geltenden Redakteure schluckte.
Keese ist nun Springers Außenminister. Ein Keese-Gegner - ein Ausgelagerter - nennt ihn den "Markus Söder Springers". Doch wurde er wirklich nur hochdegradiert, wie die taz schrieb? "Das ist Unsinn", sagt Thomas Schmid. Keese sitzt jetzt auf demselben Flur wie Döpfner. Ganz oben. Mit Vorzimmer. Und Büros sind wichtig bei Springer. "Wer hat die größte Fensterfront? Wer sitzt ganz oben? Das sind Dinge, die hier zählen", sagt eine Welt-Redakteurin. Thomas Schmid sitzt im 14. Stock. Mit einer beachtlichen Fensterfront. Aber Keese sitzt über ihm. "Da oben im 18. Stock ist ja nicht unbegrenzt Platz", sagt Schmid.
Das klingt nun ausnahmsweise doch leicht gesäßgeografisch, aber Schmid verteidigt seinen Vorgänger auch sonst, wo er nur kann. Seinen Mitarbeitern, berichtet zumindest einer, soll er sogar verboten haben, Keese weiter als "Frühstücksdirektor" zu bezeichnen.
Keese ging schließlich als der Mann, der die Gruppe in die schwarzen Zahlen führte. Erstmals muss sie nicht mehr von der Bild-Gruppe subventioniert werden, die Welt ist heil.
Zumal der Nachwuchs schon da ist: Ulf Poschardt, der ehemalige Vanity-Fair-Chef, Schmids neuer Stellvertreter als WamS-Chefredakteur. Irgendwann schreibt der vielleicht mal einen vier Metaebenen hohen Leitartikel über, zum Beispiel, Max Mosley, den "Formel-1-Boss" (Bild). Dann wird die Welt am Sonntag ein richtiges schönes, buntes Blatt.
Sollte Thomas Schmid sich irgendwann einmal nicht gegen seine Kollegen durchsetzen können, vielleicht sogar so schön bunt wie Bild am Sonntag.
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