Start des Giro d'Italia: Rosa Rolle rückwärts
Der Giro dItalia geht auf Tour. Mitradeln darf nun auch Astana, das Dopingteam der vergangenen Saison, von dem sich die Organisatoren zu Jahresbeginn noch angeekelt abgewendet hatten
Der Giro dItalia beginnt - und wieder zeigt sich, dass die Alpen eine heftige Mentalitätsscheide darstellen. Nördlich und westlich des Hochgebirges gilt der Radrennstall Astana als elitärer Dopingclub. In den Bergen selbst beschränkt man sich auf die Würdigung der sportlichen Qualitäten des Kaders: In seiner Schweizer Wahlheimat wird Andreas Klöden für den Gewinn der Tour de Romandie Respekt gezollt. Südlich von den schneebedeckten Felsenkronen werden dem Freiburger Uniklinik-Klienten Klöden, dem mutmaßlichen Fuentes-Kunden Alberto Contador und dem Armstrong-Azubi Levi Leipheimer hingegen dicke Lorbeerkränze geflochten.
Bislang war dem Skandalteam der Saison 2007 (vier Dopingfälle) in Italien wie in Frankreich ein Startverbot auferlegt worden. Während die vom früheren Armstrong-Betreuer Johan Bruyneel neuformierte Truppe in Frankreich weiterhin als Equipe non grata gilt, hat Italien nun die Tore weit geöffnet. "Aus sportlichen Gründen haben wir uns entschieden, Astana einzuladen", sagt Giro-Renndirektor Angelo Zomegnan. Anfang des Jahres hatte er den Schulterschluss mit den Tour-Veranstaltern gesucht und Astana von allen seinen Rennen ferngehalten. Im März noch wurde Klöden die Titelverteidigung beim Tirreno-Adriatico versagt. Dass er sich jetzt anders entscheidet, begründet Zomegnan mit dem prominenten Aufgebot des Rennstalls - und damit, dass die Skandale im letzten Jahr vor allem Frankreichs Straßen betroffen hätten: "Die Dopingfälle von Astana im letzten Jahr haben die Tour de France geschädigt. Beim Giro gab es diese Ereignisse nicht."
Ein Schelm, wer diese Aussage in Verbindung mit der Kraftmeierei von Vuelta-Direktor Victor Cordero bringt: "Bei der Spanienrundfahrt wird als einzigem großen Rennen das komplette Podium der letzten Tour de France anwesend sein. Sportlich ist die Vuelta daher das Interessanteste, was diese Saison im Straßenradsport zu bieten hat", hatte der dritte große Rundfahrtchef getönt. Zomegnan bestreitet, sich davon unter Druck gesetzt zu fühlen. "Wir sollten nicht den Wert einer Rundfahrt gegen den einer anderen ausspielen", meint er.
Die rosa Rolle rückwärts passt in das gegenwärtige Radsportszenario in Italien. Danilo di Luca, für den Anti-Doping-Ermittler des Sportdachverbandes Coni, Ettore Torri, ein Sportler, der sich den letzten Girosieg mit Hilfe einer verbotenen Transfusion erstritten hat, wird als Held gefeiert. Ivan Basso, der lediglich zugegeben hat, sein eigener Hund zu sein - "Ich bin Birillo", hatte er im letzten Jahr mit Blick auf die Fuentes-Registratur erklärt -, gilt als neue Anti-Doping-Lichtgestalt. Team Liquigas hat dem Dopingsünder noch vor Ablauf seiner Sperre unter Verletzung des Ethik-Codes der Pro-Tour-Teams einen Vertrag gegeben. Liquigas ist dafür aus der Vereinigung der Rennställe ausgeschlossen worden. Das war der einzige Protest. "Wir haben keine rechtliche Handhabe, dagegen einzuschreiten. Der Ethik-Code ist ein Gentlemens Agreement", sagt defensiv Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer. Zum Astana-Comeback schweigt er: "Kein Kommentar!" Funkstille auch im Lager High Road. Die Uhr läuft wieder rückwärts, zurück in jene Zeit, als zum Thema Doping jeder schwieg, aus Angst, sich den Mund zu verbrennen.
Mit Tunnelblick wird auf den Sport gestarrt. Die Gazzetta dello Sport war zum Flughafen Palermo geeilt, um Contador & Co. zu begrüßen. Der Spanier nutzte die Gelegenheit, sich als ersten Anwärter auf das rosa Trikot zu präsentieren. Er lobte den 3.430 km langen Kurs (10. 5. bis 1. 6.) als "schwieriger noch als die Tour". Der Madrilene ist in guter Form. Bei der Baskenlandrundfahrt hatte er dem Tourzweiten Cadel Evans 22 Sekunden im Zeitfahren abgenommen. Vier dieser Prüfungen gibt es beim 91. Giro. Den Auftakt macht ein Mannschaftszeitfahren am Samstag. Astana ist hoher Favorit auf den Tagessieg. Das Skandalteam des letzten Jahres am Wochenende in rosa Seligkeit - symbolhafter könnte der Rückschritt in die moralische Zweifelhaftigkeit kaum ausfallen.
Da tröstet es wenig, dass die UCI inzwischen 23 Radprofis mit verdächtigen Werten bei ihrem Monitoring-Programm aufgespürt hat. Ob ein Giro-Starter dabei ist, wollte man in Lausanne nicht verraten. 2.000 Tests für 850 Fahrer macht gut zwei pro Nase. "Jeder Fahrer ist mindestens einmal getestet worden", sagt UCI-Mitarbeiter Olivier Banuls. Ein aussagekräftiges Profil lässt sich damit nicht erstellen. Das Gütesiegel "weitgehend dopingfrei" kann dem Giro-Peleton aus wissenschaftlicher Perspektive daher nicht zuerkannt werden.
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