Parteien streiten wegen Präsidentschaftskandidatin: Schwan mischt Koalition auf
Die SPD will Gesine Schwan zur Bundespräsidentin machen. Die hat nichts dagegen, mit Stimmen der Linken gewählt zu werden. Das Ende der großen Koalition?
BERLIN taz Kurt Beck sagt, dass sich im nächsten Jahr die Gründung der Bundesrepublik zum 60. Mal und der Mauerfall zum 20. Mal jährt. Dass es eine Chance gibt, miteinander ins Gespräch zu kommen. Und er redet über die Bedeutung, die eine lebendige Diskussion hat. Kurt Beck sagt sehr lange Sätze mit sehr wenig Verben.
Es ist die übliche montägliche Pressekonferenz im Willy Brandt Haus. Aber diesmal geht es um etwas Besonderes. Kurt Beck präsentiert die eigene SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Gesine Schwan. Diese Kandidatur hatte ein kleines Beben in der großen Koalition ausgelöst.
Gesine Schwan sagt auch lange Sätze, aber mit vielen Verben. Und selten wirkte Becks Rhetorik starrer und abgedichteter als im Kontrast mit Schwan. Sie begründet, warum sie nach 2004 ein zweites Mal gegen Köhler antritt. Sie sagt, die Demokratie sei die einzige Form, die menschenwürdiges Leben ermögliche, und dass diese Demokratie in einer "kulturellen Krise" stecke. Sie verteidigt mit geschliffenen Worten den Parlamentarismus. Ohne Vertrauen, sagt sie, könne die Demokratie nicht funktionieren. Und Vertrauen bilde sich nur, wenn sich "die Interessen vor dem Gemeinwohl verantworten müssen". Dafür will sie als Bundespräsidentin sorgen. Nichts von dem, was sie sagt, ist sehr originell. Aber Schwan versteht es, offen, lebendig, fast quirlig zu formulieren.
Gesine Schwan möchte "auch mit den Stimmen der Linkspartei" im Mai zur Bundespräsidentin gewählt werden. "Wir gehen ein Wagnis ein", sagt sie, aber ein überschaubares. Die Linkspartei sei eine Folge von Wiedervereinigung und Globalisierung. Die Partei bestehe aus vernünftigen Pragmatikern, DDR-Nostalgikern und Demagogen. Und die Partei wisse doch selbst, dass sie, wie sie in ihren programmatischen Eckpunkten darlege, keine Antwort auf die globalisierte Wirtschaft habe. Sie müsse sich "zwischen konstruktivem Protest und demagogischer Polemik entscheiden". Das wirkt souverän und distanziert, aber nicht diffamierend.
Schwan hat jene abwägende Nachdenklichkeit, die der erstarrten Politikersprache so oft fehlt. Nur bei der Frage, ob nicht auch Schröders Agenda 2010 ein Vater des Erfolgs der Linkspartei ist, kommt sie ins Schwimmen. In solche parteipolitische Niederungen will die Kandidatin sich nicht herablassen, sondern lieber die großen Linien im Blick haben.
Für die blasse Beck-SPD ist Schwan ein Segen. Sie gibt der Partei, was sie braucht: ein Ziel. Die Union mag toben - der Sozialdemokratie mag ein gehässiger Anti-Rot-Rot-Wahlkampf ins Haus stehen. Doch all das wird aufgewogen von der Vorstellung, es der Union zeigen zu können. Ein Prozent mehr Stimmen hat die Union bei der Bundestagswahl 2005 bekommen - und das ist, so meinen führende SPD-Politiker, keine ausreichende Legitimation dafür, dass die Union Kanzler und Bundespräsidenten stellt. Trotz der Katastrophenprosa der Union hält man in der SPD Schwans Kandidatur für ein geeignetes Mittel, um sich von der Union absetzen - für einen kontrollierten, überschaubaren Konflikt, der die große Koalition nicht sprengt, aber die Union ärgert. Kurt Beck sagte: "Wir werden keinen Wahlkampf gegen Horst Köhler führen."
Umgekehrt kann das allerdings schon passieren. Denn viele in der Union empfinden Schwans Kandidatur als Kampfansage. Die CSU könnte versuchen die Bayernwahl Ende September zu einem Votum für Horst Köhler und gegen die rot-rote Gefahr zu inszenieren - was Umfrageergebnisse nahelegen. Der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein hält die Schwan-Kandidatur jedenfalls für einen "eklatanten Vertrauensbruch". Peter Müller, CDU-Regierungschef im Saarland, orakelt sogar über das Ende der großen Koalition. Und Kanzlerin Merkel meinte gestern scharf, dass die SPD sich "in die Hände der Linkspartei" begeben habe und Schwans Kandidatur "nur mit dem inneren Zustand der SPD zu erklären" sei.
Allerdings gibt es, trotz vieler markiger Worte aus dem Unionslager, niemanden, der ernsthaft den Bruch der Koalition betreibt. Der Grund ist einfach: Gerade nach den Neuwahlen 2005 kann keiner der zerstrittenen Partner sicher sein, von einem selbst verschuldeten Ende der großen Koalition zu profitieren. Angela Merkel und die CDU stehen in Meinungsumfragen gut da. Aber nicht so gut, dass ein Zweierbündnis mit der FDP gesichert wäre. Die Sozialdemokraten hingegen haben es bislang stets geschafft, jeden Koalitionsstreit so zu inszenieren, als seien sie die Schuldigen. Bei einer vorzeitigen Neuwahl sehe es düster für die SPD aus.
Die Linkspartei hält sich derzeit noch bedeckt. Vizechefin Katja Kipping sagte der taz gestern: "Wir wählen nicht automatisch Schwan." Derzeit denkt man in der Partei über eine eigene, wahrscheinlich parteiungebundene Kandidatin nach, die, so Kipping, "für antifaschistische oder soziale Projekte werben wird". Offiziell wird sich die Linkspartei erst nach der Bayern-Wahl entscheiden. Aber wahrscheinlich ist, dass die Linken, auch mit eigener Kandidatin, im zweiten oder dritten Wahlgang Schwan wählen werden.
Absprachen mit der Linkspartei werde es bei der Wahl des Bundespräsidenten nicht geben, sagt Gesine Schwan. Und: "Ich werde die Linkspartei auch weiter kritisieren." So gehen SPD und Linkspartei ziemlich demonstrativ auf Distanz zueinander. Gewiss wird die Union versuchen, die Schwan-Kandidatur als Vorlauf einer rot-rot-grünen Regierung im Bund zu attackieren. Ob ihr das gegen diese Kandidatin glückt?
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